Wäre es eine ausgedachte Geschichte, man würde sie kaum für möglich halten. Ein achtjähriger jüdischer Junge flieht in letzter Minute aus dem Warschauer Getto. Drei Jahre lang schlägt er sich mutterseelenallein in der Wildnis der polnischen Wälder durch – und entkommt den Häschern der Nazis.
Oscar-Preisträger Pepe Danquart („Schwarzfahrer“) hat aus der wahren Lebensgeschichte des heute 80-jährigen Yoram Fridman einen berührenden und gleichzeitig spannenden Film gemacht. „Lauf Junge Lauf“ (kein Schreibfehler!) nach dem Bestseller des polnisch-israelischen Autors Uri Orlev ist eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit der Frage von Schuld und Verantwortung, Selbstfindung und Identität.
„Eine wahre Geschichte aus dem Holocaust zu erzählen, ganz konsequent aus der Perspektive eines unschuldigen Kindes – das hat mich interessiert“, sagt der vor allem für seine Kurz- und Dokumentarfilme bekannte Danquart. Die polnischen Zwillinge Andrzej und Kamil Tkacz (bei den Dreharbeiten 10) spielen den Jungen gemeinsam und geben ihm so eine unglaubliche Tiefe. „Wir haben europaweit 700 Kinder gecastet. Zwei Wochen vor Drehbeginn hatte ich noch keinen Hauptdarsteller“, erzählt Danquart, der selbst eineiiger Zwilling ist. „Dann kam Andrzej, und ich hatte plötzlich zwei. Der eine hat die introvertierten, sensiblen Seiten gespielt und der andere die Szenen, in denen der Junge stark und draufgängerisch ist.“
Allein durch die Wälder
Der Vater läuft 1942 im besetzten Polen den SS-Soldaten vors Maschinengewehr, damit der Sohn im Eifer des Gefechts entkommen kann. Vorher schärft er ihm ein: „Du musst es schaffen! Du musst überleben!“ Und: „Du darfst nie, du darfst niemals in deinem Leben vergessen, dass du ein Jude bist.“ Der kleine Srulik kämpft sich allein durch die Wälder, ernährt sich von Beeren und geklautem Obst, findet Verbündete und verliert sie wieder – bis er bei der Bäuerin Magda (Elisabeth Duda) landet. Die bringt dem jüdischen Flüchtlingsjungen die wichtigste Überlebensstrategie bei: Er muss sich als katholisches Waisenkind Jurek tarnen. Bei der weiteren Flucht gelingt das dem hellwachen Jungen so gründlich, dass er im Laufe seiner dreijährigen Odyssee ganz mit seiner neuen Identität verschmilzt. Von einer herzlichen polnischen Familie aufgenommen, geht er sogar zur Erstkommunion. Als nach dem Krieg ein fremder Jude auftaucht, um ihn zur Religion seiner Väter zurückzubringen, beginnt ein neuer Kampf.
Für Danquart war besonders das Einverständnis des echten Srulik wichtig, der heute unter dem geänderten Vornamen Yoram mit Frau, zwei Kindern und sechs Enkeln in Israel lebt. Bei der Uraufführung in Warschau sei Fridman zu Tränen gerührt gewesen, so der Filmemacher. „Er sagte, für ihn sei es eine späte Genugtuung, dass jetzt die einen Film über ihn machen, die ihm so viel Leid angetan haben.“ • • • • • ο
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