Weder in Schweden noch in Deutschland hatte die Literaturkritik Jonas Jonassons „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ auf dem Zettel. Das Erstlingswerk des schwedischen Journalisten, der erst mit Ende 40 im Literaturbetrieb Fuß fasste, gehört zu den größten Überraschungserfolgen auf dem internationalen Buchmarkt. Weltweit mehr als sechs Millionen verkaufte Exemplare, davon zwei Millionen allein in Deutschland, wo der Roman mit dem sperrigen Titel 15 Monate lang die „Spiegel“-Bestsellerliste anführte.
Glücklicherweise hat Regisseur Felix Herngren bei der Kinoadaption des Aussteiger-Märchens der Versuchung widerstanden, den globalen Erfolg des Buches als internationale, englischsprachige Produktion weiterführen zu wollen. Vielmehr zeigt sich die filmische Version sehr darauf bedacht, die schwedische Identität des Stoffes zu bewahren.
Flucht aus dem Altersheim
Ein Filmheld wie Allan Karlsson (Robert Gustafsson) lässt sich ohnehin nicht ins weltmarktgerechte Mainstreamformat pressen. Denn der Greis, der an seinem 100. Geburtstag die Flucht aus dem Altersheim antritt, an einen Koffer mit 50 Millionen Kronen und einige eigensinnige Freunde und Feinde gerät, ist ein passiver Antiheld, der hier nicht nur durch ein skurriles Roadmovie treibt, sondern in Rückblenden auch durch die wendungsreiche Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Seine Leidenschaft für Sprengstoff bringt den jugendlichen Allan nach dem Tod der Eltern in eine Nervenheilanstalt, wo ein Rassenbiologe den vermeintlich labilen Patienten kurzerhand sterilisiert. Als junger Mann findet er seine Berufung zunächst in einer Kanonengießerei, später als versierter Brückensprenger im spanischen Bürgerkrieg. Aber das ist erst der Anfang einer grotesken Reise durch die Welthistorie, an deren Wendepunkten der gutmütige Sprengstoffspezialist immer wieder Präsenz zeigt. Robert Oppenheimer gibt er den entscheidenden Hinweis zum Bau der Atombombe, was Allan zum Busenfreund von Harry Truman werden lässt und ihm eine Einladung nach Moskau zum Saufgelage mit Genosse Stalin einbringt.
Im Kalten Krieg versorgt er als argloser Doppelspion beide Seiten mit Informationsmüll und ist schließlich auch am Fall der Berliner Mauer beteiligt. Auf der Erzählebene der Gegenwart sorgte eine Rocker-Gang, ein schwerfälliger Polizeiermittler und eine Elefantendame für kuriose Wendungen mit oftmals tödlichen Folgen. Herngrens gelungene Literaturverfilmung lichtet das erzählerische Dickicht der Vorlage, ohne den Geist des Romans zu beschädigen.
Dabei betont der Film mehr die dramatischen Momente und spielt die komödiantischen Elemente ohne aufdringliche Verstärkereffekte aus. Der Humor bleibt trocken, die Pointen werden nicht auf dem Silbertablett hereingetragen, sondern entfalten beiläufig ihre Wirkung. Der in Schweden sehr populäre Komiker Robert Gustafsson überzeugt in allen Altersklassen als naiver Held, der durch die Weltgeschichte stolpert und weiß, dass nicht die persönliche Ambition, sondern der Zufall der Motor des Lebens ist. Wer sich auf ihn einlässt, hat die Möglichkeit, die unglaublichsten Dinge zu erleben: • • • • ο ο
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