Um ihren Kindern zu einer Kinorolle zu verhelfen, schleusen manche Eltern den Nachwuchs durch Massencastings. Regisseur Thomas Heinemann hält von so etwas wenig. Der ehemalige Leiter des Würzburger Theater am Neunerplatz hat fast alle Kinder, die in seinem neuen Film mitspielen, in einem Kitzinger Gymnasium gefunden. Auch die zwölfjährige Hauptdarstellerin Tabea Hanstein, die sich als „Lola“ wohl bald in die Herzen deutscher Kinogänger spielen dürfte. Der komplett in Unterfranken gedrehte Kinderfilm ist der zweite Kinofilm des in München lebenden Regisseurs, der mit „Vorne ist verdammt weit weg“ mit Frank-Markus Barwasser 2007 sein Kinodebüt gab. In Dettelbach im Landkreis Kitzingen gab es bei der Deutschlandpremiere schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf „Lola auf der Erbse“, der nun in den Kinos anläuft – und außerdem Besuch von Darstellern und Filmemachern.
„Wo ist denn die Lola?“ fragt ein kleines aufgeregtes Mädchen. Dass Lola gleich da drüben steht und von Menschen umringt ist, dass Lola eigentlich Tabea heißt, aber gleichzeitig auch „die Lola“ ist, mit der man sich jetzt fotografieren lassen kann, versucht die Mutter der Kleinen zu erklären. Lola oder vielmehr Tabea gibt fleißig Autogramme und lächelt für Handyfotos. Dass sie im echten Leben ein ganz normales Mädchen ist, ist ziemlich offensichtlich: Wenn sie kichert, wenn sie zusammen mit den anderen Filmplakate signiert und wenn sie beim Sprechen die Augen verdreht. Was denn wäre, wenn sie jetzt mit dem Film berühmt werden sollte und von den Leuten auf der Straße erkannt wird? Tabea rümpft die Nase und schüttelt langsam den Kopf. Das fände sie nicht cool.
Idyll am Main
Bei Lola, der Figur, die Tabea im Film verkörpert, ist leider fast gar nichts normal. Mit ihrer Mutter lebt sie auf einem idyllischen Hausboot, der „Erbse“. Aber das extravagante Leben macht Lola auch zur Außenseiterin. Denn ihre Mutter – gespielt von Christiane Paul – schert sich nicht um Konventionen und duscht auch schon mal nackt an Deck. Auch die Kinder merken, dass Lola anders ist und grenzen sie systematisch aus. Und dann ist da auch noch die Sache mit Lolas Vater, der seit zwei Jahren weg ist. Dass Kurt, der neue Freund ihrer Mutter, ihn einfach so ersetzen soll, passt Lola gar nicht. Ihr einziger realer Freund wird bald der – ebenfalls geächtete, weil illegal in Deutschland lebende – kurdische Junge Rebin.
Ziemlich viele Probleme sind das für ein kleines Mädchen. Aber für manche Kinder sind sie Realität. „Auch in diesen idyllischen Landschaften“, ist Heinemann überzeugt. Auf das Buch aufmerksam geworden war er durch eine Rezension, in der es hieß, das Kinderbuch von Anette Mierswa sei ein „charmanter Anachronismus“. „Das hat mich angesprochen“, so der 56-Jährige. Und dass illegal in Deutschland Lebende von Lehrern und Ärzten der Polizei gemeldet werden müssen, sei heute noch in sechs Bundesländern der Fall. Auch die Lehrerin, die sich im Film bereit erklärt, den Jungen Rebin in ihrer Klasse zu unterrichten, ist nicht frei erfunden, sondern hat ein reales Vorbild. Doch während die echte Lehrerin für ihr Handeln vor Gericht musste, geht im Film alles gut aus. Das Ende, bei dem alle zusammen auf dem Boot ein Multikulti-Fest feiern, gefällt Tabea am besten an dem Film. Zur Premiere in der Heimat sind viele Freunde und Verwandte gekommen. Ob sie deshalb aufgeregt war? „Nein, gar nicht“, winkt Tabea lässig ab. Schließlich sei sie auch in Italien beim internationalen Kinderfilmfest dabei gewesen, wo der Film vor 600 Leuten gezeigt wurde.
Zu ihrer Rolle kam die Schülerin aus Rödelsee bei Kitzingen völlig unverhofft. In der Mittagsbetreuung wurde sie angesprochen, ob sie Lust hätte, bei einem Casting für einen Kinofilm mitzumachen. Die Eltern waren erst skeptisch, willigten aber nach einem Telefonat mit Heinemann ein. Und das Casting selbst? „Thomas hat mir die Geschichte von Lola erzählt und meinte dann: ,Du hörst von mir.‘“ Kurz darauf kam der Anruf: Tabea sollte die Hauptrolle spielen. Etwas vorspielen oder vorsprechen musste sie nicht. „Thomas sagt, das war Bauchgefühl.“
Der war durch einen Bekannten, der an der Schule arbeitete, auf die Kinder aufmerksam geworden. „Er meinte, dort seien ein paar Kinder, die für den Film passen könnten“, sagt Heinemann. Von den sechs Schülern, die er sich ansah, nahm er fünf für seinen Film. Die Verwunderung über eine solche Ausbeute quittiert der Regisseur mit einem Schulterzucken: „Mich wundert das gar nicht. Jedes normale Kind kann so was machen.“ Und das „Bauchgefühl“ stamme von seiner Arbeit am Neunerplatz, wo er Theatererfahrung mit Hunderten von Kindern sammeln konnte – unter anderem mit Tobias Oertel, der als Kind dort auf der Bühne stand, inzwischen ein erfolgreicher Schauspieler ist. In „Lola auf der Erbse“ ist er als Tierarzt mit Schnauzbart und Vokuhila-Frisur zu sehen. Ebenfalls aus Unterfranken kommt der Würzburger Musiker Markus Hammer, der im Film als singender Lola-Papa auftritt. Mit ihm hat Heinemann auch schon für die Fernsehserie „Positive Sinking“ zusammengearbeitet, die demnächst im Bayerischen Fernsehen anläuft.
Zum Drehort – fast alle Szenen wurde in Marktsteft bei Kitzingen aufgenommen – kam Heinemann eher durch Zufall. Auf der Suche nach idyllischen Mainufer-Schauplätzen fiel ihm auf einer Wanderkarte der kleine Hafen von Marktsteft auf – der älteste Hafen Bayerns. Alles Weitere fiel den Filmleuten dann praktisch vor die Füße. Auch die „Erbse“: ein Hausboot, das ursprünglich „Rebell“ hieß und für den Film nur noch ein bisschen aufgehübscht werden musste.
Gedauert hat der Dreh in Marksteft, Iphofen und Sommerhausen „leider nur“ sechs Wochen – denn am Set hatten wohl alle großen Spaß. Durch die geringe Distanz zum Wohnort mussten die Kinder nicht komplett vom Unterricht befreit werden. Die eine oder andere Schulstunde fiel aber schon aus, gesteht Tabea grinsend. Wenn sie mal wieder jemand fragen sollte, ob sie Lust hätte, bei einem Film mitzumachen, würde sie sicher nicht nein sagen. Für Heinemann und seinen Film stehen jetzt ein paar Reisen an: Sechs deutsche und sechs internationale Festivals nahmen „Lola auf der Erbse“ ins Programm. Als Nächstes geht es nach Wien und Finnland, später nach Chicago und New York.