Was hätte Bach wohl dazu gesagt?“ Stefan Schmidt steht mitten im Würzburger Kiliansdom. Von der Empore herab jubeln, donnern, flirren und wirbeln die Töne. Die Domorgel zeigt, was sie kann. Gespielt wird sie von Stefan Schmidt. Wie das? Der steht doch hier unten!
Dank neuer Technik kann der Domorganist sich jetzt selbst spielen hören. Das Instrument, per Fernbedienung eingeschaltet, spielt ein Stück exakt so, wie es vorher in sein elektronisches Gedächtnis eingebrannt wurde. „Das ist sehr wertvoll“, erklärt der 46-Jährige. Denn oben am Spieltisch, zwischen Hunderten von Pfeifen, kann der Organist nur ungefähr abschätzen, wie es unten, im weitläufigen Kirchenschiff mit seinen akustisch heiklen Ecken und dem langen Nachhall klingt. Schmidt hat da trotz all seiner Erfahrung beim Nachhören schon Überraschungen erlebt. Und mancher Student des Professors der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf staunte, wie das, was er oben gespielt hatte, unten ankam . . .
Das große Instrument kann nun auch von der kleinen Orgel aus, die auf einer Empore im südlichen Querschiff angebracht ist, gespielt werden. Von dort laufen Datenkabel über den Dachboden des Gotteshauses zur Hauptempore an der Westwand. Das ist neu. Die Instrumente – 1968/69 von der Firma Klais in den wieder aufgebauten Dom installiert – wurden gereinigt, überholt und mit aktueller Technik aufgepäppelt.
Der Schall ist zu langsam
Der Spieltisch der kleinen Orgel hat statt bisher zwei nun vier Manuale. Die Orgelpfeifen werden hier rein elektrisch angesteuert. Die Ventile der Pfeifen, in denen die Töne durch vibrierende Luftsäulen entstehen, werden also elektromagnetisch betätigt. Erst Elektrik und Computertechnik ermöglichen die Verbindung der beiden Instrumente. Gekostet habe all das rund eine Million Euro, informiert der Pressedienst des Ordinariats Würzburg.
Stefan Schmidt sitzt am Spieltisch der Querschiff-Orgel und zieht linker Hand eine flache Schublade aus dem Spieltisch – die digitale Kommandozentrale. Ein flacher Bildschirm wird sichtbar, auf dem ein kleines rotes Vorhängeschloss leuchtet. „Früher hat man Orgeln einfach eingeschaltet“, sagt Schmidt. Heute ist die Königin der Instrumente ein Computer – jedenfalls zum Teil – und muss wie jeder Rechner erst hochfahren. Das Schloss-Symbol erlischt. Schmidt kann loslegen. Er spielt Akkorde, Arpeggien, Läufe. Die dazugehörigen Klänge kommen aus zwei Lautsprecherboxen, die auf dem Spieltisch stehen.
Welches Instrument er denn nun spiele? „Die große Hauptorgel“, antwortet Schmidt und schaltet die Lautsprecher ab – was deren Sinn deutlich macht: Die große Orgel ist knapp 80 Meter weit weg. Der Schall braucht seine Zeit, bis er hierher, zur Querschiff-Orgel, findet. Mit einer derartigen Verzögerung zwischen Tastendruck und Hören kann kein Organist arbeiten. Deswegen nehmen Mikrofone den Klang der großen Orgel auf und übertragen ihn elektronisch – also schnell – zu den Lautsprechern. Umgekehrt funktioniert's genauso: Wird die Querschiff-Orgel von der Hauptorgel aus gespielt, wird ihr Klang auf Lautsprecher an deren Spieltisch übertragen.
„Die Verbindung der beiden Instrumente kann man zum Beispiel für Echo-Effekte nutzen“, erklärt Schmidt – und demonstriert die Kraft der zwei Orgeln, indem er eine Phrase erst auf der kleinen, dann auf der großen Orgel klingen lässt. Noch ein Trick: Stefan Schmidt greift einen Akkord auf dem oberen Manual und friert ihn – wieder dank Computertechnik – quasi ein. Das Instrument hält den Mehrklang auch dann, wenn Schmidt die Hand von den Tasten nimmt. Nun hat er beide Hände frei, etwa für Improvisationen. Weil ein Organist ja auch mit beiden Füßen spielt, entstehen beeindruckende Klangballungen. Im Dom gebietet der Organist jetzt über 109 klingende Register – 87 davon steuert die Hauptorgel bei – und damit über Unterfrankens größte Orgel.
Die Technik hat ihren Sinn, wenn es darum geht, das Instrument künstlerisch bei Konzerten zu nutzen. Auch bei Gottesdiensten bringt die neue Technik Verbesserungen. An der Querschiff-Orgel ist der Organist näher am liturgischen Geschehen dran, kann je nach Chorgröße flexibel die kleine oder die große Orgel einsetzen. Direkte Sicht hat er freilich auch von der kleinen Orgel nicht. Er sitzt mit dem Rücken zum Altarraum. Also nimmt eine Kamera das Geschehen unten auf, der Organist sieht es auf einem Monitor. Wenn er an der Hauptorgel sitzt, kann er zwischen sechs Kameras wählen und hat so verschiedene Blickwinkel auf das Kirchenschiff. Die schiere Größe des fast 1000 Jahre alten Bauwerks treibt moderne Technik an ihre Grenzen: Den Dirigenten beobachtet Schmidt an der Hauptorgel über einen altertümlichen Röhrenbildschirm. Moderne digitale Monitore haben eine leichte Verzögerung beim Bildaufbau. Zu viel, um exakt reagieren zu können: „In der Musik kann schon eine halbe Sekunde Welten bedeuten.“
Die Frage, was Bach zu all dem gesagt hätte, beantwortet Stefan Schmidt übrigens so: Der Großmeister des Barock hätte es gut gefunden. „Denn er war ein sehr innovativer Musiker.“
Bei den Würzburger Bachtagen (22. November bis 1. Dezember) spielt Stefan Schmidt die Domorgel am 27. November um 20 Uhr. Auf dem Programm stehen Werke von Johann Sebastian Bach und Johannes Brahms.