Die Welt strahlt gelb, genrapsgelb. „Femi-Schlampen“ regieren sie, männliche Waschlappen, erbärmliche Weicheier und gescheiterte Alpha-Tiere bevölkern sie. Schön sind diese Menschen und ewig-jung, vorausgesetzt die entsprechende Menge Ephebo steht zur Verfügung. Was stört es da, dass die Wunderpille das Krebsrisiko erhöht? Der Planet ist ohnehin nicht mehr zu retten – Dauerhitze, Überschwemmungen und Wirbelstürmen zeugen davon. Wenn das Ende naht, ist alles egal. Die Menschheit ist entfesselt.
Da ist es nur folgerichtig, dass die gebeutelte Männerschaft zum letzten Gefecht antritt. Viel zu lange wurde sie vom Feministenpack tyrannisiert, das das gottgegebene Machtgefüge auf den Kopf gestellt hat. „Macht“ lautet der Titel von Karen Duves (54) jüngstem Roman, in dem sie eine Zukunftsvision entwirft, die vor allem eines ist: finster, furchterregend und menschenfeindlich.
Unterdrückt und selbstgefällig
Sebastian ist der Prototyp des unterdrückten und doch selbstgefälligen Mannes. Jahrelang stand er unter dem Pantoffel seiner erfolgreichen Frau, die Ministerin war. Basti nannte sie ihn einst, nun muss sie ihren Mann „mein Gebieter“ rufen. Eines Tages hatte Sebastian die Nase voll von Frauenversteher, Vegetarier, Weltverbesserer, Staatsfeminismus. Kurzerhand sperrte er seine Frau im Keller des elterlichen Häuschens ein. Seit zwei Jahren muss sie ihm dort Gehorsam leisten, backt ihm seine Lieblingsplätzchen und steht ihm zu sexuellen Diensten zur Verfügung „mal liebevoll, routiniert“, wie Sebastian sagt, mal unterwürfig gequält. Immer mal wieder versucht sie aufzubegehren, verbal oder auch ganz praktisch. Doch die Versuche scheitern. Sebastian zieht die Kette um ihren Hals nur enger.
Draußen in der Welt schiebt er seine Kinder Binja-Bathseba und Racke am liebsten zu Oma Gerda ab, fühlt sich von seinem religiösen Bruder belästigt, ebenso wie von dem ein oder anderen Freund und Feind seiner Jugend, und schwelgt in Nostalgie. Das Haus seiner Eltern hat er in den Urzustand der Jahre 1950 bis 1970 zurückversetzt, er sehnt sich nach Telefonen mit Wählscheibe, nach Kassettenrekordern und hortet die letzten Überweisungsträger der Postbank, die, sobald sie nicht mehr verfügbar sind, endgültig abgeschafft werden.
Duve beschreibt die Zukunft 2031, eine Vision allerdings ist es nicht, vielmehr eine konsequente, aber wenig überraschende Weiterentwicklung der Gegenwart und ein verstörender Blick auf die Menschheit. Flugreisen, Fleisch und Benzin müssen mit CO2-Punkten bezahlt werden, Smartphones heißen Ego-Smarts, es wird „geshammt“ (gebeamt), die Klimaerwärmung schreitet stetig voran, jegliche Fanatiker, egal ob Sektenanhänger, Neonazis oder Tierschützer, formieren sich.
Ironische, satirische oder gar komische Momente gönnt Duve ihrem Leser nicht. Bei aller Absurdität ist „Macht“ vor allem düster, pessimistisch. Vielleicht aber will sie dem Leser auch gar keine Vision präsentieren, sondern die Wirklichkeit vor Augen führen.
Karen Duve: Macht (Galiani, 416 Seiten, 21,99 Euro)