Wir sind leidgeprüft“, sagt Henrik Hanstein, Inhaber des Kunsthauses Lempertz in Köln. „Mit Beltracchi hat die ganze Branche Lehrgeld gezahlt.“ Nachdenklich blickt Hanstein auf ein großformatiges Gemälde in kräftigen Gelb-, Blau- und Rottönen. „Herbstwald“ ist der Titel, jahrelang galt es als sicher, dass es der rheinische Expressionist Heinrich Nauen (1880-1940) um 1911 gemalt hat. Hat er aber nicht. Das Waldbild wurde Ende der 1990er Jahre von Lempertz versteigert, es ist im Werkverzeichnis von 1996 aufgeführt und wurde mehrmals ausgestellt. Doch es ist ein „echter Beltracchi“, eine der Dutzenden Fälschungen von Wolfgang Beltracchi, der den wohl größten Kunstfälschungsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte auslöste und auch internationale Auktionshäuser wie Sotheby's oder Christie's übers Ohr haute (lesen Sie dazu die graue Infobox unten). Beltracchi wurde 2011 verurteilt und verbüßt wie seine Frau Helene eine mehrjährige Haftstrafe im offenen Vollzug. Lempertz hat den Käufer des gefälschten Nauen-Bildes inzwischen entschädigt.
Lempertz versteigerte auch das angeblich von Max Pechstein gemalte Werk „Liegender Akt mit Katze“, das der Würzburger Kunstsammler Hermann Gerlinger 2005 dem Auktionsgewinner, einem Kunsthändler aus Bern, für 700 000 Euro abkaufte. Auch dieses Bild war eine Fälschung von Beltracchi.
Der von Gier nach immer neuer Ware und irrationalen Preisen angetriebene Kunstmarkt hat die nächsten Erschütterungen durch kriminelle Banden hinter sich. Jüngst hob die Polizei einen Fälscherring für russische Avantgarde aus. Während Beltracchi als kleines Familienunternehmen Millionen mit mehreren Dutzend Fälschungen scheffelte, ging es beim neuen Fall um 400 verdächtige Werke. In den USA nahm das FBI 2011 vermeintliche Werke der Elite der amerikanischen Nachkriegsmoderne von Jackson Pollock bis Robert Motherwell unter die Lupe.
Das Auktionshaus Lempertz, das 2006 auch einen gefälschten Heinrich Campendonk aus Beltracchis Werkstatt für 2,9 Millionen Euro versteigerte, hat Konsequenzen gezogen. Es arbeitet jetzt eng mit dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften der Fachhochschule Köln zusammen. Dort erforscht Professor Gunnar Heydenreich mit seinen Kollegen systematisch Kunsttechniken, Werkstoffe und Farbmittel. Hochpreisige Werke, die bei Lempertz eingeliefert werden, lässt Hanstein dort erst einmal prüfen.
„Die Labors werden überrannt von Anfragen“, sagt Heydenreich. Zwei Halbtagsstellen für einen Chemiker und einen Restaurator sind mit Hansteins finanzieller Hilfe zusätzlich eingerichtet worden – und Lempertz hat auch eine Pistole gekauft. Das ist keine gewöhnliche Waffe, sondern eine 60 000 Euro teure Röntgenfluoreszenz-Pistole. Mit ihr sollen Fälschungen enttarnt werden. Das Besondere: Sie kann ein Bild scannen, ohne dass man Proben abschaben muss und das Kunstwerk so beschädigen könnte. Seit vier Jahren ist die RFA-Pistole auf dem Markt – eigentlich wird sie im Metallhandel genutzt, um wertvolle Metalle oder Legierungen zu identifizieren. Auch in der Archäologie ist sie im Einsatz.
Seit auch Kunsthistoriker auf die Beltracchi-Bilder hereinfielen und Echtheitsexpertisen etwa für vermeintliche Werke von Heinrich Campendonk, Max Ernst, André Derain oder Kees van Dongen ausstellten, richten sich im Kampf gegen Kunstfälscher die Hoffnungen auf die Wissenschaftler. Denn diese stellten etwa das Pigment Titanweiß in dem vermeintlichen Campendonk-Werk „Rotes Bild mit Pferden“ fest. Titanweiß gab es zur Zeit der angeblichen Entstehung des Bildes 1914 noch nicht. Hanstein hat den gefälschten Nauen zu Heydenreich gebracht. Dieser benutzt das Werk als Referenzbild, um andere Fälschungen zu finden. „Beltracchi hat sich informiert, er wusste, welche Pigmente die Maler verwendeten“, so Heydenreich. So habe Beltracchi beim „Herbstwald“ historische Pigmente der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg benutzt. Auf der Rückseite klebt der Aufkleber der Galerie Alfred Flechtheim. Als dieser 2010 als Fälschung identifiziert wurde, kamen die Ermittler Beltracchi endgültig auf die Spur.
14 verschiedene Methoden
Durch mikroskopische Untersuchungen fand das Kölner Labor heraus, dass Beltracchi die Leinwand des Nauen-Bildes erst patiniert, also auf alt getrimmt hatte, und dann mit den leuchtenden Farben bemalte. „Es ist eindeutig sichtbar, dass er hier keine alte Leinwand genommen hat“, sagt Heydenreich. „Es ist neues Gewebe, das künstlich gealtert wurde.“ Die reine Pigmentanalyse bringt den Kunstforensikern nicht unbedingt eindeutige Erkenntnisse. Denn viele historische Pigmente kann sich heute jeder Restaurator, auch jeder Kriminelle im Internet bestellen.
Die Restauratoren müssen vielmehr herausfinden, wie die Fälscher arbeiten. „Es gibt Werke, bei denen geht es ganz leicht“, sagt Heydenreich. Bei anderen kann sich die Analyse über ein Jahr hinziehen. „Wir müssen so viel Vergleichsmaterial wie möglich aus gesicherten Werken generieren.“ In Datenbanken sollen die Daten gesammelt und auch anderen Experten und Wissenschaftlern als Vergleichsbasis zur Verfügung gestellt werden. Deshalb liegt ein Schwerpunkt des Instituts auf dem deutschen und besonders dem rheinischen Expressionismus. 2012 hat das Kölner Institut etwa zehn Fälschungen identifiziert. „Alles was teuer ist, ist fälschungsanfällig“, sagt Heydenreich. Aber auch die RFA-Pistole ist nicht die einzige wirksame Waffe im Kampf gegen Kunstfälscher. Allein das Kölner Institut listet 14 verschiedene Methoden zur wissenschaftlichen Analyse von Kunstwerken auf.
Dazu gehören neben der Standard-Lichtmikroskopie auch Infrarot-Reflektografie, mit der Unterzeichnungen sichtbar gemacht werden können, und UV-Strahlen, die Retuschen und Übermalungen erkennbar machen. Mit einem Rasterelektronenmikroskop sind zehntausendfache Vergrößerungen möglich. Bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse regt ein feiner Röntgenstrahl Atome in den Farbpigmenten zu elementspezifischer Strahlung an. Mit der Messung dieser Strahlung können die Experten Elemente in den Farben identifizieren. Nur einige Handgriffe sind dafür nötig.
Heydenreich tippt Daten in die Pistole ein. Nur 120 Sekunden braucht das Gerät für die Messung an einem Punkt. Allerdings schränkt Heydenreich ein: „Jedes Gerät kann nur bestimmte Pigmente feststellen.“ So könne die RFA-Pistole keine Teerfarben identifizieren, die aus Steinkohlenteer und Erdöl gewonnen wurden. Das kann ein 2012 erworbenes Raman-Mikroskopspektrometer. „Wichtig ist, dass wir verschiedene strahlendiagnostische und materialanalytische Methoden anwenden und dass Restauratoren, Naturwissenschaftler und Kunsthistoriker zusammenarbeiten“, sagt Heydenreich. Auch vor Gegenwartskunst von Gerhard Richter oder Georg Baselitz schrecken die Fälscher nicht zurück. Die noch lebenden Künstler sind dann die letzte Beweisinstanz, denn sie sollten wissen, was sie gemalt haben. Müssen sie demnächst nachweisen, dass sie ein Bild nicht gemalt haben?
Wolfgang Beltracchi
Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi löste einen der größten Skandale auf dem deutschen Kunstmarkt aus. Im Oktober 2011 wurde er nach einem Geständnis zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Beltracchi hatte zusammen mit seiner Frau Helene und zwei Komplizen gestanden, jahrelang Fälschungen als Werke von Künstlern wie Max Ernst, Max Pechstein, André Derain, Fernand Léger und Heinrich Campendonk in den Markt geschleust zu haben. Dafür kassierte er mindestens 16 Millionen Euro. Der Gesamtschaden durch den Weiterverkauf der Werke wird auf etwa 34 Millionen Dollar geschätzt. Im Kölner Prozess ging es nur um 14 Kunstwerke, aber identifiziert wurden mehr als 50 Beltracchi-Fälschungen. Vermutet wird, dass es noch weit mehr gefälschte Werke aus seiner Werkstatt gibt. Schon in den 80er Jahren soll Beltracchi, der damals noch Fischer hieß, sich als Kunstfälscher betätigt haben. Renommierte Kunstexperten und weltbekannte Auktionshäuser fielen auf die Fälschungen herein. Die Bilder hingen auch in Museen. Beltracchi und seine Frau Helene wurden Ende August 2010 in Freiburg festgenommen. Sie bekam eine vierjährige Haftstrafe, der Komplize Otto S.-K. fünf Jahre, Helene Beltracchis Schwester eine Bewährungsstrafe. Das Ehepaar Beltracchi verbüßt die Gefängnisstrafen im offenen Vollzug. Text & Foto: dpa