
Das englische Idiom „through his teeth“ bedeutet, dass da einer das Blaue vom Himmel herunter lügt. Dass man unter diesem Titel mit dem Nachsatz „Im Fadenkreuz der Lüge“ eine Oper gestalten kann – die eben im Großen Haus des Meininger Theaters Premiere hatte –, kommt einem nicht als Erstes in den Sinn. Eher noch, dass jemand das Trumpsche Lügenimperium und seine Breitenwirkung als abendfüllendes Musikdrama auf die Bühne bringen wollte.
Der britische Komponist Luke Bedford und sein Librettist David Harrower hatten bei der 2013 uraufgeführten Oper einen Kriminalfall im Auge, bei dem ein Autoverkäufer über Jahre mehrere Frauen in absolute Abhängigkeit von sich brachte. Zuerst mit wortgewandtem Charme, dann mit psychischer und körperlicher Gewalt. Das mephistophelische Thema von der Verführbarkeit des Menschen packen Bedford und Harrower in die Geschichte einer Frau, die einer TV-Interviewerin im Studio Rede und Antwort steht. In sechzehn kurzen Szenen öffnet sich dabei immer wieder in Rückblenden die Dynamik des Prozesses, der zum Verlust der Selbstachtung der Frau führte.
Die Drehbühne erlaubt übergangslose Szenenwechsel
In der Meininger Inszenierung von Ansgar Haag mimt Anne Ellersiek diese Frau namens A, Marianne Schechtel ihre Schwester, die sie retten will, Shin Taniguchi gibt den psychopathischen Verführer R und Carolina Krogius schlüpft in die Rolle der Interviewerin. Das Stück ist als Kammeroper angelegt, hier mit Musikern (Klarinette, Trompete, Akkordeon, Streicher, Harfe und Schlagzeug) der Meininger Hofkapelle unter Leitung von Generalmusikdirektor Philippe Bach. Bühnenbildner Christian Rinke hat – unter kräftigem Einsatz von Dreh- und Hebebühne – eine betont nüchterne Kulisse aus verschiedenen Schauplätzen entworfen, die einen nahezu übergangslosen Szenenwechsel ermöglicht. Die Alltagskostüme entwarf Kerstin Jacobssen.
So entwickelt sich eine enorme Spannung zwischen Bühne, Orchestergraben und Zuschauerraum. Die Ursache dieser Spannung erschließt sich erst mit der Zeit. Das für die Ohren der meisten Hörer ungewöhnliche Tonuniversum aus dem Untergrund umhüllt die Handlung und treibt sie voran. Wenn man im Programmheft von der „Vierteltönigkeit“ der instrumentalen Begleitung liest, die sich „zu einem zunehmend störenden, durch Repetition aggressiv werdenden Klangstachel“ wandelt, dann ist das weniger hilfreich als sich diesen Klängen hinzugeben wie dem Sound der Filmmusik eines Thrillers.
Erstaunlich, welche Sogwirkung die Geschichte entwickelt
Der Fluss des Gesangs (englisch, mit deutscher Übertitelung) scheint sich der alles bestimmenden Klangatmosphäre immer wieder entgegenzustemmen. Anne Ellersiek gibt dem persönlichen Schmerz ihrer Figur glaubwürdig Raum. Durch Liveprojektion ihres Gesichts auf einen kreisrunden Bildschirm kommt einem die Unmittelbarkeit des Leids noch näher. Shin Taniguchi spielt als R souverän die diabolische Karte, und Carolina Krogius wandelt sich im Lauf der Handlung auf wundersame Weise. Auch wenn in dem knapp einstündigen Werk Details und Dynamik der psychischen Veränderung nur angedeutet werden, ist es erstaunlich, welche Sogwirkung die Geschichte entwickelt. Nicht zuletzt dank der Künstler auf der Bühne und im Orchestergraben, die sich in dieser Welt zurechtfinden, in der Harmonik und Melodik nichts zu suchen haben.
Nächste Vorstellungen: 10. und 24. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon: (03693) 451 222. www.meininger-staatstheater.de