Der Blick vom zwölften Stock der Elbphilharmonie auf Hafen und Stadt Hamburg ist umwerfend. Backstage herrscht das übliche geordnete Gewusel vor dem Konzert. Musiker in Konzertkleidung, Summen und Sirren der Geigen, ein Monitor, der einen Blick in den leeren Konzertsaal zulässt. Das Blech hängt noch an der Wand, die Harfen werden gestimmt.
Mittendrin Julia Rutigliano, die Mezzosopranistin, die in der konzertanten Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ eine der Rheintöchter, die Wellgunde, singen wird. In der geräumigen Garderobe, die sie mit den beiden anderen Rheintöchtern teilt, hat sie sich, am Flügel sitzend oder in entschlossenen Schritten auf- und abgehend, eingesungen. Der Blick geht durch die bodentiefen Fenster zu den beiden Heißluftballons am für Hamburg seltenen blitzblauen Himmel oder in den großen Spiegel vor dem Schminktisch. In der Maske war sie schon. Nun hat sie ein paar Minuten für ein Gespräch.
Die in Würzburg geborene und aufgewachsene Künstlerin freut sich auf das Konzert mit dem NDR Elbphilharmonieorchester unter der Leitung von Marek Janowski. Es ist ihre erste Arbeit mit ihm, der den erkrankten Thomas Hengelbrock vertritt.
Während ihrer Karriere hat die im November 2014 mit dem Kulturförderpreis ihrer Heimatstadt ausgezeichnete Sängerin bereits unter einigen namhaften Dirigenten gesungen, etwa beim Maggio Musicale in Florenz oder einer Konzerttournee in Israel unter Zubin Metha, an der Semperoper unter Christian Thielemann, in der Staatsoper Berlin unter Daniel Barenboim und im Concertgebouw Amsterdam unter Valery Gergiev.
Außerdem debütierte sie in Wagners „Ring“ in Bayreuth unter Kirill Petrenko. Ihr Repertoire besteht aus den großen Mezzo- und Altpartien im Opern-, Oratorien- und Konzertfach. Aber auch zeitgenössische Werke – wie beispielsweise vor zwei Jahren am Würzburger Dom anlässlich des Gedenkkonzerts zum 16. März – stehen in ihrem Terminplan.
Mittlerweile gehört ihre große Liebe den Kompositionen von Richard Wagner. Damals als Schülerin im Matthias-Grünewald-Gymnasium, wo die „Meistersinger“ auf dem Lehrplan standen, war sie noch nicht so begeistert. „Wagners Musik bin ich erstmals bewusst begegnet als Zuhörerin in der Aufführung des ,Holländer' in der Inszenierung von Katharina Wagner am Würzburger Theater“ erinnert sie sich. „Inzwischen gibt es eine ganz intensive Freundschaft zwischen uns.“
Julia Rutigliano lacht und denkt zurück an ihren Auftritt als Venus im „Tannhäuser“. „Normalerweise bin ich leicht nervös vor einem Auftritt. Doch damals in Bremen habe ich während des Vorspiels gespürt, wie unglaublich ich mich darauf freue, gleich singen zu dürfen.“ Ihre braunen Augen blitzen, und sie strahlt über das ganze Gesicht mit dem kleinen Grübchen am Kinn. Da ist es folgerichtig, dass sich die junge Sängerin wünscht, einmal die Kundry im „Parsifal“ zu singen.
Trotz dieser großen Liebe ist Julia Rutigliano nicht auf Wagner festgelegt. Auch die Titelpartien von „Carmen“ von Bizet in Berlin und „La Favorite“ von Donizetti am Staatstheater Cottbus und Massenets „Werther“ am Nationaltheater Weimar hat sie mit Leidenschaft gegeben.
In Weimar war sie auch als Octavian im „Rosenkavalier“ zu bewundern – eine Hosenrolle ganz nach dem Geschmack der Sängerin, in der sie außer ihrem Gesangs- auch ihr Spieltalent beweisen kann. „Ich liebe Opern, weil ich da am meisten Erfahrung habe“, sagt sie und erinnert sich an das Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“, bei dem sie schon als Schülerin und Mitglied der Würzburger Mädchenkantorei mitwirkte. „Oh ja, in Würzburg würde ich auch jederzeit wieder singen.“ Ein kleiner Seufzer der Künstlerin, die in diesem Jahr noch in Dresden und in Peking auftreten wird.
Was macht es mit einer Sängerin, in einem Saal zu singen, um den so ein großer Hype gemacht wird? „Das ist toll. Da kommt eine Gewalt vom Publikum rüber, das gibt so viel Kraft wie aufs Meer zu schauen.“ Was die viel gepriesene Akustik betrifft: Das sollen die Zuhörer beurteilen, nicht die Sänger, meint sie lächelnd. Und schon wieder liegt ihr ganzer Charme in ihrer dunklen Stimme. „Aber zum Singen war die Akustik sehr gut.“
Und wie hält man sich für einen Beruf fit, der neben einer gepflegten Stimme körperliche Hochleistung erfordert? „Ich tu das normalerweise mit Fitnesstraining und Kickboxen“, erzählt sie. Momentan läuft allerdings alles ein bisschen anders. Seit vier Monaten ist Julia Rutigliano Mutter eines kleinen Buben, den sie abwechselnd mit ihrem Mann, dem Schlagzeuger Lorenz Rutigliano, betreut. Noch schläft der Kleine bei täglichen Übungen und intensiven Proben ganz ruhig auf ihrem Arm.
Doch das wird sich ändern. Berufstätigkeit mit Kind erfordert besonders für Künstler mit variablem Arbeitsplatz noch konkretere Planung des Tages. Deshalb hat die Sängerin eine Facebook-Gruppe „Singing Mama“ gegründet, um ein Netz an vertrauenswürdigen Betreuerinnen zu knüpfen. Der Gruppe gehören schon 450 Profisängerinnen an.