Zum Zeitpunkt des Telefoninterviews probt Julia Lezhneva gerade in Athen für Salzburg: die Oper "Polifemo" des Barockkomponisten Nicola Antonio Porpora, die wenige Tage später bei den Salzburger Pfingsfestspielen von Cecilia Bartoli aufgeführt werden wird. Die Sopranistin Lezhneva, 29, singt vorwiegend barockes Repertoire, ihre makel- und mühelosen Koloraturen sorgen international für Furore. In diesem Jahr ist sie Artist in Residence des Kissinger Sommers, dem Festival also, bei dem die Bartoli, über viele Jahre Triumphe feierte.
Frage: Russische Sängerinnen befassen sich in der Regel nicht so oft mit Barockmusik. Welche Rolle hat Cecilia Bartoli dabei gespielt, dass Sie eine Ausnahme von der Regel sind?
Julia Lezhneva: Als ich elf oder zwölf war und gerade anfing meine Stimme zu entdecken, hörte ich zum ersten Mal Cecilias Vivaldi-Album. Das hat alles verändert, meine ganze Sicht auf Musik. Es hat mir eine vollkommen neue Welt eröffnet. Ich war so unglaublich fasziniert und konnte schlicht nicht glauben, was ich hörte. Diese Stimme, diese Musikalität, diese Agilität. Ich habe sofort versucht, all diese wunderbaren Arien und Koloraturen zu imitieren. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass diese Art Musik für die Stimme überhaupt existierte.
Wird das in Russland nicht unterrichtet?
Lezhneva: Besonders junge Sängerinnen bekommen in Russland nicht solch unglaubliche Arien. Man fängt ganz klein an, mit kleinen Verzierungen. Aber es war klar, dass meine Stimme sehr agil war, und als ich das Album entdeckte, war ich sofort der größte Fan. Und ich versuchte sofort, an die Noten heranzukommen.
Wenn Sie Koloraturen singen, scheint Ihnen das keinerlei Mühe zu machen. Ist das Talent oder harte Arbeit – vermutlich beides?
Lezhneva: Es ist wohl beides. Natürlich habe ich von Natur aus eine sehr agile Stimme. Tatsächlich sogar zu agil, und ich musste erst lernen, diese Stimme zu bändigen. Ich konnte das Tempo nicht kontrollieren und sang immer Prestissimo. Da ich auch Klavier spielte, wurde mir klar, dass das ein Problem war. Es war ein sehr interessanter Prozess, an meinen Nerven zu arbeiten. Denn wenn man zu aufgeregt wird, kann man sein Instrument nicht mehr kontrollieren. Ich lernte also, Allegro zu singen, sogar Allegretto. Und ich lerne immer noch.
Inzwischen singen Sie nicht mehr nur Barock und Klassik, sondern auch Romantik und russisches Repertoire. Wie weit, glauben Sie, wird sich Ihre Stimme noch entwickeln?
Lezhneva: Ehrlich gesagt, plane ich da nicht. Es ist sehr schwer, jetzt schon zu sagen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Ich singe ja nicht sehr viel Oper, deshalb habe ich das große Privileg, recht kurzfristig planen zu können. Aber das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Man weiß nie, wo das Leben einen hinführt, und wie sich der Körper verändern wird. Ich habe ja noch keine Kinder, ich weiß aber von vielen Kollegen, dass sich dadurch die Stimme verändert. Aber eigentlich denke ich über all das nie nach, weil ich mich so gesegnet fühle, mich in der Barockwelt bewegen zu dürfen. Mit diesem riesigen Publikum, das einem so viel Liebe gibt.
Gibt es einen Grund dafür, dass Sie so wenig Oper singen? Dass Sie das Konzert vorziehen?
Lezhneva: Ich mag beides sehr. Derzeit bin ich sehr glücklich mit der Regelung, nur zwei Opern pro Saison zu singen. Ein bisschen Bühnenarbeit ist für mich sehr interessant und extrem hilfreich. Was ich dort lerne, spüre ich dann im Konzert. Dort fühle ich mich dann noch entspannter. In gewisser Weise ist es leichter auf der Bühne eine Rolle zu spielen, als im Konzert zu singen. Man muss zwar auf vieles mehr achten, aber alles ist viel logischer, man kann sich die Abläufe viel leichter merken.
Und im Konzert?
Lezhneva: Im Konzert ist das völlig anders. Man ist für alle vollkommen transparent: für die Musik, die Kollegen und das Publikum. Wenn du allein bist, geht es nur um deine Stimme und deinen Ausdruck. Ich kann dort in mich gehen und mir alles vorstellen. Ich bin mein eigener Bühnenregisseur. Ich kann nur da stehen und zum Medium der Musik werden und alles emotional so intensiv wie möglich machen. Das kann einem die Oper nie geben, weil noch so vieles zusätzlich passiert.
Haben Sie eine Lieblingsarie – eine, bei der alles so ist, wie es sein soll?
Lezhneva: Das ist schwer, und das wäre unhöflich, den anderen Arien gegenüber. Aber ich weiß jetzt, wie ich antworte: Wenn ich ein Programm singe, das ich gut kenne, wo ich mich frei fühle, wo mich nichts ablenkt, dann kann es passieren, dass die Zeit stehen bleibt. Dann kontrolliert die Musik die Zeit. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Das klingt vielleicht ein bisschen verrückt, aber da ist dann ein Gefühl von Ewigkeit. Oder von Schwerelosigkeit wie in "Alice im Wunderland".
- 27. Juni, 20 Uhr, Max-Littmann-Saal: Barocke Bravourarien von Bach, Vivaldi und Händel
- 3. Juli, 20 Uhr, Erlöserkirche: "Herzensstürme", Lieder von Rameau, Haydn, Schubert, Rossini, Tschaikowsky und Rachmaninow
- 14. Juli, Abschlusskonzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Chor des Bayerischen Rundfunks. Arien von Mozart und Beethoven
- Karten: Tel. (0931) 6001 6000