Zwölf Jahre lang war sie die Sängerin von Wir Sind Helden und so eine Art Aushängeschild des guten Deutschlands. Dann trennte sich die Band, Judith Holofernes, die vom deutschen Feuilleton geliebte Text-Poetin, machte sich locker, schrieb Tiergedichte und kümmerte sich gemeinsam mit Ehemann und Helden-Schlagzeuger Pola Roy um Friedrich (7) und Mimi (4). Judith Holofernes ist inzwischen 37 und vor allem: wieder da. „Ein leichtes Schwert“ heißt ihr Soloalbum, es klingt ungeschliffen, andererseits nicht total anders als eine Helden-Platte. Warum sie ihren Beruf mehr liebt, als sie dachte, und wieso sie ihren Kindern nicht verrät, wo ihr Studio ist, erzählt sie im Interview.
Judith Holofernes: Das ist lange her. Ich arbeite halt auch wahnsinnig gerne. Am liebsten würde ich so anfallshaft arbeiten, wenn die Energie da ist. Und dann ohne jegliches schlechtes Gewissen bis nachmittags schlafen und den restlichen Tag im Park spazieren gehen. Das ist mit Kindern natürlich nicht so einfach.
Holofernes: Nein, ich finde das wahnsinnig spannend. Müßiggang ist ein hochprovokantes Thema. Die Leute reagieren unheimlich stark darauf. Alle träumen davon, in der Hängematte zu liegen, und reden auch ständig darüber. Nur: Wenn das wirklich mal jemand macht, werden viele richtig fuchsig.
Holofernes: Müßiggang ist total nah an der Anarchie. Müßiggänger wirken gefährlich, weil sie Zeit haben zum Nachdenken. Nichtstun ist eine Art ultimativer Protest, der viel Spaß macht und in dem ganz viel Freiheit liegt. Das Thema ist ein gesellschaftliches Tabu. Dabei tut es unheimlich gut, einfach mal gar nichts zu machen und nur dazusitzen.
Holofernes: Klar. Die Freiräume muss man sich dann halt schaffen. Pola und ich, wir wechseln uns ab mit der Kinderbetreuung. Und wir versuchen, die beiden nicht zu überfrachten mit irgendwelchen Erziehungsmaßnahmen oder Aktivitäten. Die sollen ruhig auch mal arschfrech sein. Mein Lieblingsautor zur Zeit ist Tom Hodgkinson, eines seiner Bücher heißt „The Idle Parent“, also „Das faule Elternteil“. Herrlich, wie dreist der den Tag durchdekliniert und aufschreibt, zu welcher Stunde genau das Kind welche Aktivität eben nicht machen soll. Ich bin überzeugt, es kommt den Kindern zugute, wenn Eltern entspannt sind und auch mal was laufen lassen.
Holofernes (lacht): Ich wollte das wirklich. Ich hatte seit Jahren über meine Verhältnisse gelebt, ich brauchte die Pause wirklich dringend. Es ging einfach nicht mehr so weiter.
Holofernes: Wir haben uns nicht getrennt, weil es keinen Grund dafür gäbe. Wir haben uns nicht zerstritten und nicht aufgelöst. Das eindeutige Gefühl aber war: Wir können das die nächsten Jahre so nicht mehr machen. Ich liebe diese Band immer noch, aber es war schon ein Loslassen.
Holofernes: Nein. Wir haben uns eher deshalb nicht aufgelöst, weil wir nicht ausschließen können, noch mal was zusammen zu machen. Aber das war kein Lebenskonzept mehr. Wir wohnen immer schon in drei verschiedenen Städten, haben zusammen fünf Kinder, und für jede Probe mussten sich zwei Leute in den Zug setzen.
Holofernes: Ziemlich schnell. Noch vor dem letzten Helden-Album, das ja im Grunde eine einzige große Erschöpfungsplatte war. Ich glaube, wir haben uns die ganze Zeit etwas vorgemacht. So leicht und unkompliziert, wie es aussah, war das längst nicht. Ich bin mit diesem Hippie-Hintergrund aufgewachsen, hatte sehr romantische Vorstellungen. Mir gefiel die Idee, mit den Kindern unterwegs zu sein, und für die Kinder war das auch super. Für die war das eine riesige „Sendung mit der Maus“, mit Lichtpulten, Gabelstaplern und großen Lastwagen. Aber für uns war es die Hölle (lacht).
Holofernes: Nein, Pola bleibt zu Hause bei Friedrich und Mimi. Der Große ist jetzt sieben und geht in die Schule. Ich weiß übrigens auch gar nicht, was aus der Band geworden wäre, wenn wir keine Kinder bekommen hätten. Zwölf Jahre Wir Sind Helden sind eine wirkliche lange Zeit, und zum Teil war die echt märchenhaft. Da kann man das Buch auch mal zu machen.
Holofernes: Überhaupt nicht. Ich habe lustige Tiergedichte geschrieben und mich ein bisschen in meinem Blog ausgetobt. Ich wollte mich einfach zurückziehen, sehr viel privater sein. Ich hätte vor zwei Jahren eher gewettet, dass ich ein Buch schreibe.
Holofernes: Kindheitserinnerungen. Ich hätte viel zu erzählen über meine Familie und darüber, wie ich aufgewachsen bin – auch wenn eine innere Stimme mir sagt „Lass es lieber, das machen ja schon alle“. Nach ungefähr vier Monaten hatte ich plötzlich wieder Lust, Musik zu machen. Das Bedürfnis war wieder da, offensichtlich liebe ich meinen Beruf noch mehr, als ich dachte. Dass das so schnell passierte, hat mich selbst gewundert. Ich habe mir dann bei uns in der Nähe eine kleine Arbeitswohnung genommen und dort an den Liedern gebastelt.
Holofernes: Nein! (lacht) Das wird denen auch nicht verraten. Jeder, der versucht, mit kleinen Kindern zu Hause zu arbeiten, weiß, wovon ich rede. Ständig fällt Schule aus, und dann stehen sie auf der Matte, obwohl du denkst, dass du noch zwei Stunden deine Ruhe hast. Diesen Raum nur für mich zu haben, das war eine große Befreiung.
Holofernes: Ich fühle mich in keinster Weise von den anderen befreit, weil die mich nicht eingeengt haben. Die Freiheit liegt für mich in dem Akt selbst. Darin, dass ich mich getraut habe, diese Platte zu machen. Alles passierte sehr leicht und ungezwungen. Unser Motto war „not trying too hard“, wir wollten uns keinen abbrechen.
Holofernes: Ich merkte schnell, in welche Richtung es geht – dass die Platte leicht, energetisch, gut gelaunt, aus der Hüfte geschossen und ungeschliffen werden würde. Ich hatte Bammel davor, dieses Album zu machen, und vielleicht klingt es genau deshalb so euphorisch. Ich bin früh mit Motown sozialisiert worden und habe eine lang anhaltende Liebe zu Groove-Musik. Am höchsten schlägt mein Herz immer, wenn Groove und Punk zusammenkommen. Ich stehe zum Beispiel total auf die Violent Femmes oder auf Joe Strummer. Und wenn ich irgendwelchen Sport mache, dann ist das Tanzen. Tanzen ist für mich wahnsinnig wichtig, weil ich ja ansonsten doch ziemlich der Kopfmensch bin.
Holofernes: Das ist ein Liebeslied über erwachsene Leute. Ich wollte schon ganz lange über eine echte Liebe mit echten Hindernissen schreiben – ob das nun Kinder sind, Schwiegereltern, die Arbeit, der Computer oder wer den Müll rausbringt. Ich war immer schon so gestrickt, dass mir dramatische Liebesgeschichten am Arsch vorbeigehen. Ich sympathisiere viel mehr mit ganz normalen Menschen, die sich trauen, wirklich eine Beziehung zu führen. Richtig romantisch wird es für mich erst, wenn man dranbleibt.
Holofernes: Oh ja. Der Song ist ein großes, befreiendes Ausschütteln.
Holofernes: Ich hatte ein paar hübsche Zeilen geschrieben, aber wieder gestrichen. Ich bin gerade gar nicht so auf Krawall gebürstet, und so was wie mit der Bild mache ich auch nicht alle drei Monate. Sondern nur, wenn mir jemand wirklich falsch kommt.
Holofernes: In Talkshows zu sitzen, war nie Teil meiner Vision. Aber ich will mich da nicht beschweren, ich finde das meistens schön. Ich bin total dankbar, dass wir nie nur auf den Pop beschränkt waren, denn das wäre ja furchtbar langweilig. Ich finde es toll, dass ich auch mit Feuilleton-Journalisten sprechen kann.
Holofernes: Überhaupt nicht. Da schätzen mich viele Leute falsch ein. Ich will immer nur meine Meinung sagen, und dann ist gut. Ich habe keinen missionarischen Impuls und keine Lust am Debattieren. Ich habe in den Talkshows viele Politiker kennen gelernt, und bei manchen merkst du richtig, wie die an diesem Job kaputtgehen. Gar nichts gegen die Leute, ich schätze deren Arbeit sehr, aber irgendwas geschieht da mit deiner Persönlichkeitskonfiguration. Selbst die nahbaren, lustigen und sympathischen Politiker sind immer nur auf einige Aspekte fokussiert und ständig auf Sendung. Man kommt denen nicht nahe. Ich finde das eher abschreckend und bin froh, dass das nicht meine Kollegen sind.
Holofernes: Das Albumcover sollte aussehen wie bei einer kitschigen 60er-Jahre-Countryplatte, ich mittendrin als eine Art Dolly-Parton-Zitat. Die Fotos sind lustig geworden, auch wenn das Cover jetzt anders aussieht. Und ich, na ja, ich bin jetzt eben blond.