Gegen Konventionen hat Joni Mitchell schon immer verstoßen. Warum warten? Sie ließ sich fast ein halbes Jahr zu früh für ihren 70. Geburtstag feiern. An diesem Donnerstag, 7. November, ist es nun wirklich so weit. Aber wo sie den großen Tag verbringt, verrät die Frau, die so viele Talente in sich vereint und sich in so viele Genres getraut hat, nicht. Nur, dass Freunde und Kollegen in aller Welt ihr zu Ehren seit Monaten Konzerte geben, ist auf ihrer Website zu lesen. Mitchell ist so schwer einzugrenzen wie das Land, aus dem sie kommt.
In der kanadischen Prärie, der endlosen Weite von Saskatchewan, aufgewachsen, wurde sie in den 60er Jahren als Folksängerin bekannt. „Den weiblichen Bob Dylan“ nannte man sie. Die Guinness-Enzyklopädie rühmte sie als „eine der geschliffensten Stimmen der Pop-Musik“. Die Rock'n'Roll Hall Of Fame erklärte, Mitchell sei „unmöglich zu kategorisieren“. „Brillant“ rühmte Herbie Hancock die Jazzambitionen seiner Kollegin. Wenn man Mitchell höre, „denkt man unwillkürlich an Billie Holiday oder Abbey Lincoln“, sagte er. Vor einem Jahrzehnt zog sich die Sängerin, Songwriterin und Gitarristin zurück und arbeitete nunmehr fast ausschließlich als Dichterin und Malerin.
Roberta Joan Anderson
Ihre Karriere hatte sie in Torontos Folk- und Rockszene begonnen, aus der auch Gordon Lightfoot hervorging. Dabei hatte sich die Tochter einer Lehrerin und eines Fliegeroffiziers mit dem bürgerlichen Namen Roberta Joan Anderson das Gitarrespielen mit einer Schallplatte des Folk-Giganten Pete Seeger selbst beigebracht. Sie ging aufs College, wurde schwanger und gab ihr Baby zur Adoption frei. Die Ehe mit ihrem Kollegen Chuck Mitchell brachte sie 1965 in die USA, hielt aber gerade mal ein Jahr. In New York half ihr David Crosby von den Byrds, ihre erste LP zu produzieren – „Joni Mitchell“ (1968). Das dritte Album, „Ladies of the Canyon“ mit dem bekannten „Big yellow taxi“, schaffte es 1970 unter die Top 30. „Court and Spark“ (1974), eine lebhafte Jazz-Pop-Platte, wurde millionenfach verkauft und machte die Sängerin richtig populär.
Neben der eigenen Arbeit beteiligte sie sich mit Joan Baez, Roger McGuinn und Allen Ginsberg an Bob Dylans „Rolling Thunder Tour“ zugunsten des wegen Mordes verurteilten Boxers Rubin „Hurricane“ Carter. Außerdem schrieb sie mit „Woodstock“ einen Hit für Crosby, Stills, Nash & Young und die Hymne des legendären Festivals. Mit ihrem achten Album, „The Hissing Of Summer Lawns“ (1975), wendete sich Mitchell dann dem Jazz zu. In „The jungle line“ vereinte sie Synthesizerklänge mit dem ekstatischen Rhythmus burundischer Trommeln, und „Shadows and light“ hat beinahe religiösen Charakter.
Ein ergreifendes Werk gelang ihr 1979 mit „Mingus“. Es enthält Kompositionen des damals todkranken Jazzbassisten und -komponisten Charles Mingus, für die er Mitchell um Texte bat. Sie fügte zwei eigene Kompositionen hinzu und ergänzte das Album durch Ausschnitte aus Gesprächen mit Mingus und seinen Freunden.
Eher Argwohn als Anklang
Doch je weiter sie sich vom Mainstream entfernte, desto weniger Absatz fand ihre Musik. Mit dem Ausflug in den Jazz verscherzte sie es sich mit Rockfanatikern, und unter Jazzpuristen erntete die frühere Folkmusikerin eher Argwohn als Anklang. Doch das stimmte sie nicht um. Mit Unterstützung ihres Bassisten und zweiten Ehemannes Larry Klein entstanden künstlerische Höhenflüge wie „Turbulent Indigo“ und „Taming The Tiger“ mit fast orchestralen Gitarrenparts. Parallel widmete sich Mitchell der Malerei und hatte Ausstellungen in Tokio, Toronto und London.
Ende der 90er Jahre ging die Sängerin Mitchell, wie sie sagt, „in Rente“. Herbie Hancock gelang es 2007 jedoch, sie wieder ins Studio zu locken. Mit Stars wie Tina Turner, Norah Jones und Leonard Cohen produzierte er ein Album zu ihren Ehren: „River: The Joni Letters“.
Das Projekt inspirierte Joni Mitchell. Sie gab die neue CD „Shine“ heraus. Seitdem kämpfte die frühere Polio-Patientin einmal mehr mit der Gesundheit. Nur gelegentlich, so wie im Juni in Toronto, geht sie noch ans Mikrofon – und begeistert ihr Publikum.