
Ich gehöre einer Generation an, bei der die „Beatles- oder Stones-Frage?“ existenziell war, über die Zusammensetzung des Freundeskreises entschied, oder auch mal Freundschaften zumindest schwer belasten konnte.
Ich war damals eher ein Außenseiter. Beatles gingen gar nicht, Stones erst viel später. Mich hat es anderweitig erwischt. Ich weiß nicht mehr, Fernsehen („Beat Club“) oder Radio („Club 16“)? Irgendwo hatte ich „Hey Joe“ aufgeschnappt und war elektrisiert. Das war so ganz anders als alles, was ich bisher gehört hatte. Das muss so Ende 1968 gewesen sein. Meine Nachforschungen ergaben, dass es eine Langspielplatte von der Gruppe geben musste. „Are You Experienced?“ benannt und – bitter für einen 13-Jährigen – über 15 Mark teuer. Trost verschaffte mir, dass man damals in den meisten Plattenläden mit Kopfhörern Probe hören konnte. Aber mehr als zweimal ging das auch nicht.
Sparen war also angesagt, und diskreter Druck auf Oma, man habe da so eine Folkloregruppe gehört, von der man unbedingt die Platte brauche, aber es fehlten noch fünf Mark. Hat dann auch geklappt. Und ich war im siebten Himmel – mit Jimi Hendrix, der an diesem Montag 75 Jahre alt geworden wäre.
Jimi hat seit damals mein ganzes Leben begleitet. Ich habe sicher viel Mist in den Regalen, aber wenn ich eine gute Aufnahme von „Voodoo Child Slight Return“ höre, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Mit anderen Nummern ergeht es mir ähnlich. Zum Mist: Jimi war ein besessener Perfektionist, ein Musiker durch und durch. Immer wieder Aufnahmesessions, nochmals alle Tracks gespielt, neue Overdubs, und wenn alle im Bett waren oder in der Bar, ist Jimi zurück ins Studio, hat die Basslines von Noel Redding gelöscht und selbst eingespielt. Was diesen nicht unbedingt erfreute – aber zu einer fast unübersichtlichen Fülle an Musik führte.
Der „Club 27“
Jimi Hendrix gehört zu den Künstlern, die nach ihrem Ableben finanziell erfolgreicher waren als zu Lebzeiten. Gerade mal fünf Platten erschienen bis zum 18. September 1970, Jimis Todestag, und die Eintrittskarte in den „Club 27“ – Künstler, die mit 27 Jahren starben, vom genialen Blueser Robert Johnson bis Amy Winehouse. Nach Jimis Tod gab es immer wieder Raubpressungen, Bootlegs und zweifelhafte Zusammenstellungen von minderer Qualität. Platten und CDs von Gruppen bei denen er als Begleitmusiker gewirkt hat, wurden plötzlich Hendrix-Scheiben. Gruselig. Aber ich gestehe: Ich habe auch einige.
Über viele Jahre gab es juristische Auseinandersetzungen über Jimis musikalisches Vermächtnis. Er war Musiker, kein Geschäftsmann und oft schlecht beraten. Deshalb schloss er nicht immer gute Verträge ab, musste Aufnahmen für diesen oder jenen nachliefern und machte – neben den zahlreichen Liveauftritten – fanatisch Studioaufnahmen. Was zu einer Fülle an Material führte, aber auch zu mancherlei Mist. Jeder, der irgendwie glaubte, ein Recht an Jimis Einspielungen zu haben, veröffentlichte sie auch.
Erst als die Familie alle Rechte in ihrer Hand hatte, steigerte sich die Qualität der Neuausgaben. Und zwar beträchtlich. Bestes Beispiel: „Machine Gun“, der erste komplette Auftritt im Filmore East (31. Dezember 1969), der als Doppel-LP neu herausgegeben wurde. Gänsehaut pur. Jimi hat die Band of Gypsys neu aufgestellt, mit seinem alten Armee-Kumpel Billy Cox (statt Noel Redding) am Bass und Buddy Miles (statt Mitch Mitchel) an den Drums. Miles spielt sehr selbstbewusst, als sei er der Leader. Aber der Chef im Ring bleibt Jimi.
Sehr beliebt waren damals „Gitarren-Duelle“. Mike Bloomfield von der Butterfield Blues Band machte da so seine Erfahrung: „Er wusste, wer ich war und er verbrannte mich bei lebendigem Leib. Ich holte danach nicht mal mehr meine Gitarre raus.“ Was machte ihn so außergewöhnlich? Alles! Er stellt mit seiner Gitarre und der Technik Dinge an, die sich andere nicht einmal vorstellen konnten. Oft wurde nach dem zweiten Gitarristen gesucht, es gab aber keinen. Der Linkshänder spielte eine Rechtshändergitarre ebenso wie hinter dem Kopf, zwischen den Beinen, liegend, oder mit Zähnen und Zunge. Er rammte sein Instrument in die Verstärker und entlockte dem Equipment bislang ungehörte Töne.
Gitarren-Feuer
Und 1967 auf dem Monterey Pop Festival malträtierte er sein Instrument zum Schluss mit Feuerzeugbenzin und zündete es an. Was wiederum durchaus zu einer interessanten Klang-Kakophonie führte. Und Woodstock! Obwohl im August 1969 wirkliche Rockgrößen auf dem Festival auftraten, hat man in der Rückschau das Gefühl, Jimi Hendrix sei dort alleine aufgetreten. Dabei war das Festival eigentlich schon vorbei, als er am Montagmorgen vor rund 30 000 Menschen die US-Nationalhymne pulverisierte. Was gemeinhin als Protest gegen den Vietnamkrieg verstanden wurde. Aber Hendrix konnte auch anders. „Little Wing“ – ein wunderschönes, sanftes Lied. Und Blues! „Bleeding Heart“ zum Beispiel, oder „Red House“, ein fesselnder Gitarren-Blues, der von 3:42 schon mal auf rund 17 elektrisierende Minuten anwachsen konnte.
Was Jimi heute machen würde? Sicher nicht mehr auftreten, sondern im Studio jammen, experimentieren und alle Möglichkeiten der modernen Technik ausloten – und darüber hinaus. So wie er es mit der Gitarre auch gemacht hat.
Literatur: Charles R. Cross: Jimi Hendrix – Hinter den Spiegeln (Hannibal Verlag). Gary Jucha: Der ultimative Jimi Hendrix Guide (Hannibal Verlag). Harry Shapiro, Caesar Glebbeek: Jimi Hendrix, Electric Gypsy. Jimi Hendrix: The Ultimate Lyricbook, compiled by Janie L. Hendrix (Backbeat Books)
Daten zu Jimi Hendrix
Geboren am 27. November 1942 als John Allen Hendrix (später umbenannt in James Marshall Hendrix) in Seattle im US-Bundesstaat Washington als Sohn eines Afroamerikaners und einer Mutter indianisch-irischer Abstammung. Kindheit und Jugend: nach der Trennung der Eltern im Jahr 1950 bei Verwandten der Mutter. Freiwilliger Dienst bei der Luftlandedivision der US-Army 1961; Entlassung aus der Armee 1962. Erste Jobs als Begleitmusiker, unter anderem für The Isley Brothers. Musikalische Einflüsse: Chicago-Blues, Chuck Berry, Elvis Presley, Little Richard, Elmore James und B.B. King, später Bob Dylan, The Beatles, John Coltrane, Charles Mingus, Miles Davis.
Gründung des Trios The Jimi Hendrix Experience mit Noel Redding (Bass) und Mitch Mitchell (Schlagzeug) 1966 in London; erstes Album „Are You Experienced“ 1967 mit dem Hit „Hey Joe“. Die Band trennte sich im Juni 1969. Weitere Bandgründungen: Gypsy Sun & Rainbows, Band Of Gypsys.
Weitere Alben zu Lebzeiten: „Axis: Bold As Love“, „Smash Hits“, „Electric Ladyland“, „Band Of Gypsys“ Spektakuläre Auftritte: beim Monterey Popfestival (1967), Woodstock-Festival (1969) und Isle-of-Wight-Festival (1970). Mehr als 500 Konzerte zwischen 1966 und 1970.
Von der Fachpresse zum besten Rockgitarristen „aller Zeiten“ gekürt.
Eröffnung des eigenen Studios „Electric Ladyland“ in New York 1970. Tod durch Drogenmissbrauch am 18. September 1970 in London im Alter von 27 Jahren. Die Umstände des frühen Todes wurden nie ganz geklärt. dpa