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Jazz als Mittel der Entschleunigung: Jasmin Tabatabai im Gespräch
Nachsommer Schweinfurt: Die deutsch-iranische Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai über ihre Liebe zum Jazz und darüber, dass iranische Männer zu trauriger Musik und deutsche nur beim Fußball weinen.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:13 Uhr

Am 17. September stellt Jasmin Tabatabai beim Schweinfurter Nachsommer mit dem David Klein Quartett ihre zweite Jazz-Platte vor: „Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist?“ Ein Gespräch über die entschleunigende Wirkung des Jazz, die Magie alter Songs aus dem „Bandits“-Soundtrack und wie man in Zeiten von Terror und Krieg trotzdem Haltung zeigen kann.

Frage: Machen Sie beim Nachsommer auch einen kleinen Ausflug in die „Bandits“-Vergangenheit 40 Kilometer weiter an die alten Drehorte Bad Neustadt und Münnerstadt?

Jasmin Tabatabai: Nein, das weniger. Aber sehr interessant für mich ist, dass Schweinfurt ganz in der Nähe von Würzburg ist, denn ich bin da sozusagen hinverschwägert. Die Familie meines Lebenspartners Andreas Pietschmann lebt in Estenfeld, wir sind ganz oft dort und besuchen die Familie. Ich hoffe auch, dass die alle kommen.

„Puppet on a string“ gab es schon auf dem „Bandits“-Soundtrack, jetzt in einer neuen Version auf der neuen Platte. Ein Song, der eine ganz lange Reise hinter sich hat.

Tabatabai: Ja, natürlich „Puppet“, auch „Catch me“ ist aus dem „Bandits“-Soundtrack, „Another Sad Song“, das sind ganz liebe Erinnerungen. „Bandits“ ist der wichtigste Film, den ich je gedreht habe, ohne Wenn und Aber. Es ist letzten Endes auch eine Reise in die Vergangenheit, aber wahnsinnig schön an den Liedern ist, dass sie eine gewisse Zeitlosigkeit haben, auch weil man sie neu belebt hat. Die Versionen, die wir mit dem David Klein Quartett spielen, sind so anders. Ich glaube, es wäre für mich sehr schwierig, dieselbe Art Musik zwei Jahrzehnte zu spielen. Ich weiß, dass ich das nicht kann. Ich brauche Veränderungen und das Gefühl, dass das, was ich mache, sich auch irgendwie aus dem speist, wie mein Leben im Moment ist. Viele sind vielleicht auch enttäuscht, dass ich zurzeit nur Jazz mache, die ruhigen Sachen, sie wollen die Rockröhre zurückhaben. Das kann ich sehr gut verstehen. Nur gehöre ich zu der Art Künstler, die sich weiterentwickeln müssen. Für mich wäre es sehr, sehr komisch, stehenzubleiben auf einem Punkt, den ich vor 20 Jahren hatte.

„Catch me“ aus dem Film „Bandits“:


Jazz sei Entschleunigung, eine Insel der Ruhe für Sie, haben Sie gesagt. Was macht die Musik mit Ihnen?

Tabatabai: Es ist der Umgang mit den schönen Melodien, das Singen ist für die Seelenhygiene wichtig. Ich lebe ja auch in dieser schnellen Welt, arbeite viel, habe drei Kinder, nutze auch das Internet. Ich merke immer mehr, dass ich ab und zu raus muss, mich entschleunigen muss. Ich war jetzt mit den Kindern zwei Wochen im Allgäu in Urlaub, da merkt man, wie man langsam entgiftet. Am Anfang rast das Gehirn noch, man regt sich über den und den auf, über diese und jene Situation. Aber das wird mit der Zeit, in der Natur kommt Ruhe, und es wird alles langsamer. Das ist auch bei der neuen Platte so. Die erste Nummer hat sieben Minuten, da muss man sich Zeit nehmen, sich hinsetzen, es anhören. Es ist nichts für schnell, schnell. Da kommen immer mehr Menschen drauf, weil immer mehr auch an ihrem Körper spüren, wie ungesund diese Art zu leben ist, die wir uns haben aufdrücken lassen.

Da ist Georg Kreisler als erstes Lied, „Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist“, gleich mal ein richtiger Kontrapunkt.

Tabatabai: Natürlich. Eine Plattenfirma oder ein Promoter würde das gar nicht durchlassen, sie würden sagen, das ist nicht gefällig genug, nimm als erste Nummer etwas Bekanntes wie „Catch me“ oder „Wenn ein Mensch“. Es gilt ja schon als unglaublich frech, dass man eine Nummer macht, die sieben Minuten lang ist. Aber wir haben den Luxus, dass wir uns in einer Nische wie Jazz aufhalten und sagen können, das machen wir ganz anders.

Stimmt eigentlich die Geschichte, dass Ihr Vater öfters am Fenster saß, Radio hörte und bei traurigen Liedern geweint hat?

Tabatabai: Ja, das ist aber im Iran nicht ungewöhnlich. Es wird viel mehr Musik gemacht, gesungen und getanzt, und es gibt einen Hang zur Melancholie. Traurige Lieder zu hören und dazu zu weinen, da ist nichts dabei, auch für Männer nicht. Ich weiß, deutsche Männer weinen nur beim Fußball.

Die Mischung auf der neuen Platte ist spannend. Wie kommt man darauf, von den Puhdys bis Reinhard Mey Lieder zu verjazzen?

Tabatabai: Das Wichtigste ist, dass es schöne Lieder sind und wir einen persönlichen Bezug dazu finden. Viele haben wir auch schon live gespielt. Der große Unterschied zwischen der ersten Platte und jetzt ist, dass die erste eine Studioplatte war. Damals hatte ich noch nie auf der Bühne Jazz gesungen. Wir haben dann fünf Jahre lang Dutzende Konzerte gegeben und das Ergebnis dieser Konzerte ist die zweite Platte. Man lernt sich kennen, groovt sich ein, es gibt eine größere Nähe. Das ist der große Unterschied zwischen der glamourösen ersten Platte und dieser intimen zweiten.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit dem Schweizer David Klein vorstellen?

Tabatabai: Er ist absolut der musikalische Leiter, es ist sein Baby. Die Zusammenarbeit ist wahnsinnig bereichernd und inspirierend. Jazz ist für mich immer noch ein Abenteuer, etwas, wo ich nicht herkomme, es aber neu für mich entdeckt habe. David macht es mir so leicht, denn er gibt mir Sicherheit. Ich kann mich fallenlassen und einfach Sängerin sein.

Für Sie ist es auch nie ein Problem gewesen, sich als Sängerin einer Rockband auf Jazz-Improvisation einzustellen, wo jeder Abend anders ist?

Tabatabai: Nein, gerade dieser Kontrast war es, der David und mich angezogen hat. Er fand es interessant, dass ich nicht die typische Jazz-Sängerin bin, und ich, mit Leuten zu arbeiten, die keine Rockmusiker sind.

Jasmin Tabatabai & David Klein Quartett: Eine Frau



Die wunderbare Welt des Jazz ist das eine, die bedrückende Realität in Bayern in den vergangenen Wochen das andere. Wie fühlen Sie sich als Deutsch-Iranerin gerade?

Tabatabai: Dieser Begriff „Deutsch-Iraner“ ist ja zu einem Schlagwort geworden, gerade nach dem Amoklauf in München, meiner Heimatstadt. Das bestürzt mich natürlich sehr, wenn ein Mensch mit iranischer Herkunft so ein Leid über Menschen bringt, das ist fürchterlich traurig. Danach regten sich die Rechten über den Begriff Deutsch-Iraner auf, was das heißen solle, das seien Iraner, auch wenn sie hier zur Welt kommen. Die andere Seite regt sich darüber auf, das sei ein Deutscher, der ist hier geboren und aufgewachsen. Der Begriff Deutsch-Iraner ist für mich ganz neutral, ich fühle mich dadurch nicht beleidigt. Generell sollte sich jeder erst an die eigene Nase fassen.

Wenn es ein iranischer Junge mit so einem rassistischen Background ist, der Breivik verehrt und sich als wahrer Arier fühlt, dann müssen wir Iranischstämmigen uns auch mit dem im Iran durchaus vorhandenen Alltagsrassismus beschäftigen, finde ich. Wir leben in einer total egalitären Gesellschaft, noch nie waren die Menschen so gleich wie im Moment hier bei uns und trotzdem fühlen sich alle diskriminiert. Wenn die Deutschen über Donald Trump in Amerika die Nase rümpfen, sollten sie vielleicht hier zuerst dafür sorgen, dass die AfD nicht plötzlich drittstärkste Partei wird. Man sollte immer seinen eigenen Rassismus, seine eigenen Vorurteile anschauen, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt.

Der Atom-Deal zwischen USA und Iran vor wenigen Monaten wurde gefeiert, aber eigentlich hat sich für die Menschen wenig geändert, oder?

Tabatabai: Doch, doch, es ändert sich eine Menge, und das Land öffnet sich. Für die Menschen ergeben sich Erleichterungen, weil es wirtschaftlich aufwärts geht. Man darf natürlich nicht vergessen, dass es immer noch ein sehr suppressives Regime ist, es werden immer noch Menschen hingerichtet, die Menschenrechte mit Füßen getreten.

Man könnte von außen den Eindruck haben, dass die iranische Regierung vielleicht verstanden hat, dass jetzt eine einmalige Chance da ist, sich als „moderate Islamisten“ einen Platz auf dem Welt-Parkett zurückzuholen. Ich muss aber auch sagen, dass ich persönlich ein absolut säkularer Mensch bin, aus einer säkularen Familie komme. Ich bin für eine absolute Trennung von Kirche und Staat. Jeder, der nach Deutschland kommt und hier bleiben will, soll sich zum Grundgesetz bekennen, und gut ist. Wer sich nicht mit dem Land identifizieren kann, dem müssen wir uns ja nicht anpassen. Auch ich bin nicht vor über 30 Jahren nach Deutschland gekommen, um dann irgendwann mal wieder Kinderehen zu akzeptieren. Ich bin hierhergekommen, um in Frieden und Freiheit zu leben und meine Kinder in Freiheit aufwachsen zu lassen.

Seit April 2012 sind Sie Kriminalkommissarin in der ZDF-Krimiserie „Letzte Spur Berlin“. Ihr Charakter Mina Amiri ist die erste iranisch-stämmige Kriminalkommissarin im deutschen Fernsehen, im Moment drehen Sie die sechste Staffel. Warum ist das Format so erfolgreich?

Tabatabai: Mir sagen viele Leute, dass sie es toll finden, dass es ein Krimi ohne Leichen ist, dass es auch mal um etwas anderes geht als Tote und Mord. Viele finden es auch gut, dass die Kommissare nicht kaputt sind, untereinander nicht zerstritten sind, dass es ein Team ist. Ich finde, wir haben auch nach bald 60 Folgen immer noch ein hohes Niveau bei den Drehbüchern und großartige Schauspieler. Für mich ist es sehr schön, einen Job zu haben in Berlin, meiner Stadt, wo meine Kinder sind.

Jasmin Tabatabai & David Klein Quartett: „Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist“ – Tournee 2016. Sa., 17. September, 19.30 Uhr, SKF Halle 411, Schweinfurt. Karten unter Tel. (09 31) 60 01 60 00 und im Netz unter www.nachsommer.de

 
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