Das Ergebnis hat sie selbst am meisten überrascht: Elvira Lantenhammer hat sich einen Lebenstraum erfüllt und dabei nicht nur ein neues Land entdeckt, sondern für sich auch vollkommen neue Farben. Nicht, dass ihr dieses Land – Japan – zuvor gänzlich unbekannt gewesen wäre. Im Gegenteil: Die Malerin, Jahrgang 1956, setzt sich seit Jahrzehnten mit japanischem Denken und japanischer Kultur auseinander.
Schon früh ein Japan-Fan
Schon als Studentin an der Kunstakademie in München hat sie den schwarzen Gürtel in Karate erworben. Ihre Wohn- und Arbeitsräume auf Schloss Homburg hoch über dem Main strahlen eine Klarheit aus, wie man sie auch von traditionellen japanischen Häusern erwartet. In vielen Arbeiten hat sie sich mit japanischen Motiven beschäftigt.
Aber dort war sie nie. Bis zum Sommer 2017 – da reiste die Künstlerin für zwei Monate erst ins ländliche Itoshima und dann nach Otsu, die Partnerstadt Würzburgs.
Im Rahmen dieser Städtepartnerschaft findet erstmals ein Künstleraustausch statt, Elvira Lantenhammer machte den Eröffnungsbesuch dieses „artists' exchange“ und lebte zunächst für vier Wochen im Studio Kura in Itoshima in der südlichen Präfektur Fukuoka, in einem Anwesen, das Künstlern aus aller Welt in mehreren traditionellen Gebäuden Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten bietet.
„Ich bin sehr froh, dass ich zuerst das ländliche Japan kennenlernen konnte“, sagt sie. Hier konnte sie jeden Morgen auf der Holzterrasse eines Schreins in der Nähe ihre Tai-Chi-Übungen machen, hier unternahm sie Erkundungstouren mit dem Fahrrad durch die Reisfelder und zur japanischen See. Hier hatte sie Platz zum Arbeiten, und hier konnte sie sich mit anderen Künstlern, etwa aus Holland, Kanada, Australien, Pakistan und Argentinien austauschen. Vor allem hatte sie hier die Ruhe, ihren „Farbweg“ zu finden, wie sie sagt. Elvira Lantenhammers wichtigstes Ausdrucksmittel ist die Farbe. Ihre Bilder aus Farbflächen nennt sie „Lagepläne“, sie meinen immer konkrete Orte oder Landschaften, sind aber nie gegenständliche Wiedergaben. Es gibt Lagepläne von Würzburg, Venedig, Rom, Bremerhaven, Bulgarien oder Virginia.
Der stimmige Farbklang
Orte, an denen sie sich lange genug aufgehalten hat, um Eindrücke und Wissen zu sammeln. „Ich nehme alles auf, was mir begegnet oder auf mich eindringt.“ Im Atelier arbeitet sie dann so lange, bis sie einen stimmigen Farbklang oder eben Farbweg findet. Der in komprimierter, abstrahierter Form dem Erlebten gerecht wird. „Alle Erfahrungen sind als Quintessenz in den Bildern drin.“ Beim Lageplan Rom etwa leuchtet das sofort ein: viel starkes, schweres Rot, durchzogen von scharfen, weit geschwungenen Linien, zwei grüne Felder. Ihre japanischen Farben sind ganz andere. Hell, strahlend, maximal leuchtend – anders als alle, die Elvira Lantenhammer bislang benutzt hat. Gelb, Grün, zwei Rottöne, Orange, Weiß. Sehr frisch, sehr direkt. Sie geben ihre Wahrnehmung Japans wieder. Könnte etwa das Grün der Reisfelder gemeint sein? Solch direkte optische Analogien interessieren die Künstlerin nicht besonders: „Das sind die Farben, die sich für mich richtig anfühlen. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen.“
In Itoshima entstanden eine Reihe kleinerer Arbeiten und die ersten sieben Meter einer zum Schluss zwölf Meter langen Bilderrolle nach dem Vorbild der Kakemono, der traditionellen japanischen Rollbilder. Titel: „Kakemono – Japanese Siteplan“. Das Papier dafür kommt aus dem Baumarkt: Es ist Shoji-Papier, das sonst für die Wände der traditionellen Häuser verwendet wird.
Otsu als Ausgangspunkt
Die restlichen fünf Meter kamen während des zweiten Monats der Reise hinzu, den Elvira Lantenhammer in Otsu verbrachte. Hier waren Wohn- und Arbeitssituation weniger beschaulich: Die Künstlerin kam nach längeren Mietvertragsverhandlungen, die etwa detaillierte Auskunft über ihr Einkommen und ihre Familienverhältnisse erforderten, in einem typischen modernen Mini-Appartement unter – elektrifiziert und vollautomatisch bis hin zur Toilette. Gearbeitet hat sie auf dem Campus der Seian University of Art and Design, sie bekam eine Nische in einem der Säle zugewiesen, in denen die Kunststudenten arbeiten, bis zu 20 in einem Raum.
Die Verständigung erwies sich als gar nicht so einfach, Englisch sprechen die wenigsten Japaner, auch die Professoren der Hochschule nur vereinzelt. So war Elvira Lantenhammer immer wieder auf eine Übersetzerin angewiesen, etwa beim „Artist Talk“, einer Gesprächsrunde mit Bürgermeisterin und Studenten, die vor allem wissen wollten, wie die Künstlerin ihre Farbfeldmalerei entwickelt hat. Schon vorab hatte Elvira Lantenhammer die „Window Gallery“ auf dem Campus für ihre Abschlussausstellung ausgewählt – ein Raum mit großer Fensterfront, durch die die Farben ihrer Bilderrolle dann auch weithin leuchteten.
Otsu war Ausgangspunkt für viele Ausflüge zu all den Orten, die sie so lange aus der Ferne bewundert hatte. Etwa den berühmten Ryoanji-Zen-Garten in der alten Kaiserstadt Kyoto, die sie allein 17 Mal besuchte (eine großformatige Arbeit zu diesem Garten von 1999 hängt im Finanzamt Bad Kissingen). Oder die kaiserliche Villa Katsura aus dem 17. Jahrhundert mit der berühmten Plattform zur Beobachtung des Mondes. „Während dieser Zeit herrschte in Europa der Prunk des Barock. Und hier gab es diese ganz schlichte, im Grunde hochmoderne Architektur.“
Zu sehen sind die kleineren japanischen Arbeiten von Elvira Lantenhammer und zweier Künstlerinnen, die sie in Itoshima kennenlernte, beim Offenen Atelier auf Schloss Homburg am 21. und 22. Oktober unter dem Titel „Pickings Japan – Nachlese Japan“ (14-19 Uhr). Die große Bilderrolle ist von 25. November bis 10. Dezember in der galerie basement in Wien ausgestellt.