zurück
WÜRZBURG
Ivan Alboresi geht: Würzburg verabschiedet seinen Meistertänzer
Waldgeist: 2003, also noch ziemlich am Anfang seiner Würzburger Karriere, gab Ivan Alboresi splitterfasernackt einen Faun in Woody Allens „Mittsommernachts-Sex-Komödie“.
Foto: Theresa Müller, Chris Weiss | Waldgeist: 2003, also noch ziemlich am Anfang seiner Würzburger Karriere, gab Ivan Alboresi splitterfasernackt einen Faun in Woody Allens „Mittsommernachts-Sex-Komödie“.
Jürgen Höpfl
 |  aktualisiert: 25.07.2014 14:38 Uhr

La vita e bella. Das Leben ist schön – und derzeit besonders für einen Mann, der als Italiener in Deutschland ein besserer Deutscher ist, als es die Deutschen selbst für möglich halten würden: „Ich komme lieber fünf Minuten zu früh als eine Minute zu spät, will immer alles geregelt haben. Ich bin also exakt so, wie es der italienischen Sicht eines Deutschen entspricht.“ Meint Ivan Alboresi jedenfalls – und lächelt dazu in jener unverschämt netten Azzurro-Art, wie sie Cappuccinotrinkern in der Werbung immer wieder als original uritalienische Lebenskultur vorgeführt wird.

Nichtsdestotrotz ist Alboresi weder der Kaffeereklame entsprungen noch im Schauspielerfach aktiv – im Theaterfach aber schon. Der vorzeigbare Charmeur, der im armen Mezzogiorno-Süden von Salerno zur Welt kam und in der Pavarotti-Stadt Modena aufwuchs, war gut 13 Jahre lang so etwas wie der Primoballerino des Würzburger Mainfranken Theaters, der vom Publikum höchst geschätzte Meistertänzer. Nun allerdings wird er als Regisseur ans Theater Erfurt wechseln. Denn wenn Erfurt ruft, muss man dem Ruf folgen, lautet derzeit die Parole seiner Szene, muss man dafür sogar die innig aufgesogene, fränkische Wahlheimat verlassen. Arbeitstechnisch. Wohnen will er weiterhin hier.

Ein bisschen Wehmut

Am Freitag vor acht Tagen fiel mit dem Ende der munter-bunten „Dornröschen“-Inszenierung der letzte Vorhang für Ivan Alboresi in seiner Lieblingsstadt, seinem „wunderbaren Würzburg“, und ausgetanzt hatte es sich für ihn obendrein, nicht nur am Main. Wehmütig ist der 38-Jährige darob zwar durchaus, traurig aber nicht. „Es wird Zeit, etwas Neues zu beginnen, etwas anderes zu tun. Das Engagement in Erfurt ist für mich ein Traum“, stellt er klar: „Ein toller Neubeginn!“

Am alten Arbeitsplatz hatte Intendant Hermann Schneider ihm bereits zwei Musical-Inszenierungen zugesprochen, 2011 „Garderobe Nr. 1“ sowie 2013 „Sunset Boulevard“. Schon dabei habe er bemerkt, „wie wichtig der Umgang mit den beteiligten Menschen“ sei, von den Akteuren auf der Bühne, den Technikern bis hin zu den Bühnenbildnern: „Für die Chancen war ich dankbar. Ich kann sehr pingelig sein.“ Wiederum eine typisch deutsche Eigenart, angeblich.

Bisogna battere il ferro quando e caldo, sagen Italiener. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Und Alboresis Eisen ist heiß, der Kerl steckt voller Energie. „Körperlich ginge es bei mir noch gut mit dem Tanzen“, betont er zur Vermeidung von Missverständnissen: „20 Jahre Tanzen haben aber gezehrt und Power genug aufgebraucht.“

Mit Cole Porters Musical-Klassiker „Kiss Me, Kate“ wird er am 14. September im neuen Haus hinter dem großen Dom der thüringischen Landeshauptstadt seine Premiere feiern. „Inszenieren ist für uns Theatermenschen letztlich mindestens so spannend wie selbst auf der Bühne zu stehen“, weiß er: „Das wird alles ziemlich irre für mich. Allein das Gefühl, in sechs Wochen aus dem Nichts solch ein Stück als Regisseur und Choreograf auf die Beine zu stellen, damit es den Leuten hinterher dann auch gefällt!“

Haben wir es bei Ivan Alboresi mit einer, scusi!, richtigen Rampensau zu tun? „Nein“, sagt er, das Wort gefällt dem Feingeist spürbar nicht: „Eher mit einem Theatermenschen durch und durch. Ich genieße die verschiedenen Situationen und Spannungsmomente, bei denen das Adrenalin nur so strömt.“

Bis zum Genuss war es freilich auch in diesem Fall ein harter, langer Weg. Da nulla si scava nulla. Von nichts kommt nichts – drum begab sich der junge Ivan schon mit 14 aus der elterlichen Obhut in der Emilia-Romagna, „wo es entgegen deutscher Fehleinschätzungen vier Monate im Jahr neblig ist“, ins ferne Turin im Piemont: „So früh anzufangen ist völlig normal für uns Tänzer.“ Die Accademia del Teatro Nuovo in Turin gilt in seiner Gilde als Ausbildungsschmiede ersten Ranges, „dort wollte ich unbedingt hin“. Und talentiert war er hinreichend. „Entweder du hast das Gefühl oder nicht, erzwingen kannst du’s nicht.“ Alboresi, der den russisch anmutenden Vornamen Ivan trägt, „weil ich aus der rotesten Region Italiens stamme, wo Ivan die örtliche Kurzform für Giovanni ist“ – er brauchte nichts zu erzwingen.

Die nächste Ausbildungsstation, mit 18, lag bereits in Germania, die „John Cranko Akademie“ in Stuttgart, ebenfalls eine allererste Adresse der Tanzbranche. Ulm, Wiesbaden und St. Gallen waren die ersten Spielorte des Nachwuchsmannes vom Stiefel, anno 2001 kam er in Mainfranken an. „Ich habe mich sofort in Würzburg verliebt. So eine schöne Stadt mit der perfekten Größe und mit sooo viel Kultur.“ Primo il dovere poi il piacere. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen blieb trotz der entdeckten Verlockungen sein Motto. Sie habe selten einen Künstler erlebt, der „in 13 Jahren nicht einmal im Formtief gesteckt“ habe, würdigte die Würzburger Ballettdirektorin Anna Vita nach dem finalen „Dornröschen“ ihren scheidenden „Star“ – lassen wir das oft missbrauchte Wörtchen mal gelten.

Der Mann aus Modena gab den Paganini und drei Wochen nach dem Tod seines Vaters einen extrem hingebungsvollen Dracula, zuletzt in Dornröschen mimte er mit roten Rosen den bösen Carabosse. Und wie auch bei dem schamlosen Frauenverführer war der optisch weicher gezeichnete Beau ein Spezialist für die harten, garstigen Rollen. „Stimmt“, sagt er: „Eigentlich bin ich ein romantischer, ein lustiger Typ. Aber wer spielt auf der Bühne gerne sich selbst? Der Kontrast ist viel intensiver.“ Deswegen bevorzugte er das entgegengesetzte Motiv. „Schon als Junge hatte ich nie den Wunsch, Prinz zu sein. Mal Vampir zu sein war stattdessen mein Kindheitstraum gewesen.“

Er hat ihn sich erfüllt, und wer in der Galerie des Mainfranken Theaters die Pose von Ivan Alboresi anschaut, blickt in ein finsteres, bärtiges Antlitz. In Wahrheit ist’s ein sanftes, frisch rasiertes Antlitz, an dem das einzig Dunkle die modische Brillenfassung ist: „Die Brille hab' ich erst seit drei Monaten. Und so markant mit Bart gefalle ich mir besser.“ La vita e bella, ob mit oder ohne Bart, ob in Würzburg oder Erfurt.

Ivan Alboresi
| Ivan Alboresi
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Jürgen Höpfl
Bühnenbildnerinnen und Bühnenbildner
Cole Albert Porter
Dracula
Hermann Schneider
John Cyril Cranko
Theater Erfurt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen