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Interview: Wann Clueso glücklich ist
Stadtrandlichter: Drei Jahre lang hat sich der Erfurter aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Genug Zeit, um mit seinem Opa ein Album aufzunehmen und ein eigenes Label zu gründen. Jetzt ist der 34-Jährige zurück.
Thomas Hübner: „Alle, die bei der Marke Clueso mitarbeiten, wollen mit der Musik alt werden.“
Foto: christoph koestlin | Thomas Hübner: „Alle, die bei der Marke Clueso mitarbeiten, wollen mit der Musik alt werden.“
Meike Schmid
Meike Schmid
 |  aktualisiert: 13.10.2014 21:25 Uhr
Thomas Hübner, wie Clueso mit bürgerlichem Namen heißt, musste sich oft rechtfertigen. Gegenüber Verwandten, die ihn zu Castingshows schicken wollten, und der Öffentlichkeit, die auf immer neue Hits drängte. Um den Druck loszuwerden, nahm er eine Auszeit. Im Interview spricht der 34-Jährige über die Selbstfindungsphase, seinen musikalischen Großvater, das neue Album („Stadtrandlichter“) und seine Männer-WG.

Frage: Warum haben Sie sich eine dreijährige Auszeit vom Rampenlicht genommen?

Clueso: Wir hatten nach dem Album „An und für sich“ ziemlich viele Auftritte. Währenddessen habe ich schon immer wieder ein paar Skizzen für neue Songs geschrieben, Melodien gesammelt. Dann habe ich irgendwann gemerkt, dass ich überhaupt nicht zum Ausarbeiten komme. Mich hat es verdammt traurig gemacht, keine Zeit mehr für meine Leidenschaft zu haben. Deshalb habe ich mir die Öffentlichkeitssperre gegeben.

Wie haben Sie diese Zeit genutzt?

Clueso: Ich bin viel in Erfurt rumgehangen, hab' Geschichten aufgeschnappt. Zwischendrin habe ich mit meinem Opa ein privates Album aufgenommen – einfach so, um unsere gemeinsame Musik mal festzuhalten. Auf Reisen habe ich Songs geschrieben und viel übers Mixen gelernt. Dann kamen plötzlich die ersten Lieder von „Stadtrandlichter“ auf und haben nach einem geilen Bandpopalbum geschrien. Ich habe sofort gemerkt, dass ich alles andere liegen lassen muss. Dabei hat mir die Öffentlichkeitssperre sehr geholfen, weil ich niemandem Rechenschaft ablegen musste, wie lange ich an etwas rummache.

Sie haben mit Ihrem Großvater ein Album aufgenommen, Ihr Bruder macht ebenfalls Musik. Wie viel Mitspracherecht hat Ihre Familie bei der Songauswahl?

Clueso: Ich mache meistens so einen kleinen Verbrauchertest bei ihnen. Da spiel' ich das Zeug dann vor und jeder pickt sich sein Lieblingsstück raus. Allerdings gehen die Meinungen oft weit auseinander. Meinem Papa gefallen immer die ganzen Energie-Nummern, der ist ein Rolling-Stones- und Beatles-Fan. Meine Mutter steht eher auf die chilligeren Sachen, und mein Bruder findet die experimentellen Geschichten geil.

Wer hat sich bei „Stadtrandlichter“ durchgesetzt?

Clueso: Da durfte ausnahmsweise keiner mitreden. Ich hatte eine Matheaufgabe für mich zu lösen, wollte das Mixen und Rekorden unter einen Hut bringen. Ich habe sehr lange daran rumgemacht, und da war es manchmal schwer, an mich heranzukommen. Ich hatte eine Vision und brauchte kaum jemand um mich herum. Außer eben meine WG (Clueso wohnt mit fünf Freunden in einer Wohngemeinschaft, Anm. d. Red.), die ja zwangsläufig mit meiner Musik konfrontiert ist.

In dem Lied „Pack meine Sachen“ geht es um einen Familienstreit. Wie schwer fällt es Ihnen, private Erlebnisse mit der ganzen Welt zu teilen?

Clueso: Eigentlich fällt es mir leicht, weil man einfach viel schneller und ehrlicher schreiben kann. Bei vielen meiner Freunde hat es in den Familien nach der Wende geknallt, weil sie sich umstrukturieren mussten. Da war eine große Angst im Spiel. Ich lasse einiges Privates in meinen Songs, erzähle dafür in Interviews nicht so viel.

Dann kehren wir schnell zurück zum Beruflichen. Das neue Album ist wesentlich elektronischer als die vorherigen. Wollten Sie sich bewusst von den alten Sachen abheben?

Clueso: Ich wollte einfach wieder das Verspielte haben, den Groove zum Vorschein bringen. Das Elektronische ist bei mir eine Affinität zu modernen Geschichten, die ich aber gar nicht ausgearbeitet erzählen möchte. Mir gefällt einfach nur die Klangfarbe gut.

Apropos ausprobieren. Jan Delay macht nach Hip-Hop und Funk jetzt Rock. Gibt es eine Musikrichtung, die Sie mal reizen würde?

Clueso: Ja, natürlich. Ich komme ja aus dem Hip-Hop und habe mich viel mit Sprachgesang beschäftigt. So was wie die Kraftklub-Jungs machen würde ich mir auch zutrauen: irgendeine Rockgeschichte verbunden mit einer Art Sprachgesang. Aber die Sehnsucht ist jetzt nicht so groß. Noch habe ich viele andere Ideen, die in meinem Kopf hängen.

Sie sprechen oft von der „Marke Clueso“. Was macht diese Marke aus?

Clueso: Damit meine ich nicht den Typen, sondern das gemeinschaftliche Projekt Clueso. Es gibt keine Marketingfirmen, sondern ich sitze dauernd mit einer Gruppe von Leuten an einem Tisch. Wir überlegen uns etwas und probieren das aus. Die Marke ist authentisch, weil sich alle damit identifizieren. Um das zu schützen, machen wir nicht jeden Scheiß mit. Wir suchen uns aus, was wir machen wollen, und haben es nicht eilig dabei. Alle, die bei der Marke Clueso mitarbeiten, wollen mit der Musik alt werden. Deshalb passen wir so schön auf unser Baby auf.

„Stadtrandlichter“ ist komplett in Eigenregie entstanden und erstmals über Ihr eigenes Label, „Text und Ton“, veröffentlicht worden. Haben Sie schlechte Erfahrung mit großen Labels gemacht?

Clueso: Nein, eigentlich nicht. Wir haben schon immer viel selbst gemacht, auch „Four Music“ hat uns nie reingeredet. Ich fand schon immer, dass die geilsten Sachen aus dem Umfeld kommen, daher auch die Idee mit dem eigenen Label. Das macht uns jetzt zwar mehr Arbeit, gibt aber auch viel Freiheit.

In einem Interview haben Sie mal gesagt, Ihnen seien ein paar Hits „rausgerutscht“. Das klingt ja fast so, als ob Sie es überhaupt nicht darauf anlegen würden, Radionummern zu schreiben?

Clueso: Im Entstehungsprozess mache ich das auch nicht. Klar hat man es als Künstler leichter, sein Album zu verkaufen, wenn eine Nummer dauernd gespielt wird. Aber unsere Herangehensweise ist eine ganz andere als bei den typischen Hit-Produzenten a la Modern Talking. Wir machen keinen berechenbaren Pop. Ich hätte beispielsweise nie gedacht, dass mein Song „Gewinner“ so gut funktioniert. Der hat einen Refrain, den beim ersten Hören keiner kapiert oder mitsingen kann. Aber es ist ein Song, der eine Emotion auslöst, weil er eine Fernbeziehung beschreibt. Da habe ich dann Bock, dass das Lied bekannt wird, weil ich Bock auf diese Nummer habe.

Sie wohnen in einer reinen Männer-WG, die gleichzeitig Büro und Zuhause ist. Wie schalten Sie am besten ab?

Clueso: Ich habe meinen eigenen kleinen Bereich, ein Minitrakt mit Katzentürchen. Da kann ich frei rein und raus (lacht). Nein, so einen extremen Rückzugsort brauche ich nicht. Mir ist es nur wichtig, dass ich auspennen kann, wenn ich lange unterwegs war. Sonst spiele ich Playstation, schaue Serien, gehe ins Kino oder in die Sauna. Mache einfach das, was andere auch machen, wenn sie frei haben. Man hat tausend Pläne, aber rennt nur in Unterhose rum (lacht). Ich hab' mal von Harald Juhnke so ein Zitat gehört: „Der Sinn vom Glücklichsein ist, keine Termine und leicht einen sitzen haben.“ Das hab' ich mir mal übers Bett gehängt.

Max Herre, Gentlemen, Fanta 4 und viele andere erfolgreiche deutsche Sänger setzen sich auf die Jury-Stühle diverser Castingshows. Würden Sie das auch reizen?

Clueso: Nö, überhaupt nicht. Ich verurteile niemanden, der sich in so eine Sendung setzt. Max Herre ist ein Freund von mir, und wir haben darüber gesprochen. Er ist einfach gerne Produzent. Sein Herz klopft, wenn er talentierte Leute entdecken kann. Für mich ist es nichts. Ich musste meine Musik lange verteidigen. Besonders vor meinen Eltern, die immer gesagt haben: „Geh doch mal dahin und dorthin.“

Ihre Eltern wollten Sie zu Castingshows schicken?

Clueso: Damals gab es so etwas noch nicht, aber dafür irgendwelche wilden Talentwettbewerbe. Später meinten dann auch meine Onkel und Tanten, dass ich zu so Castings gehen soll. Ich habe immer nur gesagt: „Leute, ich mach' so 'ne Musik nicht.“ Ich würde ja echt gerne mal ein Plakat sehen, wo alle Castingshowteilnehmer mit Mini-Bildern abgebildet sind. Das müssen ja unfassbar viele Leute sein. Diese Shows sind ja ein riesengroßes Kunstprojekt.

Aus dem Sie sich lieber raushalten?

Clueso: Ja, ich möchte auf keinen Fall eine dieser Briefmarken sein.

Thomas Hübner

Geboren wurde Thomas Hübner am 9. April 1980 in Erfurt. Nach der Schule begann er eine Friseurlehre, die er 1998 abbrach. Der Name Clueso ist angelehnt an die Figur des Inspektor Clouseau aus Blake Edwards' Film „Der rosarote Panther“. Cluesos erstes Album, „Text und Ton“, erschien 2001. Nach „Gute Musik“ (2004), „Weit weg“ (2006), „So sehr dabei“ (2008) und „An und für sich (2011) stürmte „Stadtrandlichter“ Platz eins der deutschen Charts. text: mro

 
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