Sie ist fast 55, seit über drei Jahrzehnten in Amt und Würden – und trägt immer noch die gleichen Jeanswesten wie zu „99 Luftballons“-Zeiten. Nena, so sagt sie selbst, ist „Oldschool“, und da lag es nah, auch gleich das neue Album so zu nennen. Die Songs hat sie mit Samy Deluxe erarbeitet, und das hört man. Mehr Elektro, mehr Hip-Hop, gelegentlich verfremdet die Produktion Nenas Stimme gar bis zur Unkenntlichkeit. Und auch die Texte bieten eine große Palette – von ausgelassen lebensfroh über besinnlich bis ziemlich albern. Am 18. März tritt sie mit ihrer Band in der Würzburger Posthalle auf.
Nena: Eine Oldschool-Clubtour passt perfekt zu meinem neuen Album. Ohne Firlefanz und großes Lichtspektakel auf die Bühne gehen und abrocken – das war mein Wunsch für diese Tour. Zu manchen Auftrittsorten habe ich auch einen persönlichen Bezug. Das „Pelmke Kulturhaus“ in meiner Heimatstadt Hagen zum Beispiel war vor 48 Jahren meine Grundschule, oder das „SO36“ in Berlin, wo ich 1979 mal schräg gegenüber gewohnt habe. Das sind alles Gründe, diese Shows zu spielen. Eine Clubtour ist finanziell ein großer Aufwand, aber das ist es mir wert.
Nena: Doch, natürlich muss auch ich Geld verdienen. Was reinkommt, geht auch gleich wieder raus und landet nicht auf einem Sparkonto, sondern fließt in unsere Projekte wie zum Beispiel die Schule, die es jetzt schon seit sieben Jahren gibt.
Nena: Klar, das sind ja praktisch meine Ex-Nachbarn. Und ich habe in den 80ern dort viele coole Bands gesehen. Zu meiner Anfangszeit in Berlin war ich Riesen-Blondie-Fan, und das bin ich bis heute. Neulich war ich mit der ganzen Band zu einem Essen eingeladen. Debbie Harry! (lacht) Es war superaufregend, eine meiner absoluten Lieblingsfrauen nach so vielen Jahren persönlich kennen zu lernen. Unsere Begrüßung war herzlich, und als sie sagte: „Wow, you are Nena!“ bin ich ziemlich dahingeschmolzen.
Nena: Ja, das Leben am Stadtrand, als fließender Übergang, bevor wir irgendwann ganz aufs Land ziehen (lacht). Seit ich Kinder habe, bin ich einfach nicht mehr so der Stadtmensch. Kinder, Hunde, Fahrradfahren – das geht hier einfach besser. Ich bin ja beruflich häufig in Großstädten unterwegs, am liebsten in Berlin, aber wenn ich zu Hause bin, vermisse ich das überhaupt nicht.
Nena: Wenn ich auf dem Weg nach Berlin bin, fühlt es sich jedes mal an wie ein Nach-Hause-Kommen. Aber ich habe ziemlich den Anschluss verpasst und weiß gar nicht mehr, was in der Hauptstadt abgeht. Neulich habe ich gedacht, es wär doch cool, mal mit meinem Mann für ein Jahr in Berlin abzutauchen. Eine kleine Wohnung zu mieten und die Stadt ganz neu für mich zu entdecken.
Nena: Auf jeden Fall eine Erfahrung, die ich mir so nicht vorgestellt habe. Bis auf meinen jüngsten Sohn, der 17 ist, sind jetzt alle aus dem Haus und leben in ihren eigenen Universen. Das Schöne ist, dass wir alle fast täglich miteinander zu tun haben.
Nena: Gar nicht. Als meine Tochter dann mit 17 als Erste ihr Köfferchen packte, war das eine einschneidende Erfahrung. Als junge Mutter habe ich niemals darüber nachgedacht, wie es sein wird, wenn die Kinder mal groß sind und ihre eigenen Wege gehen. Aber wenn es dann so weit ist, kann dich das ganz schön umhauen. Das sind tiefe Lebenserfahrungen.
Nena: Nein, missen möchte ich nichts. Aber ich sage ganz klar, dass es nicht leicht war. Loslassen muss man wohl ein ganzes Leben, und das ist immer wieder eine Herausforderung. Zwei Jahre nach ihrem Auszug war meine Tochter wieder da, übergangsweise. Und später hat sie dann ihre beiden Kinder in dem Haus geboren, wo sie selber aufgewachsen ist.
Nena: Interessanterweise auch 17. Da gibt es Parallelen (lacht).
Ihr Sohn Sakias singt mit Ihnen zusammen das Lied „Peter Pan“. Wiederholt sich da auch was?
Nena: Ich habe ihn gefragt, und er hatte Lust. Umgekehrt, wenn Projekte meiner Kinder anstehen und ich habe da Lust drauf, unterstütze ich die auch. Wir haben viele Schnittstellen und arbeiten gerne zusammen. Haupttreffpunkt ist unser Haus, der Ort, wo wir alle zusammen aufgewachsen sind, wo es ein Tonstudio gibt und jede Menge Möglichkeiten, sich kreativ auszuleben. Hier trifft man sich, egal, ob ich da bin oder nicht. Eine Art Open House, wo auch Freunde jederzeit willkommen sind.
Nena: Richtig. Und ich habe sie nicht dazu gezwungen (lacht). Meine Zwillinge haben schon seit ein paar Jahren einen Job als Background-Sänger in meiner Band, und mein jüngster Sohn ersetzt diesmal einen meiner Keyboarder.
Nena: Das Wort „Erziehung“ findet bei mir nicht statt. Da sehe ich immer einen Erwachsenen, der ein Kind in seine Richtung zieht, so leben wir nicht miteinander. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und geben uns gegenseitig den Raum für maximale Entfaltung.
Nena: Wir sind uns begegnet und mochten uns auf Anhieb. Und ein paar Wochen später erzählte er, er hätte einige Songideen, ich solle doch mal vorbeikommen. Schon beim ersten Hören wusste ich, dass ich aus der Nummer nicht mehr raus will. Das war die Initialzündung. Samy ist ein unglaublich wacher, kreativer Mensch, der mich sehr inspiriert. Wir haben nicht überlegt, was wir machen. Wir haben einfach gemacht.
Nena: Mein erstes Album ist seit 34 Jahren draußen. Das fühlt sich ziemlich Oldschool-mäßig an, könnte aber auch gestern gewesen sein. Mein Verhältnis zur Zeit hat sich verändert. Oldschool ist inzwischen ein ganzheitliches Gefühl für mich, das alles miteinander verbindet. Es beschreibt auch den gegenwärtigen Zustand, in dem die Dinge mitschwingen, die man bereits erlebt hat. Früher wollte ich über Vergangenes nicht sprechen, auch nicht über die Achtziger, weil ich dachte „Fall erledigt, abgehakt“. Heute ist mir die Vergangenheit stets willkommen.
Nena: Mein Song „Berufsjugendlich“ ist eine humorvolle Antwort auf starre Bilder und Glaubensmuster. Es gibt in unserer Gesellschaft ja ganz offensichtlich eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie eine Frau mit 55 zu sein und auszusehen hat. Und dann ist die auch noch dreifache Großmutter . . . (lacht)
Nena: Stimmt, ich bin nicht normal, weil es anscheinend eine klare Definition dafür gibt, was normal ist, und da falle ich glatt durch.
Nena: Ich habe Samy mal vom Tod meines ersten Kindes erzählt. Und als wir im Studio waren, bat er mich plötzlich um ein Gespräch unter vier Augen. Er hatte angefangen, einen Song darüber zu schreiben, und wollte von mir wissen, ob es in Ordnung sei, wenn er sich da „heranwagt“. Was dann von ihm kam, hat mich sehr berührt. Ich fand später die richtigen Worte für die zweite Strophe, schöner kann man nicht zusammenarbeiten.
Nena: Das mache ich. Ein Album aussuchen, die Nadel auf die Platte setzen, und ab geht?s. Oldschool-mäßig Musik hören, ich liebe das! Und manchmal entstehen dabei auch spontane Partys.
Nena: Ich kann gut Nein sagen, aber ich kann nicht gut Nie sagen. Keine Ahnung. Das wird sich ergeben. Mir hat die Zeit dort sehr viel Spaß gemacht, vor allem in den Jahren mit Xavier, Rea und BossHoss.
Nena: So ist das eben, wenn man Oldschooler ist . . . Es geht einfach immer weiter, und es lohnt sich dranzubleiben. Ich werde bestimmt noch mit 70 am Klavier sitzen und „99 Luftballons“ singen. Ich kann mir alles vorstellen, aber ich kann mir nicht vorstellen, keine Musik mehr zu machen.
Nena: Ich habe immer eine Jeansweste im Gepäck . . . (lacht) Das ist ein Klassiker. Auch in Modedingen bin ich eben ganz „Oldschool“.