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Interview mit Tom Tykwer: "Cloud Atlas" oder Die Zukunft in der Vergangenheit
Tom Tykwer: Der Regisseur über „Cloud Atlas“ und warum die Hollywoodstars sich gegenseitig nicht erkannten
Die Zukunft der Menschheit: Szene aus Tom Tykwers „Cloud Atlas“, dem teuersten jemals in Deutschland produzierten Kinofilm.
Foto: Warner Bros., dpa | Die Zukunft der Menschheit: Szene aus Tom Tykwers „Cloud Atlas“, dem teuersten jemals in Deutschland produzierten Kinofilm.
Das Gespräch führte Elke Vogel (dpa)
 |  aktualisiert: 14.11.2012 20:37 Uhr

David Mitchells Bestseller „Cloud Atlas“ galt als unverfilmbar. Doch drei Regisseure sind das Wagnis eingegangen: der Deutsche Tom Tykwer („Das Parfum“) sowie die US-amerikanischen Geschwister Lana und Andy Wachowski („Matrix“-Trilogie). In 172 Minuten zeigen sie auf sechs parallel verlaufenden Erzählebenen eine Geschichte, die im 19. Jahrhundert beginnt und im 25. Jahrhundert endet – es geht es um nichts Geringeres als die Zukunft der Menschheit. Hollywoodstars wie Tom Hanks, Halle Berry und Hugh Grant spielen jeweils bis zu sechs Rollen, ihre Figuren werden immer wieder geboren. Ein Gespräch mit Tykwer über Finanzierung, Erfolgsdruck und Wiederverkörperung.

Frage: Stimmt es, dass Ihre Schauspieler sich am Set wegen der aufwendigen Maske gegenseitig gar nicht erkannt haben?

Tom Tykwer: Ja. Das war besonders in der Zeit der Masken-Tests sehr amüsant, wenn die Leute teilweise aneinander vorbeigegangen sind, ohne sich zu grüßen – weil sie sich überhaupt nicht wiedererkannt haben. Hugh Grant als Asiate zum Beispiel hat niemand erkannt. Als Halle Berry als weiße, jüdische Frau im eleganten Kleid durch das Set marschierte, da war der Hälfte der Anwesenden nicht bewusst, dass sie das ist. Das war sozusagen ein Running Gag der Produktion.

Ihr Film ist 172 Minuten lang – bei sechs parallel verlaufenden Erzählebenen haben Sie ja aber eigentlich nur 30 Minuten für jede Geschichte. Ist der Film in Wirklichkeit noch zu kurz?

Tykwer: Es sind ja trotzdem nicht sechs Filme, sondern einer. Obwohl es sechs Geschichten gibt, war für uns immer klar, dass es eine Erzählung ist – zusammengehalten von Tom Hanks, der im Film quasi eine charakterliche Evolution durchmacht: Er beginnt als Bösewicht und mörderischer Fiesling, dann begegnet er einer Frau, begegnet ihr noch einmal und noch einmal. Er muss ein paar Mal wiedergeboren werden, um alles zu begreifen, und wandelt sich schließlich zum Helden, der quasi die Menschheit rettet.

„Cloud Atlas“ ist mit 100 Millionen Dollar der teuerste deutsche Film und löst damit Ihr Werk „Das Parfum“ ab.

Tykwer: Mit diesen Superlativen kann ich nichts anfangen. Und natürlich ist es auch eine internationale Produktion. Aber das meiste Geld kommt schon aus Deutschland, der Produktionsstandort war Deutschland, der größte Teil des Teams war deutsch – insofern ist es wohl ein deutscher Film. Wir haben sehr lange gebraucht, um das auf die Beine zu stellen.

Was hat „Cloud Atlas“ so teuer gemacht?

Tykwer: Ich hoffe, das sieht man auf der Leinwand. Die meisten Schauspieler haben für einen Bruchteil ihrer üblichen Gage gearbeitet. Man sieht sechs verschiedene Zeitalter. Jedes für sich ist sehr aufwendig inszeniert. Es beginnt im 19. Jahrhundert und endet im 25. Jahrhundert. Das muss man alles entwickeln, schlüssig konstruieren – und dann realisieren. Südkorea im Jahr 2140 gibt es so natürlich gar nicht. Das heißt, man muss alles vollständig erfinden, die Architektur, die Mode, die Technologie – und es dann im Studio und am Computer bauen. Allein das ist schon sehr aufwendig.

Sie haben die Möglichkeit des Scheiterns nie ausgeschlossen – gab es Momente, in denen Sie tatsächlich dachten, das Projekt ist nicht realisierbar?

Tykwer: Es gab jeden Tag Anrufe, die uns an den Rand des Aufgebens gebracht haben. Das hing damit zusammen, dass die Finanzierung immer wieder gefährdet war. Es ist wirklich ein komplett unabhängig finanzierter und produzierter Film. Es gab nicht ein dickes Studio, das das Geld auf den Tisch gelegt hat, sondern 30, 40 Beteiligte, von denen eigentlich regelmäßig welche absprangen oder pleite gingen.

Wie gehen Sie mit dem Erfolgsdruck um?

Tykwer: Den hat man in gewisser Weise immer als Filmemacher und Künstler – man will gesehen werden. Natürlich gibt es bei einem Kinofilm noch den zusätzlichen Druck, dass man denjenigen, die ein finanzielles Risiko eingegangen sind, auch gerne ihr Geld wiedergeben will. Man möchte ihren Willen zur Kunst irgendwie belohnen. Aber am Ende kann man ja nichts anderes tun, als den bestmöglichen Film zu machen, den man sich vorstellen kann. Und: Es ist der bestmögliche Film geworden, den ich mir im Augenblick vorstellen kann.

Glauben Sie an Wiederverkörperung?

Tykwer: Ich habe gerade einen Text von Epikur gelesen, der schon 300 vor Christus davon gesprochen hat, dass die gesamte Welt ein Konstrukt aus Atomen ist. Alles besteht aus Atomen, auch wir Menschen. Alles setzt sich zusammen und vergeht wieder. Formen kommen und gehen, dazu gehören Menschen, die Tiere, auch Gedanken und Ideen. Das ist ein schönes Modell. Das sagt mir zu. Da steckt auch eine Idee der Gleichwertigkeit von allem, das existiert, dahinter. Und natürlich ergibt sich eine gewisse Ahistorizität daraus, wenn wir sagen: Ich bin immer schon da gewesen, und ich werde auch immer wieder da sein. Der Film versucht die Geschichtlichkeit aufzuheben, indem er die Zukunft in der Vergangenheit zu Ende erzählt und umgekehrt. Die Zeiten überlagern sich so stark, dass es irgendwann überflüssig wird, davon zu sprechen, was Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit ist. Das ist ein Historienbegriff, der mir zusagt. Man muss sich verabschieden von einer bestimmten linearen Vorstellung von Existenz. Sobald man das tut, ist es unheimlich erleichternd zu wissen, dass sich natürlich genetische Stränge über Jahrtausende immer wieder ausdrücken.

Wie verändert sich der Alltag, wenn man mit dem Gefühl lebt, dass alles im Leben, dass alle Menschen in irgendeiner Art verbunden sind?

Tykwer: Es macht uns vielleicht ein bisschen verantwortungsbewusster gegenüber dem Rest unserer Zeit, die viele Menschen versuchen auszublenden. Wenn man sieht, wie wir manchmal achtlos miteinander, aber auch mit unserer Umwelt umgehen, dann kann es helfen, sich stärker ins Bewusstsein zu rufen, dass wir alle in bestimmter Hinsicht auch diejenigen sind, die die Zukunft erleben werden müssen und die in der Vergangenheit gelitten haben.

Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt darüber nachgedacht, „Cloud Atlas“ in 3-D zu drehen?

Tykwer: Nein, ich wüsste nicht, warum der Film in 3-D irgendetwas hätte besser darstellen können. Ich bin da generell etwas überfragt, was das ganze Genre betrifft. Ich bin ziemlich desinteressiert an 3-D.

Also ist 3-D kein Zugewinn für die Geschichten?

Tykwer: Nur unter ganz bestimmten Umständen. Wenn man etwa explizit und wahnsinnig viel investiert ins Detail wie zum Beispiel bei „Avatar“, dann sieht man einen sinnlichen Zuwachs, den ich als wirklich wahrnehmbar empfinde. Ob der Film dadurch interessanter ist, bleibt eine andere Frage. Bei 19 von 20 Filmen, die ich in 3-D sehe, merke ich den Unterschied allerdings nicht. Ich bin eher davon abgelenkt, dass ich diese Brille im Gesicht habe, die mich ein bisschen isoliert. Ich finde es schade, dass man als 3-D-Zuschauer vom Publikum etwas abgespalten wird – dass man diesen Gemeinschaftseffekt, der so wichtig für das Kinoerlebnis ist, reduziert. Man fühlt sich irgendwie einsamer mit der Brille. Für einzelne spektakuläre Filme ist 3-D sicher sinnvoll. Aber ich glaube nicht so richtig daran, dass 3-D etwas ist, das sich auf das Kino allgemein entscheidend auswirkt. Und ich bin sicher, dass es in Zukunft eher weniger 3-D-Filme geben wird als heute.

Sie arbeiten seit langer Zeit international. Haben Sie schon einmal überlegt, in die USA zu ziehen, nach Hollywood zu gehen?

Tykwer: Nö, wieso? Was soll ich denn da? Es erwartet in Amerika auch kein Mensch, dass man da rüberzieht. Die lagern ja selbst unheimlich viele Dreharbeiten aus nach Europa. Ich bin ein Berliner Filmemacher und werde hier bleiben.

Wie würden Sie „Cloud Atlas“ charakterisieren?

Tykwer: Ein hoffentlich sehr inspirierender und zugleich unterhaltsamer Film. Kein Entweder-Oder, sondern beides.

Tom Tykwer

Der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Komponist, geboren am 23. Mai 1965 in Wuppertal, drehte mit elf Jahren seine ersten Super-8-Filme und arbeitete mit dreizehn als Filmvorführer. Mit seinem dritten Film, „Lola rennt“ (1998) mit Franka Potente in der Hauptrolle, wurde er bekannt. Bis 2002 war Tykwer mit Potente liiert. Seit 2009 ist er mit Marie Steinmann verheiratet, das Paar hat ein Kind. Eine Auswahl seiner Filme: „Die tödliche Maria“ (1993), „Winterschläfer“ (1997), „Der Krieger und die Kaiserin“ (2000), „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ (2006), „The International“ (2009), „Drei“ (2010).

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