Knapp drei Jahre lang hat der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen seine ganze Leidenschaft für dieses Projekt eingesetzt: Ruhr.2010. Essen ist in diesem Jahr zusammen mit dem Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt. Als Vorsitzender Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH ist Pleitgen zu einem großen Teil mitverantwortlich für das Gelingen des Großereignisses. Ein Gespräch über die Kulturregion Ruhrgebiet und die Bedeutung der Currywurst.
Fritz Pleitgen: Ruhr.2010 wird ein Jahrtausendereignis der Metropole Ruhr. Wir wollen dafür sorgen, dass das Ruhrgebiet einen starken Entwicklungsschub bekommt. Wir wollen, dass unser Programm nachhaltig wirkt. Wir wollen, dass alle Menschen daran beteiligt sind. Und: Wir wollen endlich loskommen von dem völlig veralteten Image des Ruhrgebiets.
Pleitgen: Leider nicht. Überall in den Köpfen außerhalb des Ruhrgebiets glaubt man, das Ruhrgebiet sei eine niedergekommene Montanregion, eine Region mit grauen, abgewrackten Städten und mit einer vergifteten Landschaft – aber das alles stimmt nicht! Wir wollen zeigen, dass das Ruhrgebiet eine spannende Metropole mit 53 Zentren ist. Dass es eine der ungewöhnlichsten und eine der reichsten Kulturregionen in Europa ist mit einer innovativen Industrie und einer vitalen Wissenschaft. Und dass sie aus spannenden Gegensätzen zwischen Industrielandschaft und Idylle besteht. Es wird ein langer Weg sein, das Image der Wirklichkeit anzupassen.
Pleitgen: Wir wollen starke und frische Bilder schaffen, die geeignet sind, um die Welt zu gehen. Ich habe vor Weltrekorden gar keine Angst. Wenn es am Day of Song heißen wird, dies ist der größte Chor der Welt – so what? Wenn beim Projekt Schachtzeichen um die 300 Ballons aufsteigen, dann gehen diese Aufnahmen um die Welt. Es gibt keine andere europäische Region, die so sehr für den Wandel steht.
Pleitgen: Wenn wir schon zu Beginn mutlos sind, brauchen wir gar nicht anzufangen. Wir sind es den Menschen im Ruhrgebiet schuldig, dass wir Risikobereitschaft und Wagemut zeigen. Sie haben Recht, die Erwartungen sind ungeheuer hoch. Danach müssten wir einen Etat von einer Milliarde Euro haben, um alle Wünsche zu erfüllen. Ich verstehe auch, dass man diesen unglaublich pompösen Begriff Kulturhauptstadt Europas hört und denkt, nun wird die Welt verändert, aber mit einem Etat von rund 60 Millionen Euro lässt sich das nicht bewerkstelligen. Zumal der Etat für vier Jahre gilt. Aber trotzdem können wir mit guten Ideen wichtige Impulse setzen. Ganz wichtig sind nachhaltige Projekte – wichtige Projekte, die andere nach sich ziehen.
Pleitgen: Schauen Sie sich das Dortmunder U an, das zu einem Zentrum für Kunst und Kreativität umgestaltet wird. Das ist nur möglich geworden durch die Kulturhauptstadt Europas, obwohl die Ruhr.2010 GmbH kein Geld dazu beigesteuert hat. Allein das Ereignis hat dazu geführt, dass man eine Idee, die in der Schublade schlummerte, herausgeholt hat. Man wusste, eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Aber plötzlich hat man alle Kräfte gebündelt und Gelder gesammelt. Und das U entwickelt sich weiter. Andere Projekte flanschen an. In die Nähe kommt das DFB-Museum. Der Hauptbahnhof wird runderneuert. Zum ersten Mal dominiert statt Stadtrivalität ein Geist der Kooperation. Sechs Theater werden gemeinsam ein Programm anbieten. Ich bin sicher, dass diese Kooperationen über 2010 Bestand haben werden.
Pleitgen: Ganz oben steht Solidarität. In schwierigen Verhältnissen mussten die Menschen zusammenstehen. Es war egal, woher man kam, egal, welche Stellung man hatte. Das zweite ist: Toleranz. Da man aus verschiedenen Ländern kam, hatte man Verständnis für den anderen, der aus einem anderen Kulturraum kam. Und schließlich der unbedingte Wille, immer wieder aufzustehen. Das ist für mich in Kurzform der Mythos Ruhr. Dieser Geist ist noch da.
Pleitgen: Das ist nicht nur so ein Picknick. Die A40 wird für 60 Kilometer, von Dortmund bis Duisburg, gesperrt. Der Aktion liegt der Gedanke zugrunde, dass wir die Menschen zusammenführen wollen. Wir wollen sie für Kultur gewinnen. Jeder, der dort einen Tisch beantragt, kommt mit seinem Verständnis von Kultur. Es soll eine große Tafel der Kulturen, Nationalitäten und Generationen werden.
Pleitgen: Man sollte nach Bottrop oder Herne gehen. In Kleinkunsttheater gehen. Wir haben fantastische Museen. Da können wir mit Weltmetropolen mithalten. Wir sind ganz anders als Paris und London, aber wir sind interessant.
Pleitgen: Ich selbst bin kein großer Anhänger der Currywurst. Für mich ist eine Bratwurst das interessantere Angebot, aber ich sehe, wie Menschen beglückt schauen, wenn sie eine Currywurst essen. Also kann man das empfehlen. Das passt zum Ruhrgebiet hundertprozentig und zur Kultur auch. Es muss nicht immer ein Sechs-Gänge-Menü sein.