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Internationales Filmwochenende Würzburg: Raumfahrt im Wohnzimmer
Stanislaw Lem: Es ist nicht leicht, sich dem komplexen Werk des polnischen Autors zu nähern. Der Filmemacher Oliver Jahn tut's mit ironischer Doppelbödigkeit. Vielleicht ist er gerade deswegen nah dran.
Vielleicht denkt er sich das alles bloß aus: Oliver Jahn als Ijon Tichy in einer Folge der ZDF-Serie.
Foto: sabotage-Film / dpa / Filminitiative | Vielleicht denkt er sich das alles bloß aus: Oliver Jahn als Ijon Tichy in einer Folge der ZDF-Serie.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:01 Uhr

Da sitzt einer in der Küche oder im Wohnzimmer, nimmt einen Besenstiel als Steuerknüppel und tut so, als sei er Ijon Tichy und reise durchs All. Die Wohnung ist sein Raumschiff. Dessen Äußeres sieht aus wie eine Kombination aus Stempelkaffeekanne und Thermosflasche (was es auch ist). Ijon Tichy ist eine Figur aus Stanislaw Lems „Sterntagebüchern“. Filmemacher Oliver Jahn hat die Ijon-Tichy-Geschichten als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller zwischen 2007 und 2011 fürs ZDF in der Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“ umgesetzt.

Stanislaw Lem (1921 bis 2006), dem sich in diesem Jahr das Würzburger Filmwochenende widmet (siehe Kasten unten), gilt als Großmeister der Science-Fiction. Gestandene Literaturkritiker erweisen dem Polen ihre Reverenz: Er „erschließe Themen und Formen des Science-Fiction-Genres der Sphäre der seriösen Literatur“, befindet der Soziologe und Politologe Dr. Rüdiger Haude in Joachim Kaisers „Buch der 1000 Bücher“ (Harenberg-Verlag). Und mit dieser Ikone des Zukunftsromans geht Filmemacher Oliver Jahn derart hemdsärmelig um . . .

frage: Sie haben in der eigenen Wohnung gedreht. Warum?

Oliver Jahn: Wir haben diese Umsetzung gewählt, weil wir auch den philosophischen Ansatz der „Sterntagebücher“ darstellen wollten. Ijon Tichy ist so eine Art Weltraum-Münchhausen. Man weiß gar nicht, welche der Geschichten, die er erzählt, tatsächlich wahr sind. Für uns war es immer auch ein Stück weit so, dass der Typ vielleicht in einem Krakauer Hinterhof in seiner dunklen Bude sitzt, sich in der Küche einen Schnaps eingießt und sich das alles bloß ausgedacht hat. Vielleicht spielt sich das alles nur im Universum seines Kopfes ab – stark eingefärbt von seiner Umgebung. Deshalb diese Wohnung. Deshalb das Raumschiff aus Kaffeekannen.

Philosophischer Ansatz, Küche und Stanislaw Lem. Das passt zusammen – allerdings erst auf den zweiten Blick: Denn Lem war nicht nur einfach ein Schreiber von Zukunftsromanen.

Es ist komplizierter: „Verlage, die mich in einer mit Science-Fiction-etikettierten Schublade eingeschlossen haben, taten dies hauptsächlich aus merkantilen und kommerziellen Gründen, denn ich war ein hausbackener und heimwerkelnder Philosoph, der die künftigen technischen Werke der menschlichen Zivilisation vorauszuerkennen versuchte“, sagte Lem (nachzulesen bei stanislaw-lem.de).

Frage: Womöglich ist ausgerechnet derjenige nahe an Lem dran – und an seinen Büchern –, der eben keinen Science-Fiction-Film in der klassischen, pseudo-realistischen Optik dreht.

Oliver Jahn: Es wäre sehr interessant gewesen, wie Lem unsere Verfilmung der „Sterntagebücher“ beurteilt hätte. Er ist ja leider vor der Premiere der ersten Staffel verstorben. Wir sind, glaub' ich, die einzige Verfilmung seiner Bücher, die eben keine Science-Fiction ist. Science-Fiction ist ja in der Regel eine ernst zu nehmende Betrachtungsweise einer möglichen Zukunft, und das ist ja nun unsere Serie gar nicht. Wir beschäftigen uns eher mit menschlichen Verfehlungen, mit den Problemen, die die Menschheit im Alltag hat. Ich glaube, das entspricht eher der Idee von Stanislaw Lem.

Auch wenn wir natürlich weit von seinen philosophischen Abhandlungen entfernt sind, glaub' ich, dass wir vielleicht näher dran sind als andere Verfilmungen. Leider haben wir nicht mehr erlebt, was er dazu sagt. Andere Verfilmungen fand er jedenfalls schlimm.

Stanislaw Lem (bekanntester Roman: „Solaris“, mehrfach verfilmt, unter anderem 2002 mit George Clooney) pflegte ein eher pessimistisches Menschenbild: „Wir Menschen sind Raubtiere“ soll er gesagt haben.

Frage: Lem zeigt immer wieder auch die negativen Seiten von Technik und Technikgläubigkeit . . .

Oliver Jahn: Ja, Lem ist jemand, der dem Menschen eher eine Unfähigkeit zuschreibt, mit der technologischen Entwicklung umzugehen, gerade in dem Tempo, in dem sie fortschreitet. Die Selbstüberschätzung des Menschen deutet er auch in der Figur des Ijon Tichy an. Der hat – auch in unserer Serie – einen beinahe starrsinnigen Glauben an sich selbst. Er neigt zur Selbstüberschätzung.

Jahn, 1969 in Oldenburg geboren, zitiert in „Ijon Tichy: Raumpilot“ berühmte Science-Fiction-Filme, von „Raumpatrouille“ über „Zurück in die Zukunft“ bis „Star Wars“ – mit Ironie.

Frage: Lem hat immer wieder Humor und Satire eingesetzt. Vielleicht auch, um den Gedanken an eine womöglich düstere Zukunft erträglicher zu machen. Wie sehen Sie das?

oliver Jahn: Da die Zukunft ja sowieso unabänderlich ist und man nicht weiß, wie sie ausfällt, kann das sicherlich ein Mittel sein. Ob Lem das für sich als Lösung gefunden hat, weiß ich nicht. Ich finde auch nicht, dass er das grundsätzlich so düster gesehen hat. Zumindest nicht in den „Sterntagebüchern“. Da geht's aber auch nicht so sehr darum. Doch Humor ist natürlich generell ein Mittel, um die Dinge besser zu ertragen.

Thomas Morus' „Utopia“ erschien 1516 (mehr dazu lesen Sie in unserer Mittwochsausgabe). Der Roman gilt als Urvater auch der modernen Science-Fiction und gab einem ganzen Genre den Namen. Der englische Staatsmann und Schriftsteller übt darin Kritik an herrschenden Zuständen. Der (kritische) Bezug zur Jetzt-Zeit ist ein Kennzeichen guter Science-Fiction-Literatur.

Frage: Was kann Science-Fiction leisten?

Oliver Jahn: Ich glaube, es ist einfach ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, über seine eigene Sterblichkeit hinaus wissen zu wollen, was mit der Menschheit passiert. Diese Neugierde und die Suche nach Antworten werden auch durch Science-Fiction-Romane bedient. Und in manchen Fällen ist Science-Fiction auch eine deutliche Warnung.

Das Internationale Filmwochenende Würzburg

Die 42. Auflage des Internationalen Filmwochenende Würzburg findet vom 28. bis 31. Januar im Programmkino Central (ehemaliges Mozartgymnasium, Maxstraße 2) statt.

Zu sehen sind über 60 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme – „fernab des Mainstreams“, so die Festivalmacher (Programm: www.filmwochenende.de).

Stanislaw Lem ist zum zehnten Todestag eine Retrospektive gewidmet. Eine Auswahl von Verfilmungen der Bücher des polnischen Autors gewähre „interessante Einblicke in die Entwicklung des Science-Fiction-Films“, heißt es in einer Pressemitteilung der veranstaltenden Filminitiative. Dazu gehören der erste Science-Fiction-Film der DDR, „Der schweigende Stern“, eine Verfilmung von Lems bekanntestem Roman, „Solaris“ (UdSSR von 1972) und eine Low-Budget-Fernsehserie des ZDF, „Ijon Tichy: Raumpilot“.

Oliver Jahn, Hauptdarsteller und Mitschöpfer der Fernsehserie „Ijon Tichy: Raumpilot“, wird beim Festival zu Gast sein.

„100 Jahre Gänsehaut" ist die zweite Retrospektive überschrieben. Der Gast kommt aus Hollywood: Mick Garris hat „Psycho IV“ und mehrere Stephen-King-Romane verfilmt. Als

Drehbuchautor, Regisseur, Filmjournalist und -historiker begleitet Garris seit mehr als 30 Jahren den modernen Gruselfilm. Beim Würzburger Filmwochenende präsentiert er eine Auswahl von Streifen des Thriller- und Horrorgenres.

 
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