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Würzburg
In Ute Lemper brennt das Feuer der Neugier
Interview: Im Laufe ihrer langen Karriere hat sich Ute Lemper immer wieder neuen Projekten gestellt. Ein Fixpunkt aber sind die Lieder von Brecht/Weill geblieben, die sie zu einer Art Mission gemacht hat.
Das Gespräch führte unser Mitarbeiter Christoph Forsthoff
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:50 Uhr

Lady? Ja, die Charakterisierung gefällt Ute Lemper schon. „Auch ich verlange Respekt und Anerkennung und repräsentiere eine gewisse Würde, Stärke wie auch Stil – da finde ich Lady schon okay.“ Einverstanden – doch vor allem ist die gebürtige Münsteranerin, die seit fast 20 Jahren in New York lebt, eine ebenso erfolgreiche wie wandlungsfähige Sängerin und Künstlerin, wie sie auch mit ihrem jüngsten Projekt „Stadtkind“ beweist. Bevor die 53-Jährige nun beim Kissinger Sommer mit der Kammerakademie Potsdam und Pianist Stefan Malzew einen Streifzug durch die musikalisch „Goldenen Zwanziger“ des vergangene Jahrhunderts unternimmt, hat Christoph Forsthoff die Lemper zum Interview getroffen.

Frage: Musical, Cabaret, Chanson, Jazz, Tango, Liebegedichte von Pablo Neruda – Sie haben zahlreiche Musikgenres durchlaufen. Treibt Sie die Ruhelosigkeit oder unstillbare Neugier?

Ute Lemper: Auf jeden Fall eine Neugier, aber es hat auch damit zu tun, dass diese ganze Evolution ja über 30 Jahre abgelaufen ist. Und sobald ein neues Kapitel eröffnet ist, bleibt der Inhalt als Inspiration, als Stück meiner Identität.

Eine Neugier, die noch immer von jenem „riesigen Feuer“ gespeist wird, das seit Kindertagen in Ihnen brennt, wie Sie es selbst einmal formuliert haben?

Lemper: Auf jeden Fall brennt dieses Feuer immer noch – mich auf irgendeine Routine zurückzuziehen, das könnte mir nie gefallen. Ich liebe es, auf die Bühne zu gehen mit dem Gedanken „Mal schauen, was in den nächsten zwei Stunden passiert“. Jede Interpretation ist offen, und meine Musiker sind mittlerweile auch sehr gewandt, um mir auf Schritt und Tritt zu folgen und uns gegenseitig zu inspirieren.

Ihr Lebensmittelpunkt liegt seit langem in New York – was macht den Reiz dieser Stadt aus?

Lemper: New York hat mich freigemacht von allen kleinbürgerlichen, provinziellen und nationalistischen Zügen, die in den europäischen Ländern existieren – ob nun in Deutschland, England, Frankreich, Italien oder Spanien. Nicht selten herrscht dort eine kleinkarierte Mentalität, die Menschen, die anders sind, rasch zu Außenseitern macht.

Und das ist in New York anders?

Lemper: Dort ist jeder anders, darf anders sein, anders aussehen und sprechen wie er will – und dies wird nicht beurteilt, da es einfach die Normalität ist, anders zu sein. Und das hat mich sehr frei gemacht im Kopf.

Eine künstlerische Freiheit, mit der sich mancher in Deutschland eher schwer tut: Während Sie andernorts bejubelt werden, steckt man Sie hierzulande bis heute gern in die eine oder andere Schublade – neigen die Deutschen zu Klischees?

Lemper: Das kann schon sein. Am Anfang wurde ich schnell in die Schublade Romy Schneider und Marlene Dietrich hineingezogen als junge deutsche Power-Frau und Femme fatale. Ich war schockiert, doch irgendwann ist mir dann klar geworden, dass viele Menschen offenbar solche Klischees brauchen.

Stören Sie solche Schubladen-Bilder?

Lemper: Nein. Mittlerweile interessiert mich das überhaupt nicht mehr, denn ich bin schon seit langem meine eigene künstlerische Identität und habe nicht mehr damit zu kämpfen, diese noch näher zu definieren. Wenn ich auf die Bühne gehe, fühle ich mich völlig in meinem eigenen Element.

Und das kann sich durchaus auch mal in Lateinamerika finden, wie Ihre Tango-Programme zeigen. Woher rührt diese Vorliebe?

Lemper: Der Tango ist mittlerweile Teil meiner musikalischen Identität, in der die Piazzolla-Songs ihre Fußspuren hinterlassen haben. In dem Programm „Last Tango in Berlin“ begleiten mich bei den Songs von Piazzolla, Weill und Brecht, Hollaender, Piaf und Brel Klavier und Bandoneon…

Nun treten Sie mit dem Tango-Programm auch in Südamerika auf, der Heimat des Tangos – wie reagieren die Menschen dort auf die Mischung aus Brel, Weill und Piazzolla?

Lemper: Es gibt in Südamerika ein großes Publikum, das aus verschiedenen Gründen sehr interessiert ist an der europäischen Kunst und am europäischen Lied. Für diese Menschen bin ich die Nachkriegskünstlerin, die versucht, diese Welten zusammenzubringen. Zumal ich ja auch viele Lieder auf Jiddisch singe – ein Dialog zwischen den Kulturen, der zu einem Teil meiner Mission geworden ist im Laufe der letzten 30 Jahre.

Haben Sie diese Rolle als Mittlerin zwischen den Welten bewusst angestrebt?

Lemper: Nein, anfangs nicht bewusst. Meine internationale Karriere begann ja 1987 mit meiner ersten Platte „Ute Lemper singt Kurt Weill“, die 50 Wochen lang die Nummer Eins in den Crossover-Charts in den USA gewesen ist und sich überall bis hin nach Japan sehr gut verkauft hat.

Nur hier hat es kaum einen interessiert…

Lemper: …denn hier waren die Lieder aus der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ alte Kamellen. Doch international hat die Platte die damals noch als Nazi-Sprache stigmatisierte deutsche Sprache auf einmal wieder in einem anderen Licht erscheinen lassen: Die Sprache wurde in ihrer Poesie wiedererkannt, in ihrer Schönheit und Tiefe. Und so verbindet mich mit diesem Repertoire bis heute eine große internationale Geschichte, und ich habe es mir dann zur Mission gemacht, dieses Thema mit großem Respekt und Ehrlichkeit zu behandeln und eine Brücke zur Musik anderer Länder zu schlagen.

Ein Grund, dass Elke Krüsmann Sie in ihrem Buch „Endlich Lady! Älter werden muss nicht beige sein“ als Repräsentantin einer neuen, faszinierenden Frauengeneration bezeichnet. Was macht diese neue Frauengeneration aus?

Lemper: Ich bin mir nicht sicher, ob man über die ganze Generation sprechen kann, denn natürlich kommt es auf den Lebensstil an. Aber generell gilt, dass uns von der Emanzipation der Weg schon bereitet war: Wir konnten von Anfang mitreden in der Männerwelt, und auch alle Berufe standen für uns offen.

Gleichberechtigung ist also heute Realität?

Lemper: Natürlich ist es für die Frau immer härter, Beruf, Kinder und Familie unter einen Hut zu bringen – weil nunmal die Frau die Kinder austrägt und die Gesellschaft das auch so fördert. Aber in puncto politischer Offenheit und fairem Denken standen unserer Generation schon viele Türen offen, die wir auch mit viel Selbstbewusstsein durchschritten haben.

Sie geben weltweit Konzerte, daheim brauchen zumindest Ihre beiden jüngsten Kinder auch die Mutter – finden Sie da noch Zeit für sich?

Lemper: Wenn ich auf Tour bin, dann habe ich auch Zeit, ein Buch und Zeitung zu lesen oder einen Film zu gucken. Insofern ist diese Balance von Familien- und Musikleben eigentlich ideal, denn ich muss schon mal die Tür zumachen und sagen können: Jetzt nehme ich mir mal Zeit für mich.

Zuhause gelingt Ihnen das also trotz aller perfekter Organisation dann doch nicht?

Lemper: Nein, diesen Luxus habe ich eigentlich nur auf Tour. Obwohl ich mir nun ein schönes Arbeitszimmer oben auf dem Dach eingerichtet habe, wohin ich dann auch am Tag mal entfliehen kann – aber gerade den Kleinen herumzutragen, das ist ziemlich anstrengend: Da tut mir schon der Rücken weh, das muss ich zugeben. (lacht)

Eine Lady mit Rückenschmerzen also – sehen Sie sich selbst eigentlich auch als Lady, wie es in dem genannten Buchtitel assoziiert wird?

Lemper: Lady? Doch, ich denke schon, dass ich eine Lady bin, da ich auch Respekt und Anerkennung verlange, eine gewisse Stärke und Würde wie auch einen gewissen Stil repräsentiere – so als Lady, das finde ich schon nett.

Gehört zu einer Lady auch Noblesse?

Lemper: Nein, das glaube ich eigentlich nicht, denn Noblesse oblige – und ich fühle mich zu nichts verpflichtet. Gerade das ist ja auch das, was mir in New York so gut gefällt, so dass ich dort überhaupt keine Form von Snobismus oder einem übersteigerten Selbstbewusstsein entwickle: Da ist alles so relaxt, und es ist auch völlig egal, wie alt jemand ist.

Als Sie vor vier Jahren Ihren 50. Geburtstag begangen haben, wie sind Sie dieser für viele eher unangenehmen Zahl begegnet?

Lemper: Tja… eigentlich mit Erstaunen: Das gibt es doch nicht, dass ich schon 50 bin! Wie ist denn das passiert? Wo sind die letzten zehn Jahre hingegangen – ich bin doch gestern erst 40 geworden, heute werde ich 50… Doch im Prinzip fühle ich mich heute künstlerisch besser und freier. Nur der Körper ist etwas müder als mit 40, das muss ich schon zugeben.

Ute Lemper: „Stadtkind“, Lieder und Chansons von Kurt Weill, Léo Ferré, Jacques Brel, Edith Piaf, Kissinger Sommer, Regentenbau, Sa., 8. Juli, 20 Uhr, Karten: Tel. (09 71) 80 48-444.

 
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