Es kommt darauf an, wie man den Begriff „Impressionismus“ auslegt. Versteht man darunter leuchtende Farben – blendendes gelbes Licht, blauesten Himmel und blauestes Meer –, dann muss einem der Titel dieser Ausstellung absurd erscheinen: „Impressionismus Schwarz/Weiß“. Versteht man darunter aber die Kunst, im Betrachter einen Eindruck zu erwecken, der nicht eins zu eins aus der detailgetreuen Wiedergabe des Gesehenen entsteht, sondern durch den Einsatz zeichnerischer und malerischer Mittel, die erst in der Zusammenschau und meist auch erst aus gewissem Abstand betrachtet ein Gesamtbild ergeben, dann sieht die Sache schon anders aus.
Dann sind die Arbeiten, die Kurator Nico Kirchberger für die neue Ausstellung im Würzburger Museum im Kulturspeicher zusammengestellt hat, so impressionistisch, wie sie nur sein können. Und stehen ihren gemalten – farbigen – Pendants an Ausdruckskraft kaum nach. Was den Expressionisten der Holzschnitt, das sind den Impressionisten Radierung und Lithografie. Fast alle haben sie mit diesen Drucktechniken gearbeitet, meist mit experimentellem Ansatz.
Nur ein großer Name fehlt
Und in der Kulturspeicher-Ausstellung fehlt kaum ein großer Name. Die Auswahl mit deutschen Arbeiten aus dem Bestand, etwa von Corinth, Liebermann, Slevogt, Ernst Oppler, Ludwig von Gleichen-Russwurm hat Kirchberger mit Leihgaben der Klassiker etwa aus Berlin, München, Köln oder Mainz ergänzt: Degas, Manet, Corot, Cézanne, Renoir, Pissarro, Whistler und van Gogh. Letzterer hat eine einzige Radierung geschaffen, 1890, wenige Wochen vor seinem Tod: ein Porträt seines Arztes Paul-Ferdinand Gachet.
Allein diese Arbeit zeigt, dass hier die Druckgrafik – wie bis dato in der akademischen Szene aus geschäftlichen Gründen üblich – nie die reine Reproduktion eines Gemäldes ist, selbst, wenn sie parrallel zu einem solchen entsteht. Van Gogh hat Gachet in zwei Gemälden verewigt, die Radierung zeigt ihn zwar ebenfalls mit sorgenzerfurchter Stirn, aber in anderer Haltung und dem Betrachter irgendwie näher.
Whistlers verfallendes Venedig
Auch Paul Gauguins „Portrait Stéphane Mallarmé“, entstanden ein Jahr später, hat diese persönliche Kraft. Der Schriftsteller, der zur Seite blickt, als habe gerade eben etwas seine Aufmerksamkeit erregt, scheint spontan eingefangen. Der Rabe über seinen Kopf ist eine Anspielung auf Edgar Allan Poe: Es war Mallarmé, der dessen Gedicht „Der Rabe“ ins Französische übersetzt hatte. Max Liebermanns undatiertes Selbstbildnis wartet mit einer Besonderheit auf: Auf den meisten Selbstporträts erscheinen Künstler als Linkshänder, weil sie sich im Spiegel selbst Modell sitzen.
Diese Radierung aber zeigt den Maler – im Gegensatz zu auch seinen gemalten Selbstbildnissen – als Rechtshänder. Erst die Druckplatte, deren Inhalt seitenverkehrt auf dem Papier erscheint, gibt diese Tatsache korrekt wieder.
Monets Lehrer Jongkind
Auch Edouard Manets wunderbare Lithografie „Bildnis Berthe Morisot“ erinnert an ein Gemälde gleichen Inhalts, und auch hier erreicht die Schwarz-Weiß-Version mit meisterhaft sparsam gesetzten Strichen eine beinahe intimere Ausstrahlung.
Stark variiert hat Manet die druckgrafische Version der „Erschießung Kaiser Maximilians“, wie der Betrachter in der Ausstellung dank einer Reproduktion des Gemäldes leicht nachvollziehen kann. Noch unausweichlicher, brutaler wirkt die Szene in der Lithografie.
Was sich beim Porträt andeutet, bestätigt sich bei der Landschaft: Wenn man dem Auge Farben vorenthält, schafft sich der Kopf selbst welche. „Das Gehirn rechnet das um“, sagt Nico Kirchberger. Bester Beweis ist Félix Bracquemonds „La Terrasse de la Villa Brancas“, eine idyllische Balkonszene, auf der die Wärme der Sonne fast körperlich zu spüren ist. „Schauen Sie, da fehlt doch keine Farbe“, sagt Kirchberger zufrieden.
Spektakulär auch James McNeill Whistlers Venedig-Serie, die den gar nicht so malerischen Verfall der Lagunenstadt beinahe greif- und riechbar macht.
Kompromisslos zeichnerisch sind auch die Arbeiten von Johan Barthold Jongkind, jener Künstler, den Monet als seinen wahren Lehrer bezeichnete und von dem er sagte, er habe ihm erst das Sehen beigebracht. Jongkinds „Soleil couchant“ von 1868 wirkt wie die direkte Vorlage für Monets „Impression“ vier Jahre später, jenes Gemälde, nach dem eine ganze Kunstrichtung benannt werden sollte.
Ein großer Name fehlt übrigens tatsächlich. Der größte vielleicht: Monet. Monet schuf keine einzige Druckgrafik. Dazu sei er ein viel zu schlechter Zeichner, vertraute er Mallarmé in einem Brief an.
Museum im Kulturspeicher: Impressionismus Schwarz/Weiß, bis 20. November. Di. 13-18 Uhr, Mi. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Fr., Sa., So. 11-18 Uhr.