
Ein Schwein schwebt hoch oben in der Luft, genauso wie die Kopie eines Kriegsflugzeugs, während ein gigantischer, aufblasbarer Lehrer mit Rohrstock in der Hand auf den Besucher herunterblickt. Er wirkt psychisch gestört und so soll das wohl sein. Auch er ist – im übertragenen Sinne – ein Schwein für seinen Erschaffer, Roger Waters.
Der Musiker hat die Erfahrung mit seinem bösen Lehrer, dessen Erziehung laut des berühmten Lieds niemand braucht („We don't need no Education“), künstlerisch verarbeitet. Das Schwein dagegen flog über die Londoner Battersea Power Station und bildete das legendäre Cover für das Album „Animals“ – auch diese Szenerie mit dem Nachbau der Station veranschaulicht in der neuen Ausstellung des Victoria and Albert Museums über die britische Band Pink Floyd.
Der Titel „Their Mortal Remains“ – ihre sterblichen Überreste – klingt zwar etwas finster. Aber die Schau, die bis 1. Oktober in London zu sehen ist, ist eine faszinierende und gleichwohl eindringliche Erinnerung daran, wie lange Pink Floyd bereits die Bühnen dieser Welt rocken. Die Reise geht durch eine experimentelle und eindringliche Welt. Es ist eine Reise durch fünf Jahrzehnte, dargestellt anhand von Original-Instrumenten, Briefen, Outfits und Kunstobjekten, Bühnen-Accessoires und Fotografien, Video-Aufnahmen und Tagebucheinträgen.
Der Besucher betritt die Schau durch eine Replik des ursprünglichen Tourbusses und landet sofort in der psychedelischen Welt der 60er Jahre aus Licht- und Videoshows. Gegründet 1965 von Syd Barrett, Nick Mason, Roger Waters und Rick Wright, experimentierten die Musiker bereits zu Beginn ihrer Karriere sowohl mit Kunst, mit Neuerungen in der Tontechnik als auch mit Drogen und waren zu Beginn Teil einer rebellischen Jugendkultur.
Die Ausstellung wurde chronologisch nach Alben geordnet und man erkennt, wie sich die Band stets neu erfunden hat. Am Ende kreierten die Meister der visuellen Effekte auf der Bühne ein wahres Rock-Theater und lieferten bombastische und aufwendige Bühnenshows vor bis zu 90 000 Menschen. Und so feiere die Ausstellung eben auch „eine 25-jährige goldene Zeit, als Albumverkäufe durch die Decke gingen und die Industrie überflutet wurde mit Geld“, sagte Aubrey Powell bei der Vorab-Besichtigung. Er ist einer der Gründer des Design-Teams von Hipgnosis, das für die berühmtesten Plattencover verantwortlich zeichnet und gemeinsam mit dem Museum und den noch lebenden Bandmitgliedern die Retrospektive zusammengestellt hat.
Pink Floyd hätten das Motto gehabt: „Die Kunst kommt zuerst, Geld erst danach“, erinnert er sich. So hieß es offenbar stets unter den Musikern: „Was immer es kosten mag, mach es.“
Das 1973 erschienene Album „The dark Side of the Moon“ machte Pink Floyd zu globalen Superstars. Doch es fällt auf, wie sich die Künstler umso mehr zurückzogen, je euphorischer sie auf der Weltbühne gefeiert wurden. „Welcher von ihnen ist Pink?“, lautete der Dauerwitz und er bezog sich auf die Zurückhaltung der Musiker.
„Sie hätten sich während ihrer eigenen Auftritte ihrem Publikum anschließen können, ohne erkannt zu werden“, befand Ende der 80er der Journalist und Produzent John Peel über die Beinahe-Anonymität von Pink Floyd. Das alleine sei schon eine Leistung. Die Retrospektive im Victoria and Albert Museum macht deutlich, dass es nur wenige Bands in der Rockgeschichte geschafft haben, ihre Kreativität so auszuleben beim gleichzeitigen Versuch, die Aufmerksamkeit weg von ihnen als Persönlichkeiten und mehr auf ihre Musik zu ziehen. Rund 250 Millionen Alben haben sie verkauft, mit ihren Liedtexten provoziert, sich stets neu erfunden und versucht, politische Botschaften zu vermitteln, von denen viele bis heute aktuell sind – ob es sich um Mauern handelt oder um Krieg.
Besucheransturm
Dass immer wieder die Fetzen zwischen den Bandmitgliedern flogen, klingt an, aber leise. Dabei betonte Roger Waters, der „The Wall“ geschrieben hat und 1985 ausgestiegen ist, noch vor zwei Jahren in einem Interview, wie „unangenehm“ die letzten zehn Jahre in der Band gewesen waren. Das Missbehagen sei gekommen, „nachdem wir mit ,The dark Side of the Moon‘ irgendwie erreicht hatten, was wir als junge Männer erreichen wollten: erfolgreich zu sein. Unsere Wege gingen philosophisch und politisch auseinander.“
Es war das erfolgreichste Album von Pink Floyd und selbst 44 Jahre nach dem Erscheinen ist es dieses Plattencover, das jedem Fan als Erstes beim Gedanken an Pink Floyd in den Sinn kommen dürfte und dem in der Ausstellung ein ganzer Raum gewidmet ist: Vor schwarzem Hintergrund bricht ein weißer Lichtstrahl an einem Prisma, der sich dadurch in die Spektralfarben auffächert.
„Wish You Were Here?“, fragten britische Medien in Anspielung auf den berühmten Song. Und taten das aus gutem Grund. Rund 45 000 Tickets wurden bereits vorab verkauft, das V&A rechnet mit einem ähnlichen Erfolg wie vor vier Jahren, als die David-Bowie-Ausstellung einen Rekord aufstellte. Es war die am schnellsten ausverkaufte Ausstellung in der Geschichte des Museums. Pink Floyds sterbliche Überreste sollen an diesen Erfolg anknüpfen.


