
Ein eisernes Rund mit vergoldeten Spitzen als letzter Rückzugsort der geschundenen Natur, so hatte sich der niederländische Künstler herman de vries (Jahrgang 1931) seine Kunststation vorgestellt. 1993 hatte er sie anlässlich der Internationalen Gartenbau-Ausstellung (IGA) im Stuttgarter Stadtteil Prag errichtet: Ein Areal von elf Metern Durchmesser, in das der Mensch fortan nicht mehr eingreifen soll. Dann, Mitte März, der Schock: Das Stuttgarter Garten- und Friedhofsamt ließ die gesamte Fläche leerräumen.
Viel ist seither geschehen. Die Berichterstattung rief die Künstlerinnen Anna Ohno und Justyna Koeke auf den Plan: Am vergangenen Wochenende luden sie zur Performance und brachten mit weiteren Aktivisten Trauerflor am Zaun an. Außerdem erstatteten sie Anzeige gegen das Garten- und Friedhofsamt – „wegen Vandalismus“: Es handle sich bei dem Kahlschlag um die mutwillige Zerstörung eines Kunstwerks. Inzwischen gibt es eine Anfrage im Stuttgarter Gemeinderat, in der die Fraktion des Bündnisses SÖS (Stuttgart ökologisch sozial) Aufklärung fordert.
Vielleicht etwas gründlicher gestutzt als sonst
Amtsleiter Volker Schirner räumt zwar ein, man habe vielleicht etwas gründlicher als sonst gestutzt, er verteidigt den Kahlschlag aber als Beschnitt wie ihn das „Parkpflegewerk“ vorsehe. Demnach wäre das „Heiligtum“ kein Kunstwerk, sondern einfach Teil des Parks. Künstler herman de vries beruft sich dagegen auf die Projektbeschreibung und den von der Stadt zur IGA herausgegebenen Katalog, wonach innerhalb des „Sanctuariums“ die Natur uneingeschränkt und zeitlich unbegrenzt wachsen solle und dem Zugriff des Menschen entrückt sei: „Hätte ich gewollt, dass drinnen etwas gemacht wird, dann hätte der Zaun eine Tür.“ Immerhin 2,85 Meter ist der übrigens hoch, was die Entfernung der Vegetation deutlich erschwert haben dürfte.
Klar ist, hier treffen zwei Welten aufeinander: bürokratische Ordnung und künstlerische Vision. Tatsächlich gilt: Obwohl die Stadt Stuttgart die Kunststation erworben hat, darf sie mit ihr nicht nach Belieben verfahren. Das Gesetz räumt der Kunst nämlich eine Doppelnatur ein, bestehend aus dem eigentlichen Gegenstand und seinem geistigem Inhalt. Anders gesagt: Ein Kunstwerk ist mehr als die Summe seiner Materialien.
Das geistige Eigentum des Künstlers
Und dieses „Mehr“ bleibt geistiges Eigentum des Künstlers – oder obliegt, nach seinem Tod, 70 Jahre lang seinen Erben. Überdies wird immer wieder die Frage diskutiert, inwieweit beliebte Kunstwerke Teil des kollektiven Kulturempfindens werden: Dürfte, überspitzt formuliert, eine Mona Lisa einfach so im Panzerschrank eines schwerreichen Sammlers verschwinden, oder hat das Interesse der Allgemeinheit Vorrang?
Und es kommt eine Stuttgarter Besonderheit hinzu: Seit dem „Schwarzen Donnerstag“ und den Rodungen im Schlossgarten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist man besonders sensibilisiert für den bisweilen schroffen Umgang der Verantwortlichen mit der Natur – was im Übrigen genau das ist, was das „Sanctuarium“ schon damals visionär angeprangert hatte. Auch Justyna Koeke sagt, dass dieser Aspekt sie am meisten erschüttert – zusammen mit der Respektlosigkeit gegenüber der Kunst und dem uneinsichtigen Verhalten des Garten- und Friedhofsamtes. „Andererseits wollen wir aber auch zeigen, dass wir dankbar für die Kunst sind und dass es eine andere, schöne Seite von Stuttgart gibt.“
Grünen-Wähler de vries ist enttäuscht von der Stadt
herman de vries selbst sagt: „Es enttäuscht mich, dass das passiert, obwohl Fritz Kuhn Oberbürgermeister ist und ich über viele Jahre die Grünen gewählt habe, weil die sich für die Umwelt einsetzen wollten.“ Er sieht sein Konzept um 25 Jahre zurückgeworfen und will rechtliche Schritte anstreben: So will er eine Entschuldigung und eine verbindliche Erklärung erwirken, dass nicht noch einmal gerodet wird sowie eine Schadensersatz-Zahlung: „Nicht für mich; sie möchte ich einem gemeinnützigen Verein spenden, zum Beispiel für den Naturschutz.“