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WÜRZBURG
Ija Richter über "Disco", Humor und Georg Kreisler
Ilja Richter: Taugt Ironie als Schutzpanzer gegen die zynische Welt? Ein Gespräch mit dem Schauspieler und einstigen „Disco“-Moderator über Rechtspopulismus und erschreckend aktuelle Chansons.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:06 Uhr

Mit seiner Musiksendung „Disco“, die von 1971 bis 1982 im ZDF lief, beeinflusste Ilja Richter eine ganze Generation. Mittlerweile ist der Berliner als Schauspieler gefragt. Beim Mozartfest widmet er sich Chansons von Georg Kreisler (1922 bis 2011).

frage: War „Disco“ im Rückblick eher ein Fluch oder ein Segen?

Ilja Richter: Ich lasse solch alttestamentarische Worte bei so harmlosen Geschichten wie meiner Karriere – harmlos vielleicht nicht, aber nicht so dramatisch – aus. Ich fluche nicht auf meine „Disco“-Vergangenheit und sie ist auch kein Segen.

Das Image werden Sie aber doch nicht los . . .

Richter: Ich beschäftige mich sehr wenig mit meiner Vergangenheit. Wenn ich Abende gebe wie den in Würzburg, dann erwähne ich vielleicht mal kurz die „Disco“ in Zusammenhang mit Kreisler, weil ich in einer „Disco“ mal eine kleine Kreisler-Parodie eingebaut hatte. Aber das war's dann auch schon.

Sie kannten Kreisler. War der auch als Mensch so bitterböse, wie es seine Lieder sind?

Richter: Ich glaube nicht, dass die Lieder bitterböse sind.

Sondern?

Richter: Es sind satirisch-komische Betrachtungen. Kreisler war nicht böse. Die Welt ist böse, und Kreisler hat hinreißende, bissige bis melancholische Kommentare zu dieser bitterbösen und teilweise zynischen Welt abgegeben. Diese Kommentare sind von einer überraschenden, manchmal sogar erschreckenden, Zeitlosigkeit. Und Zeitlosigkeit bedeutet auch Aktualität. Das liegt vielleicht daran, dass Kreisler ein literarischer Kabarettist war und nicht auf aktuelles Geschehen einging. Dadurch haben bestimmte Pointen Allgemeingültigkeit. Nehmen wir den Rechtspopulismus. Vor – sagen wir mal – zehn oder 15 Jahren hätte man vielleicht gesagt: „Jaja, das könnte so werden, wie Kreisler es beschreibt.“ Jetzt aber kann man manchmal sogar sagen: „Ja, so ist es.“ Denken wir an die steigende Zustimmung für Rechtspopulismus, gucken wir uns die Bedrängnis von Frau Merkel an – nehmen wir Österreich, nehmen wir Polen, nehmen wir auch die Türkei. Es ist erschreckend, wenn man Aktualität an einem Chanson entdeckt, das aus den 60ern kommt.

Haben Sie ein Beispiel parat?

Richter: Etwa „Anders als die andern“ von 69: „Doch wir sind nicht so roh / wir helfen ihm packen und so / und wir tragen sein Gepäck / winken bis zum Eck / lassen seine Frau mit ihm weg.“ Dann fragt eine andere Stimme: „Aber was sind die positiven Programme?“ Die Antwort: „Dass wir allesamt Brüder sind, möglichst stramme / immer mehr unter uns / immer mehr Hinz und Kunz.“ Und dann kommen dolle Zeilen: „Das ist leichter für den Staat / für den Magistrat / für den Polizeiapparat.“

Irgendwie hat er das innerste Wesen der Gesellschaft, vielleicht sogar der Welt, erfasst . . .

Richter: Empfinde ich auch so. Auf die Frage, was er denn davon halte, dass man ihm nachsage, seine Lieder seien nicht mehr so schwarzhumorig und makaber wir früher, hat Kreisler mal geantwortet – das ist mindestens 20 Jahre her: „Ich mache immer noch dieselben Lieder. Ich bin immer noch derselbe. Aber die Welt ist schwärzer und böser geworden.“ Sinngemäß zitiert.

Könnte man das dann womöglich so interpretieren: Seine Lieder kontrastierten nicht mehr so stark mit der Welt, weil die schlimmer geworden war?

Richter: Ja, das wollte er zum Ausdruck bringen. Ganz konkret: So wie alle meinen, Interviews mit mir immer mit „Disco“ beginnen zu müssen, musste er – auf einem ganz anderen Level natürlich, aber es sind dieselben Mechanismen – damit leben, dass man ihn immer mit dem Titel „Tauben vergiften“ identifizierte. Er hat ein Riesen-OEuvre von einigen Tausend Liedern hinterlassen. Aber egal, wen Sie treffen: Wenn Sie Georg Kreisler erwähnen, sagt der sofort: „Ah, Tauben vergiften!“

Na klar.

Richter: Jedenfalls ist an dem Lied festzumachen, was er gemeint hat damit, dass die Welt schwärzer und böser geworden sei. In den 50er Jahren war das Lied verboten. Man muss das im Kontext sehen: Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust waren vielleicht gerade mal zehn Jahre vorbei. Da wurde das Vergiften einer Taube zum Anlass genommen, große Empörung zu zeigen – um mal deutlich zu machen, wo die Empfindlichkeitsgrenze in den 50er Jahren war und wo sie heute ist.

Nämlich?

Richter: Die Schmerzgrenze liegt heute höher – außer vielleicht bei irgendwelchen Diktatoren, die sich gestört fühlen, wenn man Satire über sie macht. Diktatoren haben es nicht so mit dem Humor . . . Würde „Tauben vergiften“ heute geschrieben, es würde nicht verboten. Aber zehn Jahre nach dem Mord an sechs Millionen Juden, insgesamt einem Mord an 50 Millionen Menschen, war das Vergiften einer Taube innerhalb eines Liedes für das Gemüt des Spießers unerträglich. Weil er natürlich seine eigene Unerträglichkeit verdrängte, weil er verdrängt hat, dass er das, was geschehen ist, selbst mitgetragen hatte oder es passiv geschehen ließ. Und, das wollen wir mal nicht vergessen, die Stimmung war: „Jetzt wird aufgebaut!“ Ich werde beim Kreisler-Abend in Würzburg Bekanntes und Unbekanntes bringen – aber nicht „Tauben vergiften“. Aus Respekt vor Kreisler, der das Lied gehasst hat. Die Künstlerin, die mich am Klavier begleitet, Sherri Jones, war übrigens die von Kreisler favorisierte Interpretin seiner Klavierstücke. Sie hat sie auf CD eingespielt – Kreisler war auch ein Komponist, den es noch zu entdecken gilt.

Können Humor und Spott eine Art geistiger Schutzpanzer sein gegen die Bösartigkeit der Welt?

Richter: Witzig kann so mancher sein. Humor hat noch lange nicht jeder, der viele Witze macht. Spott ist – meiner Meinung nach – sehr weit weg vom Humor.

Zwangsweise?

Richter: Für mich zwangsläufig. Spott ist nur ein Nebengleis des Humors und seiner vielen Facetten. Spott gehört zwar hinein in den Humor, ist aber nicht die Triebfeder. Triebfeder des Humors ist eine verletzte Seele. Der Humorist versucht natürlich, sich gegen diese Verletzung oder Kränkung der Seele zu wehren. Die Bezeichnung Humorist ist ein weites Feld. Sie galt früher auch für Conférenciers und heute für sogenannte Stand-up-Comedians, die das Erbe der Conférenciers und Alleinunterhalter angetreten haben – in unterschiedlichen Qualitäten. Wer nur Witze abfackelt und keine Meinung hat, sondern einfach nur Mechanismen bedient, der hat sicherlich mit Humor gar nicht so viel zu tun: Es ist ja dann keine seelische Angelegenheit.

Kann man mit Kabarett oder in diesem Fall mit Georg Kreislers kritischen Liedern irgendwas verändern?

Richter: Man kann damit so wenig oder so viel ändern wie mit Büchern, Filmen, Literatur – oder nehmen wir den Sammelbegriff: mit Kunst.

Aber man kann zum Nachdenken bringen . . .

Richter: . . . man kann zum Nachdenken anregen.

Ilja Richter beim Mozartfest

Geboren am 24. November 1952 in Berlin machte Ilja Richter als Achtjähriger erste Erfahrungen beim Rundfunk. Rollen beim Fernsehen folgten. Von 1971 bis 1982 moderierte Richter die „Disco“, wo er aktuelle Popmusik und eigene Sketche präsentierte.

Als Schauspieler ist Richter im Fernsehen, beim Film und auf der Bühne zu sehen (u. a. Renaissance-Theater Berlin, Münchner Volkstheater, Bad Hersfelder Festspiele).

Beim Mozartfest Würzburg tritt er am 23. und 24. Juni mit einem Georg-Kreisler-Programm auf. Restkarten: Tel. (09 31) 37 23 36

Das ZDF wird 50       -  Ilja Richter mit Mary Roos 1971 in „Disco“.
Foto: Dieter Klar (dpa) | Ilja Richter mit Mary Roos 1971 in „Disco“.
 
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