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WÜRZBURG
„Idomeneo“ beim Mozartfest: Parabel auf die Liebe zur Macht
Clay Hilley als Idomeneo – niemand käme auf die Idee, den Führungsanspruch dieses Bären von einem Mann in Frage zu stellen.
Foto: Ivana Biscan | Clay Hilley als Idomeneo – niemand käme auf die Idee, den Führungsanspruch dieses Bären von einem Mann in Frage zu stellen.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:08 Uhr

Ein König, dessen Volk nach und nach von einem Ungeheuer vernichtet wird, der wird nicht lange König bleiben. Allein schon, weil er irgendwann kein Volk mehr hat. Im Falle von Idomeneo, König von Kreta, verhält es sich noch ein wenig anders: Er müsste nur ein Gelübde einlösen, und das Ungeheuer, das im Auftrag des Meeresgottes Neptun auf seiner Insel wütet, würde seiner Wege gehen. Idomeneo hat gelobt, nach seiner Rettung aus Seenot werde er Neptun den ersten Menschen opfern, der ihm begegnet. Das Blöde nur: Dieser erste Mensch ist sein Sohn Idamante.

Natürlich liebt Idomeneo seinen Sohn. Aber Idomeneo liebt auch die Macht. Das wird schnell klar in Stephan Suschkes letzter Inszenierung für das Mainfranken Theater, die am Samstag im Rahmen des Mozartfests Premiere hatte (Wiederaufnahme am 14. Oktober). Suschke, Regisseur am Theater seit 2005, Schauspieldirektor seit 2013, verlässt Würzburg in Richtung Linz, er hinterlässt eine hochpolitische Deutung von Mozarts Tragédie lyrique „Idomeneo“ aus dem Jahre 1781.

Natürlich gibt es auch die Liebesgeschichte zwischen Idamante und Ilia. Aber da ist nicht viel Raum für Zweisamkeit, denn die handelnden Personen sind nicht einfach Privatleute, das zeigt schon der üppige Einsatz des Chors.

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Das Volk ist immer präsent, und Suschke sorgt dafür, dass es nicht übersehen wird. Was im Übrigen musikalisch mehr als gerechtfertigt ist: Der Chor hat von allen Mozart-Opern möglicherweise in „Idomeneo“ die größte Bedeutung, die ausgezeichnete Einstudierung von Michael Clark macht ihn zu einem der wichtigsten Pfeiler dieser Inszenierung.

Momme Röhrbeins Bühne ist ein kahler, heller Kubus mit ausgezeichneten akustischen Eigenschaften. Auf den ersten Blick edel wie das Foyer einer Bank, auf den zweiten mit seinen billigen Holzplatten dann doch eher Fassade. In diesem Raum bewegt sich auch Idomeneo wie ein Fremder – kein Wunder, schließlich ist er meist kriegführend im Außendienst unterwegs.

Wie Mozarts Musik, die vom ersten bis zum dritten Akt immer persönlicher, immer intimer wird, so schält auch Suschke aus den Figuren, die zunächst ja vor allem Amtsinhaber sind, allmählich die Individuen heraus. Bei niemandem zeigt sich das deutlicher als bei der Titelfigur.

Clay Hilley beherrscht schon mit seiner körperlichen Präsenz die Bühne. Sein gewaltiger Tenor verbindet Kraft und Klarheit – niemand käme je auch die Idee, den Führungsanspruch dieses Bären von einem Mann in Frage zu stellen. Und so kostet es Ilia die allergrößten diplomatischen Anstrengungen, den gewohnheitsmäßigen erotischen Nachstellungen Idomeneos zu entgehen.

Nicht mehr König sein zu sollen, das übersteigt Idomeneos Vorstellungskraft, und so bleibt von ihm, als sein Sohn und sein Volk zum Preise seiner Abdankung gerettet sind, nur noch die gebrochene Hülle. Hilley durchlebt diesen Verfallsprozess mit beklemmender Unausweichlichkeit.

Barabara Schöller in der Hosenrolle des Idamante wirkt da wie der bewusste Gegenentwurf: zierlich, sensibel, opferbereit.

Die alte und die neue Macht

Sie und Silke Evers in der Rolle der Ilia stehen für die lichte Seite der Existenz. Mozart setzt die beiden Stimmen – Sopran und Mezzo – besonders in den Ensembles als wirkungsvollen Gegenpol zu Idomeneo ein. Und zu Oberpriester Arbace, den der Tenor Joshua Whitener als unheimlichen Mahner auf Seiten der alten Macht zeichnet. Ob das schöne junge Paar eine neue Form der Macht, vielleicht gar der Teilhabe verkörpern wird, darauf macht Stephan Suschke nicht allzuviel Hoffnung – kaum König, wirft sich Idamante schon in Pose.

Und dann ist da noch Elettra, die von Anfang an am Rande des Wahnsinns agiert. Suschke lässt sie permanent von drei Erinnyen begleiten, Visualisierungen ihres inneren Aufruhrs. Mozart räumt dieser Elettra, die dramaturgisch gesehen im Grunde keine Funktion hat, großen Raum ein, Karen Leiber nutzt ihn mit großer Stimme und darstellerischer Wildheit für ein paar der dramatischsten Momente dieser Oper.

Enrico Calesso dirigiert ein leichfüßig und transparent aufspielendes Philharmonisches Orchester, das vor allem in den hohen Streichern zwar hin und wieder noch mit Intonationstrübungen kämpft, insgesamt aber mit viel Witz und Gespür eine Partitur umsetzt, die als beinahe sprechende Kommentierung der Handlung funktioniert.

Das Premierenpublikum bedenkt Sänger wie Regie mit langanhaltendem Applaus und etlichen Bravi. „Idomeneo“ als Parabel auf die Liebe zur Macht. Schlüssig und leider ziemlich nahe an der Realität.

 
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