Ungefähr in Minute 75 passiert auf der Bühne Wesentliches, auf dem Festplatz auch. Eine gute Stunde lang hat Hubert von Goisern im Volkach am Main da gebluest, von seiner ernüchternden USA-Reise erzählt und Songs aus „Federn“, dem neuen Album, vorgestellt. Gerade eben hat er – hart und metallen – das wütendste, politischste Lied dieses Abends gesungen, „für Chelsea und Eddy“ und „alle anderen, die für die Wahrheit in Leben riskieren“. „Snowdown“ über das „Ersaufen in der Datensupp'n“ und die Wahrheit, die Asyl sucht, aber nie kriegt. Grell, gleißend und star-spangled Weiß-Schwarz war die Bühne da erleuchtet . . . . und keine Atempause später – humpa, humpa – rollt treibend der Rhythmus los mit der aktuell populärsten von-Goisern-Melodie. Gelbrot getüncht ist jetzt die Leinwand, die Bühne brennt – und ja: „A jeder woiß, brenna tuat's guat.“ Die Konzerthallen-Festzelt-Radio-kompatible Nummer-eins-Nummer, die den Oberösterreicher vor drei Jahren in die Charts katapultierte, verändert die Stimmung. Es geht los mit den Mithüpf- und Auf-dem-Stuhl-Zappel-Nummern!
Die Sperrgitter, die über eine Stunde lang das stehende vom sitzenden Volk der 2500 Zuhörer trennten, zählen jetzt nicht mehr. Strammen Schritts wird die freie Fläche vor dem Bühnenrand erobert. Der Mann am Mikro setzt seine Mundharmonika ab und lächelt. „Ihr seid's do? Na guat, dann müsst ihr tanzen!“ Hubert von Goisern, Pass-Name Achleitner, ist bekanntermaßen vielseitiger Liedermacher, Multiinstrumentalist von Alphorn über Trompete bis Ziehharmonika und weltenbummelnden Weitreisender.
In den 90ern war er mit den Alpinkatzen in Paris, Texas und New York, dann folgte er Jane Goodall zu den Schimpansen, suchte Klänge in Tibet und Töne in der Wüste, spielte mit seiner Steirischen im Senegal und schipperte mit einem klingenden Konzertschiff zwei Sommer lang die Donau entlang. Vor zwei Jahren zog es ihn in die USA, weil: „Die sind mir mental entglitten, i versteh nimmer, wie die ticken.“ Vorurteile habe er abbauen wollen, „aber die haben sich in den zwei Monaten potenziert“.
Aber von Goisern wäre nicht er, hätte er nicht das Beste draus gemacht. Er hat sich eine schicke, rote Harmonika aus Louisiana mitgebracht, dazu Robert Bernstein an der Pedal-Steel-Gitarre – und viele Klassiker des Südstaatenblues. Cajun und Bluegrass – „auch nicht arg anders wie alpine Volksmusik“, findet der 62-Jährige. Die selben Harmonien, nur ein bissel ein anderer Drall.
So hat er sich am dreckig-schwülen Rock versucht und singt und spielt mit seiner vierköpfigen Band jetzt Klassiker wie „Jambalaya“ oder „Oh, Susanna“ als seien es uralte Alpenvolksweisen. Er beschwört greinend, jodelnd, jammernd und jaulend, maunzend und raunzend die pure Frucht im „Schnops“ und besingt trunken „Corinna, Corinna“. Dass aber die erzkatholischen Südstaatenmusiker seine Version des (protestantischen) „Amazing Grace“ überhaupt nicht mitspielen wollten . . . unerhört.
Schlussrunde in Volkach! Das Alphorn kommt zum Einsatz, zarte Balladen folgen, bei der unter Volkachs Bäumen ein Grüppchen endlich die Wunderkerzen anzünden kann. Von Goisern weist streng und augenrollend – „I will null für Handy spuin, i will fürd Leit spuin!“ – einen penetranten Smartphone-Filmer zurecht. Und mit „Weit, weit weg von dir“ und „Heast as nit“ endet in lauer Sommernacht mit einem beständigen, immer wieder überraschenden Musiker ein schöner Konzertabend.