Für den Würzburger Songschreiber Markus Rill war 2016 ein erfolgreiches Jahr: In gleich zwei Kategorien gewann er den Deutschen Countrypreis, als Sänger des Jahres und für das Album des Jahres – „Dream Anyway“, aufgenommen mit seiner Band The Troublemakers. Markus Rills Musik ist schnörkellos, erdig und echt, ihre Wurzeln liegen in Folk, Country und Rock 'n' Roll. Mit leicht angerauter Stimme singt Rill, der auch Redakteur dieser Zeitung ist, Texte, die mal nachdenklich, mal witzig vom sich selbst Treubleiben erzählen, von der Suche nach einem Platz im Leben oder schlicht vom Spaß, einmal so richtig das Blaue vom Himmel herunter zu schwindeln.
Frage: Du hast ja nun das Label „Countrymusiker“ verpasst bekommen – was hat so eine Auszeichnung für Auswirkungen, bringt die was, oder ist das eher eine einmalige Sache?
Markus Rill: Das ist schwer zu sagen. Ich habe ein paar schöne Anfragen bekommen, schon für den nächsten Sommer. Größere Sachen, Kulturämter, etwa der Stadt Saarbrücken. Ich kann schwer einschätzen, ob das mit dem Preis zu tun hat. Ich mache jetzt seit 20 Jahren Musik, das ist meine zehnte Platte. Irgendwann muss einen ja auch irgendwer vor die Flinte bekommen. Aber der Preis trägt sicher dazu bei – das ist etwas Vorzeigbares, mein Jodeldiplom sozusagen. Jetzt steht halt im Pressematerial, dass ich zwei Preise gewonnen habe, das ist sicher besser, als wenn das nicht dastünde.
Klingt jetzt aber nicht so, als ob Du deshalb in Zukunft mit Stetson auf die Bühne gehen wolltest.
Rill: Nein – ich freue mich, aber es war nicht mein Lebenstraum, mal den deutschen Countrypreis zu gewinnen. Es kommt immer auf die Arbeit an: Entweder ich habe einen guten Song oder eben nicht. Das Album wird durch den Preis nicht besser oder schlechter. Und die Alben vorher waren auch gut. Man sieht ja auch beim Oscar, wie stark so etwas von Subjektivität oder von politischen Erwägungen beeinflusst wird. Insofern glaube ich, dass die beim Countrymusikpreis auch den Wunsch hatten, sich zu öffnen und nicht in ihrem Line-Dance-Klüngel zu bleiben.
Und so war eben ich nominiert. Da war aber auch eine prima Band aus Dresden, die mir gut gefallen hat. Es gibt aber auch die typische Szene mit den Bands, die ihre Fanclubs dabeihaben, und zu dieser Szene habe ich bisher nicht gehört. Ich weiß nicht, ob ich da jetzt reinrutsche. Ich werde mich nicht wehren, wenn mich ein Countryclub bucht, aber ich habe nicht vor, auf der Bühne jetzt nur noch das Lasso zu schwingen.
Du machst ja auch keine reine Countrymusik.
Rill: Meine Musik hat natürlich mit Country einiges zu tun. Ich mag die Art, wie im Country Geschichten erzählt werden. Aber meine Musik hat genauso viel zu tun mit Rock 'n' Roll und Folk.
Fast jeder Deiner Songs erzählt eine Geschichte. Welche Rolle spielt dabei die Vergangenheit, die Lebenserfahrung? Jemand hat über Dich geschrieben, wer Boygroups mag, wird Dich hassen, aber wer ein paar Narben hat und noch ein bisschen wildes Blut in den Adern, der wird Dich schätzen.
Rill: Das Zitat ist von Ray Wylie Hubbard, das ist ein ganz großer texanischer Songschreiber. Das hat mich riesig gefreut. Er hat das getwittert – ohne Anlass und ohne, dass ich ihn näher kenne. Ich hab ihm mal geschrieben, dass ich sein Zeug super finde, und da hat er dann wohl auch in meins reingehört.
Und fühlst Du Dich erkannt in der Beschreibung?
Rill: Ich hatte schon immer den Wunsch, Songs zu schreiben, in denen es um etwas geht. Die nicht nur ein Popsong sind. Und natürlich erkennt man, wenn man älter wird, dass eben nicht alles entweder richtig oder falsch ist, so wie man das als junger Mensch dachte. Das ist natürlich eine Binse, aber je älter du wirst, desto deutlicher siehst du, dass es bei fast allen Themen Ambivalenzen gibt. Und ein „Ja, aber“. Das spiegelt sich in den Songs wider.
Songs mit Inhalt also.
Rill: Manche Leute denken, ich wollte in meinen Songs irgendwelche Messages transportieren. Wenn ich die Welt in richtig oder falsch, in schwarz oder weiß einteilen wollte, müsste ich Leitartikel schreiben. Wenn ich Dinge, die ich in einem Song ausdrücken will, klar mit Prosa ausdrücken könnte, würde ich das vielleicht machen. Ich finde, es ist ganz schwierig, den Inhalt eines Songs zusammenzufassen. Man muss ihn hören. Er beschreibt dann oft eine Gemengelage, aus der der Hörer auch etwas für sich herausziehen kann. Kunst ist dann interessant, wenn sie vielschichtig ist.
Mir fällt auf, dass jeder Deiner Songs eine starke eigene Atmosphäre hat. Hast Du schon eine Klangwelt im Kopf, wenn Du anfängst zu schreiben?
Rill: Das ist unterschiedlich. Es gibt Songs, die das in sich tragen, die selbst schon sehr klar vorschlagen, in welche Richtung es gehen soll. Außerdem inspiriert Kunst ja auch immer andere Kunst. Wenn ich viel Soul höre, Sachen von Sam Cooke etwa, dann denke ich, so etwas würde ich auch gern mal schreiben, dann bekommt es einfach diese Gestalt. Oder wenn es düster wie bei Tom Waits klingen soll. Bei anderen Songs muss ich mir bewusst Gedanken machen, wo es hingehen soll.
Oder wir erarbeiten das gemeinsam in der Band. „Hands of Mercy“ war eher balladesk, im Studio haben wir aber festgestellt, dass der Pep fehlte, der Biss. Dann haben wir daran gearbeitet – den Song etwa sehr schnell gespielt. Er bekam dadurch aber eine ironische Komponente, die ich nicht wollte. Also haben wir weiterprobiert, bis wir das Gefühl hatten, das passt jetzt.
Es schwingt bei Dir viel vom amerikanischen Mythos – oder dem Klischee – vom Unterwegssein in der Weite der Landschaft mit. Ist das Deine eigene Amerikaerfahrung, Du hast ja in den USA studiert, oder hat Amerika einfach die stimmungsvolleren Bilder?
Rill: Ich glaube, dass meine Songs nicht mehr so deutlich verortet sind. Mein erstes Album habe ich zu großen Teilen geschrieben, als ich in Texas gelebt habe. Du erkennst einen texanischen Songschreiber daran, dass spätestens im dritten Song des Abends das Wort Texas vorkommt. Ich dachte, ich gewinne an Authentizität, wenn ich das auch tue. Mit der Zeit habe ich natürlich erkannt, dass das Blödsinn ist. Man ist authentisch, wenn man sich selbst widerspiegelt. Heute vermeide ich solche Gemeinplätze. Ich sage natürlich „Highway“ und nicht „Kreisstraße Main-Spessart“.
Aber ich versuche, das allgemeingültiger zu formulieren. Oder spezifischer. Es ist auch eine faule Art, Songs zu schreiben, wenn man einfach „Arizona desert“ sagt – dann hat jeder gewisse Bilder im Kopf, das ist wie eine Abkürzung. Ich finde es interessanter, Bilder auf andere Art und Weise zu produzieren. Wenn ich zum Beispiel sage, da sitzt einer nachts um 3.30 Uhr allein in seiner Küche, dann verstehst Du das Bild, und dann ist es egal, ob das am Heuchelhof oder in Austin ist.
Wobei es am Heuchelhof möglicherweise noch ein bisschen trister ist. . .
Rill: Es geht jedenfalls um Einsamkeit und Tristesse. Es spielt auch eine große Rolle, dass ich auf Englisch singe. Ich habe mich lange selbst hinterfragt – ob das authentisch ist oder ob ich da das Niveau erreichen kann, das ich gerne hätte. Es ist nun mal nicht meine Muttersprache. Irgendwann habe ich dann erkannt: Ich bin zu 98 Prozent von englischsprachiger Musik inspiriert. Bei deutscher Musik fällt mir außer Element of Crime und Stoppok ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig viel ein, was mich textlich überzeugt. Und gerade zu Rock 'n' Roll brauchst Du was lässiges, etwas, das aus der Hüfte kommt.
Und das repräsentiert das amerikanische Englisch besser als gestochenes Hochdeutsch. Oder du hast einen starken Dialekt wie etwa BAP oder Spider Murphy Gang oder die Österreicher wie Ostbahn Kurti oder Ambros. Die können die Sachen auch cool auf den Punkt bringen. Aber so einen starken Dialekt habe ich nicht. Ich weiß nicht, ob ascheberscher Rock 'n' Roll was Großes hätte werden können.
Schon im ersten Song des Albums, „Something Great“ singst Du von Authentizität – dass Ihr als Kinder nie versucht habt, etwas anderes darzustellen, als das, was Ihr wart.
Rill: Das stimmt. Die Idee zu dem Song kam mir vor einigen Jahren, als ein paar Jubiläen für mich zusammen kamen. Zum einen 25 Jahre Abitur und davor noch 25 Jahre, seit der Ringerverein AC Goldbach zum ersten Mal deutscher Mannschaftsmeister wurde. Da habe ich mitgerungen als 17-Jähriger. Aus diesem Anlass sind online einige alte Filmschnipsel aufgetaucht, und ich habe festgestellt, wie stark wir damals alle Aschaffenburgerisch gesprochen haben. Da kommt die Textzeile „We sounded like the country“ her. Und dass Ringen eine unprätentiöse Sportart ist, der Überzeugung bin ich schon immer. Ich finde, Ringen ist wie Folkmusik. Eine natürliche, unverstellte Sache.
In „Walk on Water“ steckt richtig Witz: Ich kann auf Wasser laufen – jedenfalls solange ich nicht untergehe.
Rill: Es ist nicht ganz leicht, Humor im Rock 'n' Roll unterzubringen, ohne dass es dumm wirkt. Ich hatte diese Textzeile „I can walk on water“ und diese Melodie, und das hat ganz wunderbar zueinander gepasst, aber ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte, weil ich nicht einen Song aus der Sicht von Jesus schreiben wollte. Ich habe das dann lange mit mir herumgetragen, aber keine anderen Worte hatten den richtigen Sound. Und dann kam mir die Eingebung, das komplett zu überhöhen. Aus meiner Sicht ist der Typ, der den Song erzählt, ein Aufschneider, ein Heiratsschwindler. „I can walk on water unless I sink / I promise to stay sober unless I drink“.
Stellt sich durch so einen Preis die Karrierefrage doch nochmal? Ganz auf die Musik setzen? Willst Du es doch nochmal wissen?
Rill: Grundsätzlich will ich es immer wissen. Ich habe immer den Anspruch, auf professionellem Niveau zu arbeiten. Du sollst der Platte nicht anhören, dass das einer ist, der einen Ganztagsjob hat. Angenommen, die Platte würde sich 100 000-mal verkaufen und ich könnte wie etwa Andi Kümmert auf Drei- oder Vier-Wochen-Tour mit Band durch Deutschland gehen – das würde ich natürlich total gerne machen. Ich glaube, wenn ich mit 28 oder mit 30 an den Punkt gelangt wäre, an dem ich jetzt bin, dann hätte ich vielleicht auf diese Karte setzen können. Wenn ich ein alleinstehender junger Mann wäre, dann könnte ich vom Musikmachen schon leben – auf einem studentischen Niveau. Aber mit Familie ist das natürlich viel zu unsicher.
Vielleicht bleibt einem die Musik auch näher, wenn man eben nicht jedes Konzert spielen muss, damit die Miete bezahlt ist?
Rill: Ja, meine jetzige Situation gibt mir die Freiheit, musikalisch das zu machen, was ich will. Und das war immer mein Vorsatz.
Markus Rill live: Unter dem Motto „Townes & Texas“ gibt's am Mittwoch, 11. Januar, 20 Uhr, eine Lesung mit Musik in der 87Bar auf dem Bürgerbräu-Gelände in Würzburg. Martin Wimmer liest aus seinem Buch „Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes“, Rill spielt dazu die Musik texanischer Künstler, speziell von Townes van Zandt, der vor 20 Jahren – am 1. Januar 1997 – starb und fünf Wochen zuvor noch im Würzburger AKW auftrat, Rill eröffnete damals.
Am 31. März, 20 Uhr, treten Markus Rill & The Troublemakers in der Kellerperle Würzburg auf.
Zur Person
Markus Rill, geboren 1970 in Frankfurt am Main, wuchs in Goldbach bei Aschaffenburg auf und war in seiner Jugend mehrfacher Deutscher Meister im Ringen. In Würzburg studierte er Englisch und Sozialkunde. Während des Studiums verbrachte er ein Jahr in Austin, Texas, wo er sich mit der amerikanischen Musik in der Tradition von Bob Dylan, Townes van Zandt und Guy Clark befasste.
Seit Ende der 90er Jahre konzertiert er regelmäßig solo und mit Band in ganz Deutschland und hat dafür längst auch die Anerkennung des großen Feuilletons erfahren.
Im April kam bei Blue Rose Records sein zehntes Album heraus, „Dream Anyway“ mit seiner Band The Troublemakers. Im Oktober erhielt Markus Rill als einziger Künstler zwei Auszeichnungen beim Deutschen Countrypreis 2016: den Preis als „Sänger des Jahres“ und den Preis „Album des Jahres“ für „Dream Anyway“. Markus Rill ist außerdem Redakteur dieser Zeitung. maw