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Herbert von Karajan: Dompteur im Zirkus Karajani
Inbegriff des Klassik-Dirigenten: Vor 25 Jahren starb Herbert von Karajan. Obwohl er auch viel kritisiert wurde, nicht zuletzt wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft, wird er noch immer mit Superlativen überhäuft.
Herbert von Karajan: Dompteur im Zirkus Karajani
dpa
 |  aktualisiert: 17.07.2014 17:56 Uhr

Generalmusikdirektor Europas“, „Strippenzieher“, „Klangmagier“: Auch 25 Jahre nach seinem Tod verkörpert Herbert von Karajan den Inbegriff des Klassik-Dirigenten. Zwar haben neue Generationen von Kapellmeistern die Podien erobert – Barenboim, Jansons, Rattle, Dudamel. Kein anderer Maestro wird aber, sogar über den Tod hinaus, so mit Superlativen überhäuft.

Karajans CDs füllen Regale in Plattenläden, mehr als 800 Aufnahmen stehen in den Katalogen. Zum Todestag am heutigen Mittwoch, 16. Juli, holen die Musikkonzerne mit CD-Sondereditionen und DVDs zum großen Revival aus. Die Berliner Philharmoniker stellen Konzertaufnahmen und Dokumentationen zu Karajan ins Netz.

Bei aller multimedialer Gegenwart – aus der Entfernung eines Vierteljahrhunderts wirkt der Dirigent altmodisch und modern zugleich. In Zeiten, in der Klassikmusiker wie Popstars vermarktet werden und eine Diva wie Anna Netrebko oder ein Klavierstar wie Lang Lang auf der Couch einer Samstagabend-Show im Fernsehen sitzen, strahlt der 1908 in Salzburg geborene Dirigent eine ungewohnte Seriosität aus.

Pionier des Multimedia-Zeitalters

Mit seinem sorgsam gepflegten Star-Image setzte Karajan auf die bildmächtige Wirksamkeit seiner Auftritte. Er öffnete das Fernsehen für die klassische Musik und entwickelte zusammen mit Sony-Gründer Akio Morita die digitale Aufnahmetechnik. Die Berliner Philharmoniker stellen heute in der „Digital Concert Hall“ ihre Auftritte live ins Netz, Daniel Barenboim betreibt ein eigenes Label mit seinen Aufnahmen zum Downloaden – das hätte Karajan sicher gefallen.

Herbert von Karajan habe nichts dem Zufall überlassen, schrieb die Musikpublizistin Julia Spinola in einem Sammelband (2008) über den Interpretationsstil des Maestros. Als Kontrollfreak, der von der Einstudierung bis hin zur Vermarktung den kompletten Prozess der Musikproduktion beherrschen wollte, war er wohl ein Pionier des Multimedia-Zeitalters. Er habe dabei ganz schlechte, aber auch ganz große Musik produziert, schreibt Spinola.

Als mächtiger Orchesterherrscher hat das Karajan-Image allerdings etwas Angestaubtes. Wenn etwa Sir Simon Rattle vor die Berliner Philharmoniker tritt, bleibt das ein demokratisches Treffen unter Gleichberechtigten. Der einstige „Zirkus Karajani“ mit dem Dirigenten als Dompteur mutet eher wie von vorgestern an.

Sibelius oder Beethoven

Kritiker empfehlen Karajan-Aufnahmen, etwa von Jean Sibelius oder Ludwig van Beethoven, noch immer als Grundausstattung eines jeden Klassik-Fans. Sie kritisieren dabei aber auch Karajans „Breitwandsound“, der wohl dem Klangideal einer verblichenen Epoche entspricht. Der Philosoph Theodor W. Adorno sprach von Karajan als „Genius des Wirtschaftswunders“. Der Glaube, es gebe ein Klangideal unabhängig von der Interpretation des Einzelwerks, habe bei den Hörern einen Nerv getroffen, schrieb der Musikwissenschaftler Peter Uehling in einer Karajan-Biografie. Die Karajan-Nachfolger pflegen im 21. Jahrhundert die historische Aufführungspraxis und damit einen schlanken Klang.

Während die Kritik an Karajans Klangvorstellungen eher die Musikliebhaber bewegte, zog die Mitgliedschaft des Dirigenten in der NSDAP erheblich weitere Kreise. Karajan war bereits in die Partei eingetreten, als er im Alter von 26 Jahren in Aachen zu Deutschlands jüngstem Generalmusikdirektor aufstieg.

Ein Jahr Berufsverbot

Seine Nähe zu den Nazis diente seiner Karriere. 1937 debütierte er mit „Tristan und Isolde“ in Wien, ein Jahr später leitete er den „Fidelio“ in Berlin. Die Nationalsozialisten bauten ihn als Gegenfigur zu Wilhelm Furtwängler auf, an dessen Loyalität sie zweifelten. Hermann Göring nahm ihn unter seine Fittiche. Das Nazi-Regime, das Dirigenten wie Erich Kleiber, Fritz Busch oder Otto Klemperer ins Exil trieb, bot Karajan große Aufstiegschancen. Als „reine Formalität“ und Bedingung für seinen Posten in Aachen spielte er später seinen Eintritt in die Partei herunter.

Wegen seiner NS-Beziehungen wurde Herbert von Karajan nach dem Krieg aber von den Alliierten für ein Jahr mit Berufsverbot belegt. Er wich daraufhin ins Ausland aus, zunächst nach Italien, später dann nach London. Mit dem Produzenten Walter Legge, der das Philharmonia Orchestra eigens für Plattenaufnahmen gegründet hatte, feilte er am „internationalen Klang“. Als er 1955 „mit tausend Freuden“ die Nachfolge Wilhelm Furtwänglers an der Spitze der Berliner Philharmoniker antrat, hatte Karajan den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Dort blieb er fast 35 Jahre.

Karajan war immer unterwegs. In Wien, Paris, Mailand oder Salzburg zog er die Strippen. Mit Eliette, seiner dritten Ehefrau, tauchte der leidenschaftliche Porsche-Fahrer, Yacht-Segler und Privatpilot immer wieder in der Klatschpresse auf. 1989 kam es zum Streit mit den Philharmonikern. Karajan zog sich nach Anif bei Salzburg zurück. Dort starb er am 16. Juli 1989 mit 81 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts.

Sein Nachlassvermögen wurde auf mehr als eine halbe Milliarde Mark (etwa 256 Millionen Euro) geschätzt.

Herbert von Karajan

Herbert von Karajan wurde am 5. April 1908 in Salzburg als Heribert Ritter von Karajan (in Österreich amtlich Heribert Karajan) geboren. Er ist Spross einer Familie, die ursprünglich aus der (damals unter dem Namen Rumelien zum Osmanischen Reich gehörenden, heute nordgriechischen) Provinz Makedonien stammt und ursprünglich Karagiannis (oder Karaioannes) hieß. Sein Urgroßvater Georg Karajan, eigentlich Geórgios Ioánnes Karagiánnis, Inhaber einer Baumwollhandlung im kursächsischen Chemnitz, wurde 1792 während des Reichsvikariats durch den sächsischen Kurfürsten Friedrich August III. in den erblichen Reichsadelsstand erhoben. Die Anerkennung dieses Adelsstandes in Österreich folgte 1832. Herbert von Karajans Vater, Ernst von Karajan, war als Chirurg in Salzburg tätig. Seine Mutter, Marta Kosmaè, entstammte einer slowenischen Familie. Herbert hatte einen um zwei Jahre älteren Bruder namens Wolfgang. Von der Aufhebung des Adels 1919 war auch die (österreichische) Familie von Karajan betroffen, deren Familienname zu Karajan ohne vorangestelltes „von“ wurde. Der Künstler Karajan drohte an, in Österreich nicht aufzutreten, wenn sein früheres „von“ auf den Ankündigungsplakaten nicht erscheinen dürfte. Daraufhin wurde ihm Herbert von Karajan als Künstlername zugestanden. 1916 bis 1926 war Karajan Schüler am Konservatorium Mozarteum in Salzburg. 1926 machte er die Matura (Abitur) am Humanistischen Gymnasium in Salzburg. In seiner schriftlichen Arbeit beschäftigte er sich mit Thermodynamik und Explosionsmotoren. Von 1926 bis 1928 studierte er Maschinenbau an der Technischen Hochschule in Wien, gleichzeitig Musikwissenschaft an der Uni Wien und bis 1929 an der Wiener Akademie für Musik und Darstellende Kunst Klavier sowie Dirigieren. Am 22. Januar 1929 trat Karajan zum ersten Mal öffentlich – mit dem Mozarteum-Orchester in Salzburg – auf, worauf der Intendant des Ulmer Stadttheaters ihn zum Probedirigat einlud. Dort wurde Karajan 1930 Erster Kapellmeister am Stadttheater und beim Philharmonischen Orchester. WP

Ausdrucksstark: Herbert von Karajan setzte auf die bildmächtige Wirksamkeit seiner Auftritte.
Foto: dpa | Ausdrucksstark: Herbert von Karajan setzte auf die bildmächtige Wirksamkeit seiner Auftritte.
 
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