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Helen Schneider: Glücksfälle des Lebens
Im Gespräch: Die einst als Rock ’n’ Roll Gypsy bekannt gewordene Künstlerin singt inzwischen Musicals und sagt: „Auf der Bühne gibt es Tod, Hysterie und Liebe, ganz wunderbar.“
Helen Schneider: „Ich sehe mich heute anders als mit 25.“
Foto: Uwe Zucchi, dpa/Bernd Böhner | Helen Schneider: „Ich sehe mich heute anders als mit 25.“
Jürgen Höpfl
 |  aktualisiert: 11.11.2014 17:15 Uhr

Mit der „Rock ’n’ Roll Gypsy“ hatte die am 23. November 1952 in New York geborene Sängerin Helen Schneider 1981 einen Renner in den Hitparaden. Trotzdem hielt sich die stark mit ihrer optischen Präsenz vermarktete US-Amerikanerin nicht sehr lange im Rockgeschäft auf, sondern wechselte die Stile – und ist als Musical-Darstellerin mittlerweile zur bekennenden Berlinerin geworden. Von 18. bis 21. Dezember gastiert sie als alternde Diva Norma Desmond mit Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ im Theater der Stadt Schweinfurt.

FRAGE: Frau Schneider, Sie . . .

HELEN SCHNEIDER: Moment, bitte lass uns gleich Du zueinander sagen, ich finde die deutsche Sie-Form nicht nötig.

Tolles Gefühl, zum Schwarm seiner ewigen Jugend sofort Du sagen zu dürfen! Immerhin waren Sie, Pardon, warst Du für uns mittelalte Kerle in den achtziger Jahren als „Rock 'n’ Roll Gypsy“ eine echte Offenbarung, und Deine Stimme klingt jung wie damals.

SCHNEIDER: Oh, danke, danke! Aber inzwischen seid Ihr 40 aufwärts, und ich werde am 23. Dezember schon 63.

Bereitet Dir das Alter Probleme?

SCHNEIDER: Gesundheitlich zum Glück nicht. Aber schon 62 zu sein, ist schwer für mich zu verstehen, ja. Ich versuche zwar immer wieder, mein Gehirn umzubinden, wie ich es sage, also umzuprogrammieren. Anyway – es ist so, ich kann es nicht ändern.

Dann ist für Dich ja die Rolle der alternden Stummfilm-Diva Norma Desmond gar nicht mal so uninteressant.

SCHNEIDER: It’s one of the roles of a lifetime, ich betone das one, eine Rolle des Lebens. In der Tat finde ich Webber bei diesem Musical richtig grandios.

Bei seinen sonstigen Musicals nicht – „Evita“, „Cats“, dem „Phantom der Oper“?

SCHNEIDER: Hier hat er eine Figur am besten durchkonzipiert, meine ich. Es ist ein richtiges Drama, aber nicht nur traurig, sondern auch humorvoll, und die Musik passt in jeder Sekunde ideal zur Figur. Auf der Bühne gibt es Tod, Hysterie und Liebe, ganz wunderbar.

Starke Frauen scheinen ohnehin Deine Spezialität zu sein, Du warst und bist auch als Eva Perón in „Evita“ oder Mrs. Robinson in der „Reifeprüfung“ zu sehen.

SCHNEIDER: Ich würde die Frauen nicht stark nennen – Norma ist letztlich nicht stark, sondern ganz besonders. Und ganz besondere Frauen, das sind doch die größten Rollen überhaupt. Die Mrs. Robinson ist mehr ein Biest, eine Verführerin. Es macht mir richtig Spaß, so eine verführerische Frau zu spielen. Viel viel mehr Spaß jedenfalls, als wenn ich jetzt einen bösen Menschen oder fiesen Charakter darstellen müsste.

Deine Musical-Laufbahn dauert inzwischen ja weit länger als Deine Zeit als Rocksängerin, obwohl Dich die Pose der rauchenden, langmähnig-schwarzhaarigen Rock 'n’ Roll-Zigeunerin richtig bekannt gemacht hat. Was ist Dir wichtiger?

SCHNEIDER: Die Frage ist fast unfair. Alle Phasen haben ihre Highlights. Ich sehe mich heute anders als mit 25, bin doch älter geworden, ich habe eine Menge dazugelernt, neue Interessen, begeistere mich für andere Dinge.

Genug Kolleginnen und Kollegen wie Tina Turner oder Joe Cocker haben doch über sämtliche Jahrzehnte hinweg ihr Publikum mit immer wieder ähnlichen Rocksongs bedient und erreicht.

SCHNEIDER: Anyway, für mich ist es so, dass meine Karriere auch mein Leben reflektiert, wie es jeweils war und ist. Ich habe mich verändert, also hat sich meine Musik mit mir verändert. Ist doch irre, dass ich als junge Frau mit der klassischen Musik begonnen habe, ich bin ja eine ausgebildete Pianistin.

Reicht’s noch für ein Klavierkonzert?

SCHNEIDER: Never, ach wo, niemals. Das mit dem Klavierspielen endete zur Woodstock-Zeit, da geschah meine erste wirkliche Veränderung. Ich stieg für mich konsequent um auf Rock und Blues, tingelte mit einer Combo durch die Staaten, lebte sechs Jahre lang von der Hand in den Mund, landete nach dem Auftritt in irgendeiner Spelunke von New York in irgendeiner Wohnung zum Schlafen auf dem Boden. In dieser Spelunke sah mich ein Produzent aus Saarbrücken, der mich prompt nach Deutschland einlud und mit mir meine ersten Schallplatten aufnahm, was für ein unglaublicher Zufall war das denn! Der nette Mann kam völlig aus dem Nichts, ich hatte damals mit Germany trotz meines deutschen Nachnamens gar nichts am Hut, was viele denken. Ich war eine New Yorker Amerikanerin in der vierten Generation mit russischen Wurzeln aus dem 18. Jahrhundert, daher der Name. Doch als die Einladung von Saarbrücken kam, dachte ich, wenn nicht jetzt, dann nie, lass es uns tun!

Klingt abenteuerlich.

SCHNEIDER: War es auch, echt irr, wie es sich schneeballmäßig ausgebreitet hat. Nach einem kleinen Club-Konzert in New York, wo ich ja immer noch lebte, kam plötzlich so ein Verrückter auf Rollschuhen in meine Kabine gefahren, den ich nicht kannte. Er stellte sich als Udo Lindenberg vor und sagte, dass er mit mir auf eine große Tournee gehen wollte. Ich glaubte ihm, weil ich schon immer eine gute Nase für Leute hatte, die gut für mich sein könnten.

1980 war das, und auf dieser „Panische Zeiten“-Tournee tratest Du auch vor 2400 Zuschauern in solch bedeutenden Sälen wie der Kürnachtalhalle Lengfeld auf, die seinerzeit tatsächlich die größte Konzertstätte Unterfrankens war.

SCHNEIDER: Ich könnte ja sagen, ich erinnere mich an Lengfeld. Anyway, dem Udo schulde ich meinen Erfolg, er war wirklich der Wahnsinn für mich. Bei ihm war Helen Schneider nicht nur ein einfaches Vorprogramm, sondern direkt in die Hauptshow mit eingebaut.

Gemeinsam habt ihr unter anderem „Baby wenn ich down bin“ gesungen.

SCHNEIDER: Großartig! Dann kam noch Alfred Biolek mit seiner Sendung, wonach es Schlag auf Schlag ging, der Hammer! Aber es hatte alles Sinn – und mein Leben war komplett verändert.

Nach drei, vier Platten „Schneider with the Kick“ wirktest Du nicht mehr happy mit dem Dasein als Rock ’n’ Roll Gypsy.

SCHNEIDER: Die Beziehung zu meiner Gruppe „The Kick“ war einfach vorbei, das ganze Rock-Ding verbraucht. Als ich 1983 eine Rolle in dem Film „Eddie & The Cruisers“ an der Seite von Top-Schauspielern wie Ellen Barkin und Tom Berenger bekam, entdeckte ich mein Herz für die Schauspielerei. Da dachte ich mir, mach lieber das als Rockmusik! Und bei der Veränderung war wieder viel Glück im Spiel. Aber du musst im Leben auch bereit für Veränderungen sein, wenn das Glück vorbeikommt.

Der nächste Glücksfall soll in Gestalt einer gewissen Desiree Nosbusch in Deine Kabine gekommen sein. Stimmt das wirklich?

SCHNEIDER: Ja, das stimmt. Ich hatte in New York Mitte der Achtziger eine One-Woman-Show, „Oh Man, Helen!“. Die schaute sie sich an. Desiree kannte ich von den ZDF-Sendungen mit den Musikvideos, wo sie moderierte und ich öfters zu Gast war. Ihr damaliger Mann wollte allen Ernstes mit mir in der Hauptrolle „Cabaret“ im Berliner Theater des Westens inszenieren. So war das. Ich sagte begeistert Yes!

Und so begann Deine Musical-Karriere, obwohl Du damit wieder wie eine Gypsy unterwegs warst, wie eine Zigeunerin.

SCHNEIDER: Gypsy ja, aber nur im Sinne von rastlos, im Sinne meiner ewigen Wanderlust. Wanderlust rein geografischer Natur, als Mann habe ich seit 40 Jahren ein und denselben. Es begann meine schwierige Reise in die deutsche Sprache, und ich bin in Berlin als meinem neuen Fixpunkt gelandet. Ich bin zwar noch US-Bürgerin, kann mir aber spätestens seit der Bush-Ära nicht mehr vorstellen, nochmals in den Vereinigten Staaten leben zu wollen. Obwohl man ja nie nie sagen sollte, das ist meistens eine etwas dumme Phrase.

Kurz vor Weihnachten führt Dich die Wanderlust nach Schweinfurt.

SCHNEIDER: Ich freue mich drauf, und das wirklich, weißt Du? Wir waren vor zwei Jahren mit dem „Ghetto Swinger“ dort. Ich mag das Theater und die Leute – außerdem hat Schweinfurt zwei der schönsten Museen, die ich je besucht habe. In dem einen war eine ganz herrliche Heinrich-von-Zügel-Ausstellung, ich durfte die nur mit den Schutzleuten extra für mich anschauen, ganz alleine, faszinierend. Und dann durfte ich auch noch ins kleinere Museum näher am Theater mit der größten Kleinlein-Sammlung, die ich je gesehen habe. Genauso alleine, so beeindruckend! Schweinfurt finde ich wirklich gut.

„Sunset Boulevard“ mit Helen Schneider vom 18. bis 21. Dezember im Theater der Stadt Schweinfurt. Karten: Tel. (0 97 21) 51 49 55.

Als alternde Diva: Helen Schneider in „Sunset Boulevard“.
| Als alternde Diva: Helen Schneider in „Sunset Boulevard“.
 
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