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WÜRZBURG
Helden-Wahnsinn
Herakles: Er besiegte in seinem irdischen Leben diverse Monster und fuhr am Ende in den Olymp auf. Der Sohn des Zeus ist der größte Held antiker Mythen. Aber was hat das mit uns zu tun?
Athene ist enttäuscht von Herakles (Lithografie von Marian Maguire)..
Foto: (c) M. Maguire | Athene ist enttäuscht von Herakles (Lithografie von Marian Maguire)..
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:01 Uhr

Herakles ist, irgendwie, nach Neuseeland geraten. Dort, im südlichen Pazifik, verrichtet der Held Taten wie vor Jahrtausenden rund ums Mittelmeer. Jedenfalls in der Fantasie von Marian Maguire, deren Bilder im Würzburger Martin-von-Wagner-Museum zu sehen sind (siehe Kasten unten).

Natürlich hat es Herakles nicht wirklich gegeben und auch nicht die monströsen Wesen, die er besiegt hat. Doch der Mythos entfaltet seine Kraft noch im 21. Jahrhundert, wie die Maguire-Werke zeigen. Generell transportieren Mythen „die Weisheit vergangener Zeiten“ ins Heute, so der Psychoanalytiker Erich Fromm (1900 bis 1980) in seinem Buch „Märchen, Mythen Träume“. Unter der Erzähloberfläche der Herakles-Geschichten verbergen sich nicht nur Wahrheiten über Helden, sondern auch über das Leben, die Welt und den Menschen, Wahrheiten, die über die Jahrtausende hinweg gültig sind.

Fremdenfeinde

Weil die Götter uneins sind, muss Herakles im Auftrag seines Vetters, des mykenischen Königs Eurystheus, zwölf Aufgaben verrichten. Griechenland war damals „voll von Wäldern und Sümpfen, in denen grimmige Löwen, wütende Eber und andere Ungeheuer hausten“, schreibt Gustav Schwab in seinen berühmten „Sagen des klassischen Altertums“. Aber nicht nur Untiere wie die erstaunliche neunköpfige Hydra („Wo Herakles ein Haupt abgemäht hatte, wuchsen deren zwei hervor!“) oder die stymphalischen Vögel, die ihre messerscharfen Federn wie Pfeile abschießen, bedrohen die Menschheit. Menschen können selbst zu Monstern werden: Der Thraker Diomedes verfüttert Fremde an seine menschenfressenden Pferde, der ägyptische König Busiris wiederum schlachtet Fremde aus reiner Gewohnheit. Fremdenfeindlichkeit ist offenbar zu allen Zeiten ein Thema. Herakles wirft Diomedes den eigenen Rossen zum Fraß vor. Busiris wird kurzerhand erschlagen. Auch nicht gerade vorbildhaft . . .

Wahnsinn

Herakles-Mythen beschreiben in symbolischer Sprache die Welt als albtraumhaft-düsteren Ort voll Gefahren, Gewalt und Machtmissbrauch. Seit Sigmund Freud (1856 bis 1939) lassen sich Mythen auch psychologisch deuten. So gesehen werden die Monster zu den Obsessionen des Herakles, gegen die der Held unentwegt kämpfen muss. Herakles ist jähzornig und psychisch labil. Schon als Kind erschlägt er seinen alten Musiklehrer mit der Leier, als der ihn maßregelt. Später verfällt Herakles, weil er König Eurystheus dienen muss, in „Schwermut“ (Schwab). Die steigert sich zur Raserei: „Er kam so ganz von Sinnen, dass er seinen geliebten Neffen Jolaos ermorden wollte, und als dieser floh, erschoss er seine eigenen Kinder.“ In einem Anfall von Wahnsinn tötet Herakles auch einen Freund, als er ihn von der Stadtmauer von Tiryns stürzt. Anschließend „streift er in der Irre umher“.

Krankheit

Selbst Herakles – immerhin ein Sohn von Chefgott Zeus – wird schwer krank. Um geheilt zu werden, müsse er sich drei Jahre lang als Knecht verdingen, so ein Orakel. „Herakles, von der Krankheit niedergedrückt, fügte sich diesem harten Spruch.“ In den Diensten der lydischen Königin Omphale – die er dann auch heiratet – versinkt er in Weichlichkeit.

Spuren

Herakles hat Spuren in der Wirklichkeit hinterlassen – obwohl er keine historische Figur ist. Auch das zeigt die Macht der Mythen. So berufen sich die Olympischen Spiele auf den griechischen Helden als ihren Gründer. Und „Säulen des Herakles“ werden noch heute zwei Felsen genannt, welche die Straße von Gibraltar einfassen: Herakles errichtete, laut Mythos, die Säulen auf einer seiner Fahrten.

Jenseits

Im Glauben der alten Griechen wartete nach dem Tod kein Paradies. Die Seelen kamen in den Hades. Traurig wandern sie dort als Schatten umher, „denn in der Unterwelt ist kein heiteres Leben wie im Sonnenlicht“, erzählt Gustav Schwab. Das gilt allerdings nur für Normalsterbliche. Für den Helden Herakles sieht das Leben nach dem Tod freundlicher aus: Eine Wolke senkt sich herab, und der Held fährt unter Donnerschlägen in den Himmel auf – beziehungsweise zum Olymp empor. Dort wird er mit Hebe, der Göttin der ewigen Jugend, vermählt.

Götter

Herakles hat, genau genommen, auf Erden mehrere Gewaltverbrechen begangen. Dass die Götter ihn trotzdem aufnehmen, sagt einiges über sie aus. Es passt ins Bild. Denn die Olympier sind selbst alles andere als zimperlich. Sie sind streitlustig, intrigant und rücksichtslos. Da wird der zehn Jahre dauernde Trojanische Krieg ausgelöst, bloß weil drei Göttinnen drum streiten, wer die schönste ist. Götter sind auch nicht besser als Menschen, oder, in Anlehnung an den Religionskritiker Ludwig Feuerbach (1804 bis 1872): Der Mensch schafft sich die Götter nach seinem Bilde. Dazu neigen Menschen generell – auch wenn's um andere Religionen geht.

Helden

Die Mythen gehen sehr ehrlich mit Herakles um. Er ist alles andere als ein strahlender Held. Er hat charakterliche Fehler. Körper und Geist sind von schweren Krankheiten bedroht. Herakles ist ein Mensch mit Stärken und Schwächen. Helden sind also nicht zwangsweise verehrungswürdig. Wenn makellose Helden präsentiert werden – derlei geschieht gerne in Kriegs- und Krisenzeiten und in totalitären Staaten – ist Misstrauen angebracht: Es ist Propaganda. Auch das können uns die  Jahrtausende alten Geschichten von Herakles heute lehren.

Herakles im Würzburger Martin-von-Wagner-Museum

Zwei Kulturen unterschiedlichen Entwicklungsstandes prallen aufeinander – was geschieht dabei? Dieser Frage geht die Sonderausstellung „Herakles in Neuseeland“ im Würzburger Martin-von-Wagner-Museum nach: In der Graphischen Sammlung des Universitäts-Museums (Südflügel der Residenz) sind Grafiken von Marian Maguire zu sehen. Die neuseeländische Künstlerin setzt sich in 24 Arbeiten kritisch mit der Kolonialisierung ihres Heimatlandes auseinander. Dabei dient ihr Herakles als Symbolfigur abendländischer Wertbegriffe. Maguire setzt den sagenhaften griechischen Helden in eine ihm fremde Welt.

Sie stellt ihn so dar, wie er von antiken Vasenbildern bekannt ist. Das Fell des von ihm erlegten nemeischen Löwen ist sein Erkennungszeichen. In einer ihm unbekannten Welt versucht der Grieche als anpassungsfähiger Einwanderer, das Land der wilden Maori zu zivilisieren; nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Heiter wirken die meisten der Radierungen und Lithografien auf den ersten Blick. Die 1962 in Christchurch geborene Künstlerin arbeitet immer wieder mit Humor, etwa wenn sie den Helden am Schreibtisch zeigt, während er einen Brief nach Hause schreibt („Herakles writes Home“). Auf dem Bücherbord über ihm stehen „Der Atlas des Schaffarmers“, Darwins „Über die Entstehung der Arten“, Homers „Ilias“ und „Odyssee“ sowie die Bibel. Hinter der plakativen Oberfläche der Werke stecken grundsätzliche – und sehr aktuelle – Probleme.

Mit ihrer skurrilen Vermischung unterschiedlicher Darstellungskonventionen der Vergangenheit bringt Marian Maguire den Betrachter zum Nachdenken über Fragen wie: Was ist primitiv und was kultiviert? Was bedeutet Fortschritt? Ist es sinnvoll oder überhaupt möglich, die Errungenschaften der eigenen Kultur auf eine fremde zu übertragen, ohne sich selbst infrage zu stellen und zu verändern? Griechische Vasen aus den Beständen der Antikensammlung des Würzburger Martin-von-Wagner-Museums zeigen klassische Darstellungen von Herakles und seinen Taten. Derartige Bilder waren Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für Marian Maguire. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10–13.30 Uhr. Sonntags 14-tägig (ab 10. April) 10 –13.30 Uhr. Bis 22. Mai.

 
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