Berühmt und ein Bestsellerautor ist er längst. Denn der 53-jährige Hamburger Mathias Halfpape machte als Humorist und Mitglied des skurrilen Trios „Studio Braun“ unter dem Namen Heinz Strunk genau so viel Furore wie als Verfasser des autobiografisch geprägten Romans „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004). Mit der witzig-melancholischen Geschichte eines schwer von Akne gezeichneten jungen Tanzkapellen-Mitglieds in der norddeutschen Provinz schaffte er sogar erfolgreich den Sprung auf die Kino-Leinwand (2007) und auf die Bühne des Deutschen Schauspielhauses in der Hansestadt.
Nun setzt Strunk schwer einen drauf. Sein Erzählwerk „Der goldene Handschuh“ hat erstmals nicht die eigene Vita im Visier, sondern das traurige und deprimierende Leben des legendären Serienmörders Fritz Honka (1935-1998). Strunk, Honka, die Kult-Kiezkneipe „Zum Goldenen Handschuh“ – eines ist gewiss: So viel abseitiges Hamburg war selten. Von dem in drastischen Worten, in Teilen aber auch sehr einfühlsam formulierten Roman ist die Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse bereits so beeindruckt, dass sie ihn auf ihre Shortlist gesetzt hat. Keine Rolle sollte dabei gespielt haben, dass der Prostituiertenkiller in der Sachsenmetropole geboren und aufgewachsen war.
Kaum mehr als ein Vegetieren war dessen Leben im Rotlichtmilieu von St. Pauli – geprägt durch Alkohol, Gewalt, Armut, Mangel an Bildung und Mangel an Respekt vor sich selbst und anderen. Stattdessen, quasi Dreh- und Zielpunkt seiner Existenz, die Fixierung auf unpersönlichen Geschlechtsverkehr. Um ihm dabei ein Überlegenheitsgefühl zu vermitteln, konnte dem armen Schwein Honka eine Frau kaum ungepflegt und hässlich genug sein.
Eine desaströse Daseinsweise, der Autor Strunk mit einem Exzess an „F“-Wörtern und der vielfach wiederholten Beschreibung physischer und psychischer Wrack-Zustände auf die Pelle rückt. Das ist nicht unbedingt hoch literarisch – vermittelt einem bürgerlichen Leser dennoch fern alles Reißerischen ein Gefühl für Menschen am unteren Limit.
Gegen den Verwesungsgeruch
Der kleinwüchsige, durch Misshandlungen in seiner Jugend entstellte Wachmann Honka sprach im „Goldenen Handschuh“ nicht nur dem Fusel zu. Dort riss er auch die gealterten, verarmten und vereinsamten Huren auf, die er zum Sex mit in seine Wohnung nahm – und ermordete. Einige Opfer zersägte er und lagerte die Leichen bei sich. Gegen Verwesungsgeruch setzte er Toiletten-Duftsteine ein.
Erst ein Brand im Haus machte seinem Treiben ein Ende, als Feuerwehrleute die Leichenteile entdeckten. Verteidiger beim spektakulären Prozess 1976 war Staranwalt Rolf Bossi. Der am Ende völlig apathische Honka verbrachte seine letzten Jahre – nach Aufenthalt in einer geschlossenen Krankenhaus-Abteilung – unter anderem Namen in einem Alten- und Pflegeheim an der Ostsee.
Bei der real verbürgten, Entsetzen und Mitgefühl erregenden Geschichte über die im Dunkeln, die man nicht sieht, hätte Strunk es besser belassen sollen. Doch der Erzähler will mehr – vielleicht so etwas wie ein Sozialpanorama einer 70er-Jahre-BRD, die das „Dritte Reich“ mental nicht überwunden hat. Dafür führt er eine Reeder-Familie ein, die trotz Elbvilla genauso kaputt ist wie die Schattenexistenzen von St. Pauli.
Dort, im „Goldenen Handschuh“, kehren sie alle ein. Im jüngsten Clanmitglied, einem unansehnlichen Pubertierenden, meint man ein wenig vom alten Strunkschen Antihelden aus „Fleisch ist mein Gemüse“ zu erkennen.
Heinz Strunk: Der goldene Handschuh (Rowohlt, 256 Seiten, 19,95 Euro)