
Im aufgeheizten Klima der vom Terror erschütterten Bundesrepublik verunglimpfte man ihn als „Sympathisanten“ der RAF (Rote Armee Fraktion), weil er sich für Sachlichkeit und Mäßigung in der Berichterstattung einsetzte: Heinrich Bölls Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“, 1972 im „Spiegel“ erschienen, löste einen Skandal aus und führte zur polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung. Vor allem an der vermeintlich intimen Anrede entzündete sich die öffentliche Wut; dabei war der Titel eine Zutat der Redaktion – gegen den Willen des Autors.
Trotz aller Anfeindungen engagierte sich der Autor, der vor 100 Jahren geboren wurde, weiterhin konsequent politisch. 1974 gewährte Böll dem aus der UdSSR ausgebürgerten Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn Asyl in seinem Haus und empfing den russischen Dissidenten und Weltbürger Lew Kopelew, mit dem er eng befreundet war. 1983 war Böll prominenter Blockierer des US-Militärlagers in Mutlangen und Redner bei der Bonner Friedensdemonstration. Bereits 1969 hatte er den SPD-Politiker Willy Brandt im Bundestagswahlkampf unterstützt. Literatur und gesellschaftliche Verantwortung gehörten für den Literaten untrennbar zusammen. „Wir Autoren sind die geborenen Einmischer“, sagte er.
Beißende Kirchenkritik
Heinrich Theodor Böll, Sohn eines Kunsttischlers und Bildhauers, wird am 21. Dezember 1917 in Köln geboren und wächst mit sieben Geschwistern in einem kleinbürgerlich und katholisch geprägten Milieu auf. Nur zwei Themen hätten ihn interessiert, verrät er später: die Liebe und die Religion. Dass christlich-religiös nicht kirchlich bedeute, sei ihm durch seine Eltern, „antikirchliche Katholiken“, sehr früh vertraut gewesen. Zeitlebens begegnet Böll der Amtskirche mit beißender Kritik, geißelt Scheinheiligkeit und autoritäre Strukturen.
Mit 17 beginnt er Gedichte zu schreiben. 1937 macht er in seiner Heimatstadt Abitur. Nach einer abgebrochenen Buchhändler-Lehre in Bonn und dem Reichsarbeitsdienst schreibt er sich an der Kölner Uni in Germanistik und Altphilologie ein, wird jedoch kurz darauf zur Wehrmacht eingezogen. Als Soldat an der West- und Ostfront gerät Böll bei Kriegsende in Gefangenschaft. Im September 1945 kann er zu seiner Frau Annemarie Cech, einer Lehrerin, nach Köln zurückkehren und sein Studium wieder aufnehmen.
In den Nachkriegsjahren trägt Böll zunächst mit Gelegenheitsarbeiten zum Unterhalt der Familie bei – die Bölls haben drei Söhne. Doch das Schreiben wird immer bedeutsamer. 1947 debütiert er mit Kurzgeschichten in Zeitungen und Zeitschriften; 1949 erscheint sein erstes Buch, die Erzählung „Der Zug war pünktlich“. Ein Sammelband mit Kurzgeschichten folgt 1950 unter dem Titel „Wanderer kommst du nach Spa . . .“
Aussöhnung mit dem Osten
Seit 1951 arbeitet Böll als freier Schriftsteller. Es ist das Jahr, in dem er für seine Satire „Die schwarzen Schafe“ den Preis der Gruppe 47 erhält und in dem sein ergreifender Antikriegsroman „Wo warst Du, Adam?“ erscheint. Auch der 1953 veröffentlichte Roman „Und sagte kein einziges Wort“ – die Ehegeschichte eines Kriegsheimkehrers – steht im Bannkreis traumatischer Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Im Taumel des Wiederaufbaus und der Wirtschaftswunderzeit, die vor allem das Vergessen propagiert, mahnt Heinrich Böll: „Der Krieg wird niemals zu Ende sein, solange noch eine Wunde blutet, die er geschlagen hat.“
In den 50er Jahren wird Böll zum bedeutenden Vertreter der westdeutschen Nachkriegsliteratur. Er schreibt Gedichte, Romane und Erzählungen, wie „Haus ohne Hüter“ und „Das Brot der frühen Jahre“ (1962 verfilmt). Er reist nach Irland und in die UdSSR und verfasst Reiseberichte wie das „Irische Tagebuch“. Mit seiner Frau arbeitet Böll auch als Übersetzer englischer, irischer, amerikanischer und australischer Literatur. Zahlreiche Auszeichnungen begleiten seine Karriere, darunter 1967 die bedeutendste deutsche Ehrung für Autoren, der Georg-Büchner-Preis. 1972 erhält Heinrich Böll den Nobelpreis für Literatur – als erster deutscher Autor seit Thomas Mann, der ihn 1929 entgegennahm.
Bölls besonderes Interesse gilt der Aussöhnung zwischen Deutschland und den osteuropäischen Ländern, während er sich in Deutschland selbst – mittlerweile zu einer moralischen Institution geworden – vehement gegen Repression und Aufrüstung einsetzt.
Heinrich Böll stelle einfache Menschen und ihre selbstverständliche Mitmenschlichkeit den Großen dieser Welt gegenüber, den Geldmenschen, Ästheten und Klerikern, so der Osnabrücker Theologe und Literaturkenner Horst Georg Pöhlmann. Literatur, so forderte Böll, müsse auch einem breiten Publikum zugänglich und verständlich sein; Ästhetizismus und Avantgardismus waren seine Sache nicht.
Verfilmungen
Verfilmungen seiner viel gelesenen Werke helfen dabei, nicht nur ein intellektuelles Publikum anzusprechen: „Ansichten eines Clowns“, erschienen 1963, wird 1976 mit Helmut Griem verfilmt; „Gruppenbild mit Dame“ von 1971 kommt 1977 in die Kinos – prominent besetzt mit Romy Schneider. im Jahr 1974 erscheint Heinrich Bölls erfolgreichstes Werk, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – eine Abrechnung mit dem Sensationsjournalismus. Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta verfilmten das Buch 1975.
Bölls Werke stehen fast immer in Bezug zu den gesellschaftlichen Herausforderungen seiner Zeit, sind Kommentare zur Befindlichkeit im Deutschland der Nachkriegszeit. Die Stoffe und Motive spiegeln über die Jahrzehnte hinweg die Erfahrungen der Zeit, die Befindlichkeit der Deutschen. Seine Werke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, trugen entscheidend dazu bei, dass das im Ausland lange fortlebende Bild des „hässlichen Deutschen“ revidiert wurde.
Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985 nach langer Krankheit in Langenbroich. Sicherlich hätte er, der in den 70er Jahren Rupert Neudecks Initiative zur Rettung der vietnamesischen boat people unterstützte, in der aktuellen Flüchtlingsdebatte vehement an unsere Verantwortung appelliert. Denn: „Es gibt nichts, was uns nichts angeht.“ Mit Informationen von epd und hele