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BERLIN
Heiner Müllers poetische Seiten
dpa
 |  aktualisiert: 30.12.2014 15:48 Uhr

Der 1995 am Abend vor Silvester gestorbene Dramatiker Heiner Müller war auch ein Poet. Seine Gedichte sind nur weniger bekannt als seine Bühnenerfolge wie „Lohndrücker“, „Der Bau“ oder „Hamletmaschine“. Fast zwei Jahrzehnte später liegen jetzt mit dem Buchtitel „Warten auf der Gegenschräge“ nach früheren vereinzelten Veröffentlichungen erstmals seine „Gesammelten Gedichte“ vor.

Der umfangreiche Band mit zahlreichen erläuternden Anmerkungen stellt die 135 zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte ab den frühen 50er Jahren („Da habe ich am Fließband Stalin-Hymnen nachgedichtet“) den 181 Gedichten und 39 Entwürfen aus dem Nachlass gegenüber. Dafür wurde der lyrische Nachlass im Heiner-Müller-Archiv der Berliner Akademie der Künste, deren ostdeutscher Präsident Müller in den turbulenten Wendejahren war, erstmals vollständig gesichtet und systematisch ausgewertet.

Natürlich fehlt auch „Mommsens Block“ nicht, jenes auf die Bühne gebrachte Langgedicht von 1992 über die Frage, warum der preußische Historiker und Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen seine römische Geschichte nicht weitergeschrieben hat. Müller philosophiert über das Thema Schreibblockade, die auch ihn nach dem Fall der Mauer zumindest beim Dramenschreiben heimsuchte, vermutlich auch, weil ihm der Gegner abhanden gekommen schien („Zerstoben ist die Macht an der mein Vers/Sich brach wie Brandung regenbogenfarb . . . Statt Mauern stehen Spiegel um mich her“).

Abschied von Berlin

Das war ein Schicksal, das ja auch manch andere DDR-Autoren nach dem Ende der DDR ereilte. So „verstand ich zum ersten Mal Ihre Schreibhemmung Genosse Professor“, spricht Müller den Historiker an. Und an anderer Stelle schreibt der Dramatiker im Langgedicht: „Ich weiß jetzt/Leider was ich nicht weiß Zum Beispiel Warum/Zerbricht ein Weltreich.“ Etwa zur gleichen Zeit notiert Müller „Ich hab zur Nacht gegessen mit Gespenstern“, womit er auf die Vorwürfe einer Zusammenarbeit mit der Stasi reagiert. „Jetzt holt Journaille meinen Schatten heim.“ Damit greift der Dichter und Dramatiker auf die für Journalisten meist abwertend gemeinte Vokabel zurück, wie es oft Politiker tun, wenn sie sich von journalistischer Recherche verfolgt sehen.

Und auch auf die aktuelle, nun Gesamtberliner Kulturpolitik warf Müller einen poetisch-kritischen Blick, der kaum etwas von seiner heutigen Aktualität verloren haben dürfte: „In den Etagen der Kulturverwaltung . . . Brennt noch Licht rauchen die Köpfe im Sparzwang/Proben die Amputierten den aufrechten Gang/. . . Unter Aufsicht des Finanzsenators.“ Ein Jahr vor seinem Tod nimmt Müller „Abschied von Berlin“ mit einem „fremden Blick auf eine fremde Stadt“. Und in „Leere Zeit“ ist schon „Staub auf den Büchern“, die Resignation tritt stärker hervor. Silvester 1994 ist es ein „Warten auf nichts“.

Heiner Müller: Warten auf der Ge- genschräge – Gesammelte Gedichte (Suhrkamp, 675 Seiten, 49,95 Euro)

 
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