Die Kopenhagenerin Agnes Obel hat mit ihrem melodisch-verwunschenen Piano-Pop überraschend weite Teile der Welt erobert. Obels erstes Album („Philharmonics“) erreichte in Dänemark sogar Platz eins. Im Interview erzählt die 32-Jährige, die in der – ihrer Ansicht nach – entspanntesten und lebenswertesten Stadt Europas wohnt, woher sie die Ideen für ihr zweites Album („Aventine“) hat. Am 31. Juli tritt sie im Rahmen des Hafensommers in Würzburg auf.
Agnes Obel: Auf Dänisch bin ich viel analytischer und kritischer gegenüber meinen eigenen Gedanken. Im Deutschen ist es so ähnlich, das haben wir in der Schule auf eine eher strukturierte und an der Grammatik orientierte Weise beigebracht bekommen. In der englischen Sprache bin ich dagegen viel freier. Ich habe schon auf Englisch gesungen, bevor ich wusste, was die Wörter bedeuten. Auf Englisch traue ich mich auch, Sachen zu sagen, die ich auf Dänisch nie sagen würde.
Obel: Genau, das war total lustig damals. Wir sangen Kinderlieder auf Dänisch und Englisch, und ein paar Kids in meiner Klasse hatten Eltern mit einem Tonstudio daheim. Wir konnten uns super ausprobieren, verschiedene Instrumente lernen. Wenn man so will, war das unser erstes Projekt. Mit zehn kam ich aufs Gymnasium, das war auch cool, denn das war so eine hobbyorientierte Schule.
Obel: „Det frie Gymnasium“ heißt die Schule. Ziemlich alternativ, so eine Experimentierschule. Heute gibt es das öfter, aber vor 20 Jahren war die Schule revolutionär. Wir Kinder konnten selbst bestimmen, was wir lernen wollten. Also, bestimmte Grundlagen in Fächern wie Mathe, Bio, Sprache mussten schon sein, doch darüber hinaus konnte man seine Schwerpunkte wählen, zum Beispiel Fußball oder eben Musik. Ich habe also ungefähr zehn Stunden pro Woche Musik gemacht, ein Fach hieß „Zusammen spielen“, da konnte sich jeder ein Instrument aussuchen, und wir spielten etwa einen Song von den Beatles nach.
Obel: Kulturwissenschaften und Literatur in Kopenhagen. Aber richtig ernst genommen habe ich das Studium nie, wegen der Musik.
Obel: Ich denke viel an Bücher, ja. Ich habe diese komische Eigenschaft: Wenn ich ein Buch gelesen habe, dann bleibt es in meinem Kopf, ich vergesse es nicht mehr. Es ist nicht so, dass ich mir absichtlich sage „So, packen wir mal ein paar literarische Referenzen rein“. Das sickert einfach so hinein in die Songs. Bei „Dorian“ suchte ich nach einem Bild für etwas, das nach außen hin schön und nach innen hin hässlich ist. Da passt „Dorian“. Der Name ist schön, die Geschichte tragisch.
Obel: Total. Hitchcock oder Edgar Allen Poe sind grandios. Auch „Cold Blood“ von Truman Capote. Für das neue Album habe ich mich aber stark von einem Sachbuch beeinflussen lassen. „Thinking, fast and slow“ heißt es, geschrieben hat es der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman. Das Buch ist faszinierend, es beschreibt und erklärt, warum wir der Mensch sind, der wir sind. Es analysiert unser Unterbewusstsein und unsere Gedanken. Es zeigt auf, dass alles einen Sinn gibt, aber dass man nicht alles rational begründen kann. Die Idee zu „The Curse“ kam mir nicht wegen Marquez, sondern wegen Kahneman.
Obel: Pffft.
Obel: Ich weiß es nicht. Bei mir ist das Musikmachen nicht so durchgeplant. Ich sage mir nicht „Auf geht’s, wir erfinden den Agnes-Obel-Kosmos“. Es gibt auch keine feste Vorgehensweise beim Komponieren. Ich vertraue vielmehr meiner Intuition. Ich folge oft einer kleinen Idee oder einer Melodie, dabei denke ich dann vielleicht „Aha, das klingt jetzt wie Wasser“. Ich lasse mich treiben, und aus vagen Einfällen gepaart mit meiner Neugier und meinen Gefühlen entstehen Lieder.
Obel: Nein. Ich denke wirklich nicht über das Genre nach, in dem ich mich bewege. Oder ob ich mich überhaupt in einem Genre bewege. Ich denke immer nur „Das mag ich“ oder „Das mag ich nicht“. Mein Lieblingssänger ist Roy Orbison, ich bewundere seine Stimme und die Stimmung seiner Songs. Das ist Pop, aber total interessant, fast surreal. Was mich vielleicht am stärksten fasziniert, ist, wie etwas klingt.
Obel: Ohne Scheiß, das ist einer der Hauptgründe, ja. Das Wort hat einen Supersound. Der Aventin ist einer der sieben Hügel Roms, er gilt als ziemlich mystisch und steht im Ruf, verwunschen zu sein.
Obel: Da sprechen Sie etwas Seltsames an. Beim Songschreiben lausche ich intensiv in meinen Kopf hinein, ich lebe da praktisch im Inneren. Dann gehe ich raus, spiele vor Leuten, muss denen auch immer was erzählen, dazu die ganze komplizierte Logistik einer Tournee, das Reisen, es ist schon eine drastische Welt, auf die ich nicht vorbereitet war. Aber ich bin glücklich darüber, wie es läuft. Das Leben fordert mich dazu auf, über meine Grenzen hinauszuwachsen.