Philosophischer Meisterdenker und öffentlicher Intellektueller – in beiden Rollen höchstes Ansehen zu genießen gelingt nur ganz wenigen. Jürgen Habermas ist einer von ihnen. Am Mittwoch (18. Juni) wird er 85 Jahre alt.
Zu seinem Geburtstag erscheint bei Suhrkamp eine neue, fast 800 Seiten dicke Biografie von Stefan Müller-Doohm. Habermas habe seit Jahrzehnten einen „hohen Nachrichtenwert“, stellt der Autor fest. Und wieso? „Weil dieser Mann immer wieder den geschützten Raum der Universität verlassen hat, um in die Rolle des streitbaren Debattenteilnehmers zu schlüpfen und auf diesem Wege Einfluss auf die Mentalitätsgeschichte dieses Landes zu nehmen“, glaubt sein Biograf.
Als Philosoph hat sich Habermas ohne den Kompass der Anschauung durch die Eiswüste der Abstraktion gekämpft, wie Peter Körte treffend zum 80. Geburtstag in der „Frankfurter „Allgemeinen Sonntagszeitung“ schrieb. Und ist dabei immer wieder vom Elfenbeinturm der Wissenschaft herabgestiegen, um sich zu Themen der Zeitgeschichte zu äußern.
Ein positives Menschenbild
Studentenbewegung, Wiedervereinigung, Nato-Einsatz, Terrorismus, Stammzellforschung, Bankenkrise – seine jeweilige Position in einem Schlagwort zusammenzufassen, würde der Differenziertheit seiner Argumentation nicht gerecht. Gemeinsam ist seinen Einlassungen ein positives Menschenbild und der Glaube an die Macht der Vernunft. Wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag warb er in Princeton/USA für das „europäische Experiment“ einer transnationalen Demokratie.
Heute wohnt der Philosoph am Starnberger See, aber seine Hauptwerke entstanden in Frankfurt, wo er Mitte der 1950er als Forschungsassistent am Institut für Sozialforschung bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno anfing. Promoviert hatte er in Bonn mit einer Arbeit über den Philosophen Schelling (1775-1854). Habilitiert wurde er 1961 in Marburg – seine Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ gilt bis heute als bahnbrechend.
1964 übernahm er Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt, den er zunächst bis 1971 innehatte, in der Zeit der Studentenproteste. Viele 68er beriefen sich auf ihn und sahen ihn als geistigen Impulsgeber, aber als die Bewegung sich radikalisierte, übte Habermas offen Kritik. In den 1970er Jahren arbeitet er an zwei bayerischen Max-Planck-Instituten, bevor er 1983 nach Frankfurt zurückkehrte. In seinem Hauptwerk, „Theorie des kommunikativen Handelns“, entwirft Habermas eine Art Handlungsleitfaden für die moderne Gesellschaft. Seiner Theorie zufolge liegen die Norm setzenden Grundlagen einer Gesellschaft in der Sprache. Als Verständigungsmittel ermögliche sie erst soziales Handeln.
Die Erfahrung, unter einem kriminellen Regime gelebt zu haben, habe „eine enorme Politisierung ausgelöst“ und sein Engagement für Demokratie begründet, sagt Müller-Doohm. Mit Erfolg wehrte sich Habermas 2006 gerichtlich gegen ein Buch, das ihn als etwa 14-Jährigen in die Nähe des Hitler-Regimes rückte. Der Verlag musste nach einer einstweiligen Verfügung die betreffende Passage streichen.
Religionsphilosophische Fragen
Aktuell beschäftigen ihn religionsphilosophische Fragen. 2001 bekam Habermas in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seiner Dankesrede warb er für mehr Respekt vor religiösen Sichtweisen; für eine säkulare Gesellschaft sei es vernünftig, „von der Religion Abstand zu halten, ohne sich deren Perspektive ganz zu verschließen“. Im Jahr darauf reiste er in den Iran und sprach an der Universität Teheran über Säkularisierung.
Dass er nicht nur schreibend, sondern auch als Redner öffentlich auftritt, muss ihn Überwindung gekostet haben. Eine angeborene Gaumenspalte behindert ihn beim Sprechen. Dass Habermas sich so stark für Gelingen oder Misslingen von Kommunikation interessiert, könnte eine Folge seiner Sprachbehinderung sein, schreibt Müller-Doohm. Ansonsten bleiben in der Biografie private Dinge außen vor. Es gäbe vermutlich auch nicht viel Spektakuläres zu erzählen über den Privatmann Habermas, der laut Munzinger-Archiv seit 1955 verheiratet ist und drei erwachsene Kinder hat. Sein Leben sei „ein Leben für die Wissenschaft“ gewesen, sagt er selbst.
Wie haben sich das Denken des Philosophen und Äußerungen des „öffentlichen Intellektuellen“ gegenseitig beeinflusst – diese Frage sei die eigentlich spannende, so der Biograf: Als „Philosoph der kommunikativen Vernunft“ habe Habermas immer wieder die Probe aufs Exempel gemacht, um zu testen: „Wie weit trägt die Macht des besseren Arguments?“