Welcher Betrachter kann sich seiner Wirkung entziehen? Die ausdrucksstarken Tafeln des Isenheimer Altars gehören unbestritten zu den bedeutendsten Werken europäischer Kunst: In der grausam detaillierten Darstellung des leidenden Jesus am Kreuz, der erlösenden Auferstehungsszene oder in der von Höllentieren bevölkerten Heimsuchung des Antonius kommen naturalistische Darstellung und mystische Weltsicht meisterhaft zusammen. Vor genau 500 Jahren begann Matthias Grünewald mit den Arbeiten zu seinem Meisterwerk.
Das Colmarer Unterlindenmuseum organisiert im Jubiläumsjahr zahlreiche Veranstaltungen, Lesungen und Sonderführungen. Zum Jubiläum erscheint am 15. Juni eine Isenheimer-Altar-Sondermarke der französischen Post. Erschaffen wurde der seit der Französischen Revolution in Colmar gezeigte Altar ursprünglich für die Spitalkirche der Antoniter-Ordensgemeinschaft in Isenheim, einem elsässischen Dorf auf halbem Weg zwischen Colmar und Mulhouse. Dort war im 16. Jahrhundert ein Gedenkort für den Heiligen Antonius entstanden. Kranke beteten um Heilung von Pest und dem damals grassierenden „Antoniusfeuer“, eine durch verunreinigtes Getreide ausgelöste Vergiftung. „Die Wirkung des am Kreuz gemarterten Christus, also die Botschaft, dass Gottes Sohn selbst genauso wie die Kranken selbst leiden musste, das hat die Menschen damals tief bewegt“, ist Pantxika de Paepe, Chefkonservatorin des Unterlindenmuseums, überzeugt. Grünewald selbst aber, von dem heute nur noch rund 60 Werke, die meisten davon Skizzen und Zeichnungen, überliefert sind, geriet bald nahezu in Vergessenheit.
Sein genauer Lebenslauf bleibt trotz intensiver Forschung der vergangenen Jahrzehnte weithin im Dunklen, er soll in Würzburg oder nahe Aschaffenburg geboren sein (lesen Sie dazu die Infobox unten). Fest steht immerhin, dass Grünewald den Isenheimer Altar neuesten Forschungen zufolge zwischen 1512 und 1516 erschuf. Paepe hofft, dass zum 500-Jahr-Jubiläum auch die von ihr angestoßene umfassende Konservierung des Altars vorankommt. Die in zahlreichen Expertensitzungen vorbereitete Restaurierung, bei der Paepe die bei vorausgegangenen Konservierungsmaßnahmen aufgetragene Schutzlackschichten an einer ersten Altartafel abtragen ließ, wurde indes nach heftiger Medienkritik vorerst gestoppt. Der Vorwurf: Die Lackschichten seien zu schnell entfernt worden, was die gesamte Farbwirkung von Grünewalds Komposition verändert habe. Paepe verteidigt sich mit dem Hinweis, die Originalfarben des Meisters seien unangetastet geblieben.
Stattdessen habe man sich nur den darüberliegenden Firnisschichten zugewandt. „Denn diese drohten selbst durch chemische Prozesse die Originalfarben anzugreifen und führten gleichzeitig zu Farbverfälschungen, die die gesamte Wirkung der Malerei veränderten.“ Nach kontroverser Fachdebatte soll nun in den kommenden Wochen eine Entscheidung fallen, wie es weitergeht. Ob an allen Tafeln die alten Lackschichten entfernt werden oder die gelbliche Patina auch künftig erhalten bleibt.
Eine weitere Baustelle rund um den Altar ist die Modernisierung und Erweiterung des in die Jahre gekommenen Unterlindenmuseums selbst. Die Arbeiten sollen im Herbst beginnen. Die Schweizer Stararchitekten Herzog/de Meuron setzten sich mit ihrem Entwurf durch, der einen am bestehenden Museumsgebäude inspirierten benachbarten Erweiterungsbau mit unterirdischen Ausstellungsräumen verbindet. „Wir gestalten damit zugleich einen der wichtigsten innerstädtischen Plätze neu“, so Colmars Kulturbürgermeisterin Marianne Chelkova. Nach optimistischer Schätzung soll das neue Museum 2014 eröffnen. Dann präsentiert sich möglicherweise auch der Isenheimer Altar in neuem Gewand – um Grünewalds Meisterschaft noch deutlicher erfahrbar zu machen.
Unterlindenmuseum Colmar, 1 rue d'Unterlinden, 68000 Colmar, Frankreich. Internet: www.musee-unterlinden.com Geöffnet im Sommer täglich von 9 bis 18 Uhr.
Matthias Grünewald und sein Isenheimer Altar
Er gilt als einer der bedeutendsten Maler der Renaissance: Matthias Grünewald, auch Matthias von Aschaffenburg. Von einem Teil der kunstgeschichtlichen Forschergemeinde wird er als identisch mit Mathis Gothart-Nithart oder Mathis Nithart-Gothart, von einem anderen als dessen Zeitgenosse angesehen. Im ersten Fall soll er um 1475/1480 in Würzburg geboren und am 31. August 1528 in Halle an der Saale gestorben sein; im zweiten Fall vermutet man seinen Geburtsort in der Nähe von Aschaffenburg und nimmt 1531 oder 1532 als Todeszeitpunkt an. Sein Lebenslauf bleibt trotz intensiver Forschung und Spurensuche weithin im Dunklen.
Erhalten sind rund 60 Werke, darunter 40 Skizzen und Zeichnungen. Zu seinen Hauptwerken zählen der Isenheimer Altar, die Stuppacher Madonna sowie die Seitentafeln des Frankfurter Heller-Altars. Zu sehen sind Grünewalds Gemälde heute unter anderem im Basler Kunstmuseum, in der Kunsthalle Karlsruhe, im Unterlindenmuseum Colmar sowie in der Stuppacher Pfarrkirche Maria Krönung. Die „Beweinung“ ist in der Aschaffenburger Stiftsbasilika zu sehen. Grünewalds naturalistische Darstellung des gekreuzigten Christus für den Isenheimer Altar griffen zahlreiche Künstler nach ihm auf. Paul Hindemith inspirierte die Darstellung zu einer Sinfonie und einer Oper. Der Maler gilt als einer der größten Meister in der Darstellung von Farbenspiel und Bewegung. Erhalten blieb Grünewalds Nachlassinventar, in dem Farben, Malereiwerkzeuge, theologische Schriften, aber auch Kleidung und Felle verzeichnet sind.
Als gesichert gilt, dass er zeitweise als Baumeister und Maler am Hof des Mainzer Erzbischofs wirkte. Der vor 500 Jahren von Grünwald für die Isenheimer Antoniterkirche im Elsass erschaffene Altar besteht aus elf Bildtafeln, die im Lauf des Kirchenjahres oder zu bestimmten Anlässen in unterschiedlicher Weise auf- und zugeklappt werden konnten. Im Zentrum steht die naturalistisch gemalte Kreuzigung Christi. Grünewald stellt aber auch Szenen aus dem Leben des heiligen Antonius des Einsiedlers dar. Die Antoniterkirche in Isenheim, einem Dorf zwischen Colmar und Mulhouse, war bis zur Französischen Revolution wichtiger Wallfahrtsort, an dem Kranke den heiligen Antonius um Heilung baten. 1789 wurde das gesamte, acht Meter hohe Schnitzwerk zerstört, das die Altartafeln ursprünglich einfasste.
Nur einige der von Niklaus von Hagenau gefertigten Figuren blieben erhalten. Sie gelangten zusammen mit den Bildtafeln nach Colmar und werden seit 1853 im dort gegründeten Unterlindenmuseum ausgestellt. Während des Ersten Weltkriegs brachten die deutschen Besatzer den Altar in die Münchner Alte Pinakothek – er wurde 1919 an Frankreich zurückgeben. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Kunstwerk eingelagert in der elsässischen Hochkönigsburg. Zum 500-Jahr-Jubiläum des Altars organisiert Colmar ein umfassendes Festprogramm. Das Unterlindenmuseum will in den kommenden Monaten grundlegende Restaurierungs- und Erhaltungsarbeiten am Altar vornehmen. Dabei sollen über die Jahrhunderte bei Restaurierungsarbeiten aufgebrachte Lackschichten abgetragen werden, um die ursprüngliche Farbwirkung wiederherzustellen.
Text: KNA