Es war (und ist) unglaublich gut, dass es ihn gab. Umberto Eco verstand es wie kein anderer, die Neugier auf die Wunder und das Wissen der Welt zu wecken. Am Freitag ist der unermüdliche Zeichensammler und -deuter, der große Erzähler großer Geschichten, 84-jährig in seinem Mailänder Haus gestorben.
Wissen war bei ihm nichts, was der Mensch sich mühsam anzueignen hatte, sondern es flog ihm zu, sobald sein eigener Wissensdurst geweckt war. Und wenn er dieses Wissen weitergab, machte er den Leser zum Weggefährten, ja zum Komplizen des Entdeckens und schließlich auch des Wissens.
In keiner Figur kristallisiert sich dieser Prozess so wie in Adson von Melk, dem Novizen im Welterfolg „Der Name der Rose“ aus dem Jahr 1980. Es ist dieser Tage eine modische Behauptung, Ecos Werk werde allzu oft auf diesen 50 Millionen Mal verkaufen Bestseller reduziert, der auch noch effektvoll (und kongenial) verfilmt wurde.
Das stimmt erstens nicht, und zweitens ist „Der Name der Rose“ tatsächlich ein Schlüsselwerk. Die Aufklärung grausiger Morde in einer Benediktinerabtei in Oberitalien im Jahre 1327 ist ein spannender Thriller, in dessen Verlauf der Leser unendlich viel erfährt über mittelalterliche Buchmalerei, Botanik, Medizin, über die tödliche Rivalität der Orden, den Dauerknatsch zwischen Kaiser und Papst und den Wildwuchs abstrusester Glaubensmodelle jener Zeit.
Zeichen, Symbole, Anspielungen
All das ist aber im Grunde nur der Rahmen für ein weiteres Anliegen des Semiotikers Eco. Die Semiotik ist die Lehre von den Zeichen, und „Der Name der Rose“ ist reich an Zeichen, Symbolen und Anspielungen aus unterschiedlichsten Aspekten der Kulturgeschichte.
Mitunter sind die Zeichen leicht zu entschlüsseln, etwa der Name des ermittelnden Mönchs, William von Baskerville, der direkt auf Sherlock Holmes („Der Hund von Baskerville“) verweist. Dieser William mit seinem rationalen Denken und seinen wissenschaftlichen Methoden wird so zum Vorreiter von Galilei und Kopernikus und damit zum Vorreiter von Renaissance und Aufklärung.
Mitunter aber hilft Umberto Eco dem Leser auch ein wenig auf die Sprünge. So beschreibt Adson die Bauweise des vieleckigen Bibliotheksturms der Abtei: „Niemandem wird die herrliche Eintracht so vieler heiliger Zahlen entgehen, deren jede einen erhabenen geistigen Sinn offenbart: acht die Zahl der Vollendung jedes Vierecks, vier die der Evangelien, fünf die der Weltzonen, sieben die der Gaben des heiligen Geistes.“
Exemplarischer Schauplatz
Eco macht das Kloster überdies zum exemplarischen Schauplatz eines zeitlosen Menschheitskonflikts: dem ewigen Kampf zwischen Neuerern und Bewahrern, zwischen Forschern und Verhinderern. Dass er selbst zur ersten Kategorie gehörte, das versteht sich von selbst. Regelmäßig nahm er Stellung zu aktuellen Ereignissen und trat immer wieder als beißender Kritiker Berlusconis hervor.
Neben wissenschaftlichen und politischen Publikationen, einer Geschichte der Schönheit und – folgerichtig – einer Geschichte der Hässlichkeit und sechs Romanen umfasst Ecos riesiges Werk eine Fülle kleinerer Aufsätze, Glossen, Parodien und Travestien zu unterschiedlichsten Themen – immer pointiert, oft sehr amüsant, etwa die Anleitung „Wie man im Flugzeug speist“: „Alle Gabeln sind, was ihr Design betrifft, immer nur zu dem einzigen Zweck gestaltet, die Erbsen, die sie vorgeblich auflesen, fallen zu lassen.“
Suhrkamp winkte ab
Witziges Detail am Rande: Siegfried Unseld lehnte laut tagesschau.de einst das Manuskript von „Der Name der Rose“ für den Suhrkamp-Verlag wegen 3000 Mark ab. Es wäre für 15 000 Mark zu haben gewesen, Unseld wollte nur 12 000 zahlen. Begründung: Der Verlag habe bereits zwei wissenschaftliche Publikationen Ecos im Programm, und die liefen nicht besonders. Es war dann der Hanser Verlag der zugriff.
Eine Fehlentscheidung, die vielleicht ein kleiner Trost ist für den armen Tropf, der später für einen englischen Verlag die Harry-Potter-Romane ablehnte.
Umberto Eco selbst hat einmal gesagt, er würde im Zweifelsfall eher seinen zweiten Roman retten wollen, „Das Foucaultsche Pendel“. Dessen Handlung lässt sich weit weniger leicht zusammenfassen. Eigentlich lässt sich diese aberwitzige Schnitzeljagd der Weltverschwörer durch die Jahrhunderte und über die Kontinente überhaupt nicht zusammenfassen.
Klar ist aber, dass es Eco gelang, sich einerseits treu zu bleiben und dennoch vollkommen neue Wege zu gehen. Und wie immer tat er das mit einigem Witz, etwa, indem er dem Roman ein Motto des amerikanischen Mathematikers, Logikers und Querdenkers Raymond Smullyan voranstellte: „Aberglauben bringt Unglück“.
Egal, welches Thema, egal, welche Form, einen Anspruch, zitiert in der Vorrede zum Namen der Rose, löste Eco immer ein: „In allem habe ich Ruhe gesucht und habe sie nirgends gefunden, außer in einer Ecke in einem Buch.“