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FRANKFURT
Goethe in Italien oder: Was der Hintergrund über den Vordergrund verrät
Blickwinkel: Im Lauf der Jahrhunderte haben Maler den Hintergrund immer wichtiger genommen. Der Mensch wurde zur Randfigur. Womöglich ist er letztlich unbegreifbaren Umständen ausgeliefert.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:45 Uhr

Ja, da liegt Goethe. Überlebensgroß belagert er den Bildvordergrund. Versuchen Sie trotzdem, den Dichterfürsten zu übersehen. Beachten Sie nur den Hintergrund. Der ist auch wichtig. Denn Hintergründe erzählen häufig spannende Geschichten. Meist vom Charakter oder dem Leben der Hauptfigur(en); manchmal auch vom Künstler.

Auf dem Goethe-Bild leuchtet oberhalb des linken Dichter-Schienbeins ein griechisches Relief. Es zeigt die Begegnung der mythischen Iphigenie mit ihrem Bruder Orest und dessen Gefährten Pylades. Natürlich fand sich das Marmorbild nicht wirklich neben dem Weg, auf dem Goethe mit unterschiedlich langen Beinen und zwei linken Füßen – skurrile Details des Gemäldes – dahinschritt. Vielmehr setzte es der Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein bewusst als Hintergrund-Element ein, als Hinweis darauf, dass der Italienreisende Goethe mit der Überarbeitung seines Bühnenstücks „Iphigenie auf Tauris“ schwanger ging. Ebenso bewusst ist die Landschaft dahinter gestaltet. Römische Ruinen weisen Goethe als treibende Kraft hinter dem deutschen Klassizismus aus. Edle Einfalt, stille Größe, rechtes Maß und erhabene Form statt Sturm, Drang, nächtliche Auftritte mit knallenden Peitschen und ausufernde „Werther“-Liebespein.

Der Goethe der Italienreise (1786 bis 1788) ist gereift, sagt der Hintergrund.

Über Tischbein (1751 bis 1829) erzählt der Vordergrund, dass der Maler, der in Rom mit Goethe und anderen in einer Wohngemeinschaft lebte, mit der menschlichen Anatomie seine Probleme hatte. Doch hier geht es um Hintergründe, und wir können die ungleich langen Dichterbeine ebenso übersehen wie den linken Fuß am rechten Knöchel. Der wurde womöglich ohnehin erst später von einem unbegabten Pinselschwinger hinzugefügt. Denn: Die wohl bekannteste Goethedarstellung ist unvollendet. Vor allem im Hintergrund, wo stellenweise noch die Grundierung der Leinwand durchscheint. Tischbein war – samt Atelier und Goethebild – nach Neapel umgezogen. 1799 musste er die Stadt verlassen, die Franzosen waren einmarschiert. Tischbein hatte wohl keine Gelegenheit, das doppelbettgroße Gemälde zu transportieren.

„Goethe in der römischen Campagna“ ist das Herzstück des Frankfurter Städel und Teil der Ausstellung „Dialog der Meisterwerke“ (siehe Kasten). Die präsentiert in dem weitläufigen Museum Kunst von Weltrang zwischen Mittelalter und 21. Jahrhundert. Da tun sich sehr viele Blickwinkel auf – und eben auch die Möglichkeit zu einer Art „Geschichte des Hintergrunds“.

Von Gold umgeben

Fra Angelico setzte seine „Thronende Madonna mit Kind und zwölf Engeln“ um 1425/30 vor Goldhintergrund. Wer will, kann darin die Darstellung des göttlichen Lichtes sehen. Auf jeden Fall bringt der Goldgrund, der bis etwa 1500 in Mode war, die Figuren im Vordergrund gut zur Geltung. Nichts lenkt den Blick ab. Goldhintergrund wurde oft aber einfach auch deswegen verwendet, weil es der Auftraggeber wünschte, was oft auch eine Geldfrage war. Ein anderes Bild, das Fra Angelico ein paar Jahre später malte, ist noch wertvoller gestaltet. Wiederum hat der von Papst Johannes Paul II. seliggesprochene Benediktiner die Muttergottes gemalt, diesmal in Gesellschaft der Heiligen Dominikus und Katharina (kleines Foto im Text).

Im Hintergrund wurde mit aufwendiger Technik und feinstem Material Goldbrokatstoff imitiert, verziert mit Blütenornamenten.

Andere Bilder aus jener Zeit tragen herkömmliche Hintergründe – Landschaften oder Architekturen. Menschen, Götter oder Heilige vorne, Landschaft oder Architektur dahinter: So war es jahrhundertelang üblich. Doch dann fanden Maler die Landschaft so spannend, dass sie sie in den Mittelpunkt, den Hintergrund also in den Vordergrund rückten. Mitte des 17. Jahrhunderts malte Nicolas Poussin monumentale Bilder von Gewittertürmen. Die Naturgewalt biegt Bäume, zaust Büsche, türmt dunkle Wolken auf. Menschen sind nicht mehr dominant, scheinen nicht mehr Herren der Schöpfung zu sein, sondern nur noch klein und schutzlos. Sie fliehen mit vor Schreck hoch erhobenen Händen, kauern am Boden, die Arme im Nacken verschränkt.

Wenn Arnold Böcklin (1827 bis 1901) die Landschaft zur Hauptfigur macht, rückt er damit vor allem seine eigene Befindlichkeit in den Vordergrund. Die Grundstimmung von „Villa am Meer“ (1878) ist so düster wie bei Poussins Gewittern. Aber nicht wegen wütender Naturgewalten. Böcklins Bild ist Spiegel seiner Seele – und drückt ein Lebensgefühl unter Intellektuellen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus.

Die Hauptdarsteller von Vilhelm Hammershoeis Bildern hätten vorher nicht einmal als Hintergrund getaugt. Der Däne (1864 bis 1916) erhebt den Alltag zum Thema von Kunst. Immer wieder hat er die eigene Wohnung gemalt. Die in den Bildern kein bisschen Behaglichkeit ausstrahlt. Im schwermütigen Ambiente wird der Mensch zur Staffage: Eine Frau ist gerade noch als dunkle Rückenfigur im Nebenzimmer zu erkennen. Als ob der Mensch immer unwichtiger würde, verdrängt und womöglich unterdrückt vom Hintergrund, vom Alltag, von seiner Umgebung, von unbegreifbaren Umständen.

Ausstellung im Städel

„Dialog der Meisterwerke“ heißt eine Ausstellung des Städel am Frankfurter Museumsufer. Zum 200-jährigen Bestehen des Museums wurden 65 Meisterwerke aus renommierten Museen der Welt zusammengebracht.

Zusammen mit Kunstwerken aus dem eigenen Bestand wurden thematische Paarungen gebildet, die 700 Jahre Kunstgeschichte abbilden, von van Eyck und Botticelli über Degas und Picasso bis zu Franz Marc und Baselitz.

Die Schau erstreckt sich über die gesamte Sammlungsfläche des Museums. Die durch goldfarbene Podeste aus der Dauerausstellung hervorgehobenen Paarungen sind so über vier Etagen und 7212,37 Quadratmeter verteilt.

Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonn- und Feiertage 10 bis 18, Donnerstag, Freitag bis 21 Uhr. Bis 24. Januar.

Klassisch: Goethe dominiert vor italienisch wirkender Landschaft.
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