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WÜRZBURG/BAD KISSINGEN
Giora Feidman sieht die Beatles als Einiger des Planeten
Giora Feidman spielt Beatles: Auch mit 80 Jahren erkundet der Klarinettist neue musikalische Welten. In der Musik der Fab Four sieht er einen unvergleichlichen Schatz der ganzen Menschheit.
Giora Feidman (mitte) mit dem Rastrelli-Celloquartett und dem Jerusalem Duo.
Foto: Stephan Haeger | Giora Feidman (mitte) mit dem Rastrelli-Celloquartett und dem Jerusalem Duo.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:29 Uhr

Seit 1986 hat Giora Feidman fast jedes Jahr ein neues Album veröffentlicht. Oder zwei oder drei. Klezmermusik, aber auch Jazz, Tango, Filmmusik, Klassik. Die Klarinette ist dabei seine Stimme, sein Atem steht in direktem Kontakt zu seiner Seele. Wenn Giora Feidman über seine Musik spricht, dann spürt man vor allem eines: seine Überzeugung, dass in der Musik die Kraft liegt, die Menschen über alle religiösen, ethnischen oder politischen Grenzen hinweg zu einen. Wenn er spielt, erlebt der Zuhörer dennoch etwas Elementares, das jenseits aller philosophischen Gedanken liegt: Klänge von außergewöhnlicher Natürlichkeit, in denen so etwas wie allumfassender Trost liegt. Derzeit ist der 80-Jährige mit einem Programm aus Beatles-Songs zu hören, begleitet vom russischen Rastrelli-Celloquartett, am 15. Januar in Würzburg und am 17. in Bad Kissingen.

Frage: Sie sind etwa die Generation von John Lennon . . .

Giora Feidman: Ich denke, ich bin ein bisschen älter. Wann wurde er geboren?

Sie sind vier Jahre auseinander, John Lennon war Jahrgang 1940, Sie sind Jahrgang 1936. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Musik der Beatles?

Feidman: Ich denke, es ist nicht anders als Ihres. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Was macht den Erfolg der Beatles aus? Zunächst ist es die Schönheit der Musik. Die ist phänomenal und außergewöhnlich. Ihr Wert ist unschätzbar. Sie ist Seele ausgedrückt in Musik. Aber Sie brauchen nicht Giora, um das festzustellen. Was mich fasziniert, ist, dass dieser junge Bursche den Planeten geeint hat.

Meinen Sie?

Feidman: Natürlich! Der ganze Planet singt diese Songs, von Generation zu Generation. Bis heute. Das ist nicht einmal Beethoven oder Mozart gelungen. Und Einheit ist etwas, was wir so sehr brauchen. Das hat mich all die Jahre selbst auch angetrieben. Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin Jude. Heute ist das Verhältnis der Deutschen und der Juden das einer Familie. Das ist ein Beispiel von Einheit für die gesamte Menschheit. Zeigen Sie mir ein anderes Beispiel irgendwo in der Welt, wo das nach einer derartigen Krise gelungen ist. In Deutschland zu sein und die Musik mit dem Publikum zu teilen – das ist für mich das Paradies.

Dann ist die Musik der Beatles für Sie so etwas wie eine Vision des Paradieses?

Feidman: In diesem Moment ja. Es ist faszinierend: Diese jungen Kerle haben einen ganz bestimmten Klang in die Welt gebracht. Aber was bleibt, ist die Schönheit der Musik.

Leonard Bernstein hat die Beatles mit Schubert verglichen. Da gibt es verschiedene Zitate, schwer zu sagen, welches stimmt. Laut einem seien die Beatles die größten Komponisten seit Schubert.

Feidman: Ich wollte das selbst nicht sagen, denn wenn die Leute das hören, sagen sie, dass ist eine Übertreibung. Aber es steckt eine Menge Wahrheit darin. Nicht, weil ich die Musik so besonders mag. Sondern, weil sie auf dem Planeten ist und nichts von ihrer Wirkung eingebüßt hat. Ein Enkel von mir spielt Klarinette, und er sagte, „Opa, Opa, bring mir Noten von den Beatles.“ Diese Musik lebt in unseren Seelen.

In Ihrer Interpretation – Klarinette begleitet von Celloquartett – fällt der Text der Songs weg. Wie gehen Sie damit um?

Feidman: Das ist kein Problem, weil die Schönheit in der Musik steckt. Ich selbst werde vom Text nicht beeinflusst, weder bei den Beatles noch bei Schubert. Es sind zwei verschiedene Sachen: Musik ist eine Sprache, Text ist eine Sprache. Die Musik kann Dinge ausdrücken, die Wörter nicht sagen können, und umgekehrt. Aber ich beobachte, dass das Publikum die Texte so gut kennt, dass alle sie innerlich mitsingen.

Was ist der Unterschied, wenn Sie mit Celloquartett spielen und nicht mit einer klassischen Klezmer-Band? Ist das schwieriger?

Feidman: Schwieriger nicht. Aber anders. Es sind zwei vollkommen unterschiedliche Rahmen. Wie wenn Sie ein Bild in zwei unterschiedliche Rahmen stecken. Mit einer Bedingung: Sie dürfen das Bild dadurch nicht abwerten. Wenn Sie das Bild durch Ihren Rahmen nicht aufwerten können, lassen Sie die Finger davon! Cello und Klarinette haben eines gemeinsam: die Qualität des Klangs. Das bedeutet nicht, dass andere Besetzungen diese Qualität nicht haben. Aber das Besondere ist die Wärme des Celloklangs. Sie haben also kein Quartett mit Klarinette, sondern Sie haben ein Quintett.

Ich finde es interessant, dass Sie den Song „When I'm sixty four“ auf der Bassklarinette spielen. Mit dem Cello ergibt das ein ziemlich dunkles Klangbild. Was war die Idee dahinter?

Feidman: Ich hatte keine spezielle Idee. Vielleicht dachte ich, da geht es um einen Mann, der 64 Jahre alt ist. Ich wollte diesen Song einfach mit Bassklarinette spielen.

Vielleicht, weil der Klang besser zu einem alten Mann passt?

Feidman: Nein, nicht besser. Das war einfach etwas in meiner Vorstellung. Sehen Sie: Ich bin nicht 64, ich bin 80. Und ich habe selbst gar keine tiefe Stimme. (Singt das Thema des Songs mit tiefer Stimme.) Ja: 64, der Typ.

Haben Sie einen Lieblingssong der Beatles?

Feidman: Nein. Nein!

Alle großartig?

Feidman: Alle großartig! Nein, kein Lieblingssong, bitte nicht. „Michelle“ ist wunderbar.

Das stimmt.

Feidman: Egal, welchen Titel ich Ihnen sage, Sie werden sagen, „wunderbar“. Sehen Sie?

Vielleicht, weil ich mit der Musik aufgewachsen bin? Meine Eltern haben damals alle Beatles-Platten gekauft.

Feidman: Und genau das werden alle Menschen auf dem Planeten sagen, zumindest die in Ihrem Alter. Das ist das Phänomen: Diese Einheit, da sind wir alle eine Familie. Und genau das muss angesichts der unfassbaren Katastrophen auf der Welt unser Ziel sein: Wir müssen alles stärken, was die Einheit stärkt. Deshalb wollte ich dieses Projekt. Und natürlich wegen der Musik selbst.

Die Konzerte: Giora Feidman spielt Beatles, mit dem Rastrelli Celloquartett. Zu Gast: Jerusalem Duo mit Harfe und Saxofon. So., 15. Januar, 19 Uhr, St. Johanniskirche, Würzburg Di., 17. Januar, 20 Uhr, Rossini-Saal, Regentenbau, Bad Kissingen

Karten: Tel.  (09 31) 6001 6000,
ticketservice.mainfranken@mainpost.de

Zur Person

Giora Feidman wird 1936 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Bessarabien (Moldawien/südliche Ukraine) in Argentinien geboren. Sein Vater ist Musiker wie schon der Großvater. Feidman wächst in Buenos Aires auf und lernt Klarinette. Er musiziert schon als Kind mit seinem Vater auf Festen und erhält mit 18 Jahren eine Anstellung als Klarinettist am Teatro Colon, der renommiertesten Opernbühne Südamerikas.

1956, mit 21 Jahren, geht er wie hunderttausende junger Juden aus aller Welt nach Israel, wo er 18 Jahre Mitglied des Israel Philharmonic Orchestra ist. In Israel entdeckt er die jüdische Musik, vor allem die der Juden Osteuropas, Klezmer. „Erst als ich in Israel war, wurde mir bewusst, wie wichtig jüdische Musik für mich sein würde. Damals konnte ich noch nicht wissen, wie sehr diese Musik eines Tages mein Leben und meine Karriere als Musiker verändern und bestimmen würde“, berichtet Feidman auf seiner Homepage. Zu Beginn der 70er Jahre verlässt er das Orchester und beginnt, im Ausland Klezmer-Konzerte zu geben.

Längst stehen auf seinen Konzertprogrammen auch George Gershwins Werke oder Tangos aus seiner argentinischen Heimat. Später kommt sinfonische Musik zeitgenössischer israelischer Komponisten (Ora Bat Chaim, Betty Olivero) hinzu sowie klassische Werke, darunter Mozarts Klarinettenkonzert oder Lieder von Franz Schubert.

Immer wieder wirkt er in Theaterstücken, Musicals, Opern und Filmen mit. Mit Itzhak Perlman spielte er die Musik zu Steven Spielbergs Holocaust-Film „Schindlers Liste“ ein, die 1994 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. maw

 
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