Es brodelt in Deutschland. Revolutionäre Ideen sickern aus Frankreich ein. Literaten wie Heinrich Heine und Georg Büchner – unruhige Geister – schreiben gegen das Althergebrachte. Es kommt zu Unruhen, die in der Revolution von 1848 gipfeln. In der Rhön ziehen sich die jungen Männer zur Fastnacht hölzerne Masken übers Gesicht, tragen Gewänder, die den ganzen Körper verhüllen, um nicht erkannt zu werden. So vermummt, protestieren sie gegen herrschende Zustände, spotten, kritisieren. In gewissem Sinn sind die Rhöner Fastnachtsmasken Gesichter der Revolution.
„Vormärz“ nennt man heute diese Epoche. Sie hat ihre Spuren hinterlassen in der großen Geschichte ebenso wie in der Lokalgeschichte. Denn die Vermummung, die den Rebellen vor 200 Jahren Schutz vor der Obrigkeit gewährte, ist noch immer Teil des Rhöner Brauchtums. Den harten politischen Unterton, den sie zu Vormärz-Zeiten noch gehabt haben mögen, transportieren Fastnachtsmasken inzwischen freilich nicht mehr. Und wer trotz der Maskerade erkannt wird, muss auch nicht mehr den Kerker fürchten . . . „Der politische Zug, den die Masken zu Beginn hatten, verlor sich mit der Zeit“, sagt Astrid Hedrich-Scherpf von der Kulturagentur Rhön-Grabfeld. „Schon um 1900 dienten die Rhöner Fastnachtsmasken dann vor allem dem Spaß.“ Die promovierte Kunsthistorikerin und Archäologin hat die Ausstellung mit Fastnachtsmasken mitorganisiert, die im Mainfränkischen Museum Würzburg zu sehen ist (siehe Kasten unten).
Die in der Rhön verwendeten geschnitzten Holzmasken sind einzigartig. „Sie wurden immer nur im bayerischen Teil der Rhön getragen“, erklärt Hedrich-Scherpf. Das habe auch mit dem dort weitverbreiteten Holzschnitzer-Handwerk zu tun. Im Zentrum des Fastnachtstreibens stehen heute die Orte Weisbach, Ginolfs, Ober- und Unterelsbach. Im benachbarten Thüringen und in Hessen kannte man diese Art des Maskierens nicht, erklärt Astrid Hedrich-Scherpf.
Wie vor 200 Jahren wird die Fastnacht – anderswo Karneval oder Fasching genannt – noch heute genutzt, um in der Maske des Narren Zeit- und Gesellschaftskritik zu üben. Wer das allerdings abseits eines Faschingszuges bei einer Demonstration tut, kommt mit dem Gesetz in Konflikt: Seit 1985 gibt es in Deutschland das sogenannte Vermummungsverbot. Bei Zuwiderhandlung droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Auch heute will, wie im Vormärz, die Obrigkeit wissen, wer gegen sie ist. Meist stecken allerdings nicht Unruhe und Umsturz hinter der Verkleidung. Masken sind fast so alt wie die menschliche Kultur, haben ihren Ursprung in uralten magischen Kulten. Sie wurden getragen, um Dämonen auszutreiben oder das Jagdglück zu beschwören. Den alten Griechen dienten sie später dazu, am Theater verschiedene Charaktere darzustellen. Im übertragenen Sinne sei eine Maske, wie „eine Rolle, die jemand annimmt, um den Forderungen seiner sozialen Umwelt zu entsprechen und sich so vor Feindschaften und Isolation zu schützen“, belehrt das Online-Lexikon „psychology48.com“.
Mit dem Mummenschanz der sogenannten tollen Tage hat das nichts zu tun, aber sehr viel mit der Bewältigung des Alltags. Jeder trägt immer wieder andere Masken, die ihm von der Gemeinschaft vorgegeben werden, in der er sich gerade bewegt: Im Büro spielt man eine andere Rolle als am Stammtisch. Das ist nötig für das Funktionieren der Gesellschaft. Wer mit der „Stammtisch-Maske“ im Büro auftaucht, fällt aus der Rolle und wird sich bald einen anderen Job suchen müssen.
Eine Maske kann auch Fantasien wahr werden lassen, jedenfalls vorübergehend. Verborgen unter einer Maske lässt sich ausleben, was in der Wirklichkeit unmöglich wäre. Sie kann sogar helfen, die eigene wahre Person zu enthüllen, nachdem man im Alltag ja gezwungen ist, eine Rolle zu spielen.
Unter den Rhöner Fastnachtsmasken gibt es auch „Blaue Jöüd“, blaue Juden, so genannt wegen der Farbe ihres Gewands. Wurde im Schutz der Maske der im Alltag verborgene Antisemitismus ausgelebt? Nein, sagt Hedrich-Scherpf. Die Maske sei aus dem einstmals populären Theaterstück „Auszug der Kinder Israels“ abgeleitet. Zudem hätten sich auch jüdische Männer an Fastnachtsumzügen beteiligt. Anders sieht es beim „Wille Jöüd“, dem wilden Juden, aus: In dieser Maske spiegeln sich womöglich tatsächlich Vorurteile gegenüber jüdischen Händlern und Geldverleihern. Doch auch das muss nicht so gewesen sein: Walter Stolle, Autor des als Standardwerk geltenden Katalogs „Geheimnisvolle Masken aus der Rhön“, schreibt: „Erst durch den Nationalsozialismus verbreitete sich die Theorie, dass man die Juden mit den Masken verspotten wollte, nur dadurch konnte der Brauch die Nationalsozialisten überleben.“
„Es sind noch einige Fragen offen“, räumt Astrid Hedrich-Scherpf ein. Die Rhöner Fastnachtsmasken mit ihrer 200-jährigen Tradition werden weiterhin ein spannendes Forschungsfeld bleiben.
Ausstellung im Mainfränkischen Museum
„Schlappmaul, Strohmann, Mädle“ ist der Titel der kleinen Sonderausstellung im Mainfränkischen Museum Würzburg. Zu sehen sind 40 handgeschnitzte Fastnachtsmasken aus der Rhön. Die ältesten stammen vom Anfang des 19. Jahrhunderts, jener „Vormärz“genannten Zeit, in der der Brauch der geschnitzten Masken mutmaßlich entstand.
Die Ausstellung ist im Vergleich zu früheren Weihnachtsausstellungen des Museums in der Festung Marienberg eher klein. Sie informiert kompetent und kompakt über ein einmaliges, geografisch eng begrenztes Brauchtum und seine Hintergründe.
Die Masken sind Leihgaben des Rhönmuseums Fladungen, das derzeit wegen einer Sanierung geschlossen ist. Das Mainfränkische Museum sieht die Ausstellung als Start ins Jubiläumsjahr: 2013 feiert das Haus 100-jähriges Bestehen.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-16 Uhr. Bis 17. Februar. TExt: hele