Wann man weiß, dass das ein großer Abend wird? Und dass es sich gelohnt hat, am Dienstag nach Versbach zu fahren und sich mit 700 anderen bei Mettlaugenstangen und Bier in der Pleichachtalhalle zusammenzusetzen? Spätestens dann, wenn nach einer halben Stunde auf der Bühne unter den Basketballkörben Gerhard Polt zum missionierenden Pfarrer wird. Wie er da im hindi-englischen Singsang als importierter Inder die vom Glauben abgefallenen bayerisch-katholischen Sünder zurückholen soll und will – es ist zum Gotterbarmen herrlich und komisch. „I'm a sheperd“, singsangt der Bayer-Inder, „but no sheep.“
„Gehobene Unterhaltung mit humanitärem Beigeschmack“
Falsch. Eigentlich weiß man es gleich. Der Sportbund Versbach Tischtennis hat zum „unterhaltsamen Bairischen Abend der besonderen Art“ geladen. Genauer, zu „gehobener Unterhaltung mit humanitärem Beigeschmack“. Nicht gerade etwas, was man von einer Tischtennisabteilung erwartet. Aber wenn der Abteilungsleiter gute Kontakte zur Kabarettszene pflegt und ein geschicktes Händchen hat . . . Viele Jahre lang hat Heiner Galm Künstler, die schon einen Namen hatten oder bald einen bekommen sollten, in die Mehrzweckhalle des Würzburger Stadtteils geholt. Jetzt ist es Hubert Uhl, der zwei, drei Mal im Jahr Kabarettisten und Comedians bucht. Und der Abend mit Gerhard Polt und den Well-Brüdern aus'm Biermoos, der war ratzfatz ausverkauft weit im Vorfeld.
Aber zurück zu dem Moment, an dem man weiß, dass dieser Abend saugut und lustig werden wird. Nicht erst nach einer halben Stunde, bei der Nummer mit dem indischen Pfarrer. Sondern gleich. Die über und über musikalischen drei Wells, die mit dem 75-jährigen Kabarett-Urgestein Polt zu wenigen ausgewählten Terminen durch die Lande ziehen, brauchen ja nur die ersten Takte zu spielen mit Bachtrompete, Tuba, Quetschn, Geige, Gitarre, Kontrabass, Flöte, Horn und noch ein paar mehr Instrumenten aus ihrem Arsenal...
Cordhose, Janker und Grundhaltung verschränkte Arme
Und wenn sich dann Polt – im bekannten Polt-Gewand aus Cordhose, Karohemd und braunem Janker mit der Grundhaltung „verschränkte Arme“ – vom Stuhl erhebt und einfach losredet und irgendwas verzählt...
Tatsache, das Alter dieses Bühnenbazis wird mit 75 angegeben. Und man glaubt es nur, weil er 1980 schon den Deutschen Kleinkunstpreis bekam und im selben Jahr in der ersten Folge von Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ zu Gast war.
Und jetzt steht er vor 700 Leuten in der Versbacher Turnhalle und verzählt was von der 125-Jahr-Feier der Freiwilligen Feuerwehr Hausen. 2000-Mann-Bierzelt, 21 Dixie-Klos („dass es bei den Weibsleut schneller abläuft“), 8674 verzehrte Brezn, 5814 Paar Schweinswürschtl, 2604 Hendl („ganze, nicht halbe!) und elf Stück Fischsemmeln. „Ja warum erzähl ich des? Warum erzähl ich des?“
Wie der sehr überzeugte Durchschnittsbürger Klischees bloßlegt . . .
Wie Gerhard Polt das erzählt, lässt sich hier auf Papier schlicht nicht wiedergeben. Warum er es erzählt, ist klar. Weil er immer schon den ein bisschen engstirnigen, sehr überzeugten Durchschnittsbürger mit großer Selbstverständlichkeit seine Meinung kundtut lässt und dabei Klischees, Fehlargumente und Vorurteile bloßlegt, wie es treffender und schöner nicht geht.
Witzig, bissig, manchmal bitterböse. Und manchmal einfach nur komisch, so wie beim Pfarrer aus Indien: „Beergarden not in paradise, in paradise garden Eden.“ Oder beim Großvater, der seinen Bubi zum „lupenreinen Demokraten“ erzieht. Oder bei dieser schrillen Radiomoderatorin, die mit gehauchter Säuselstimme einen „Alkoholsportler“ interviewt. Es sind brillante Rollenwechsel im groben Jackett. Eben noch sinniert der „richtige Rentner, nicht Frührentner“ milde vor sich hin, „dass ich offensichtlich von Jahr zu Jahr milder werde“. Kurz drauf gibt's Verbalattacke und schönste Schimpfereien über irgendeine „bleede Matz, die g'hört mit der Klobürscht'n nausghaut“.
Und die Brüder aus dem Biermoos – Christoph, Karl und Michael Well – blasen dazwischen virtuos den Marsch. Und stanzeln und jodeln und schuhplatteln den Soundtrack zur Analyse des Geschehens in Bavaria und dem Rest der Welt. Garniert von Aussagen wie diesen: Dass viele Haare auf den Zähnen haben. Aber die Alice Weidel von der AfD „auf jedem Zahn eine ganze Frisur“ hat. Die Anmerkung, dass Stofferl Well unter Sergiu Celibidache Solotrompeter bei den Münchner Philharmonikern und später Konzertharfenist war, muss hier als Hinweis auf das Können genügen.
„Sammer doch froh, dass es auf dieser Welt noch ein paar Deppen gibt“
Das Fazit des Abends kulminiert zu den „Schtänding Oweischns“ des Versbacher Publikums in Polt'scher Weisheit: „Sammer doch froh, dass es auf dieser Welt noch ein paar Deppen gibt. Wenn's keine Deppen mehr gibt, bricht der ganze Laden 'zamm.“