Der erste, der größte Jubel des Abends bricht nach zehn Minuten aus. Soeben hat Lothar Dombrowski die Monatssitzung der Selbsthilfegruppe „Altern heißt nicht trauern“ eröffnet. Und weil es eine „historische Monatssitzung“ ist, greift Dombrowski, nein greift Kabarettist Georg Schramm zur (Toten-) Glocke und läutet kräftig: „Es ist gelungen, die FDP ist nicht mehr im Bundestag!“ So zornig Schramm und seine Figuren sind, so wutgeladen der Abend werden wird – für einen Moment bricht sich auf der Bühne und im Saal die blanke Freude Bahn.
Ein historischer Sonntagabend im Würzburger Mainfranken Theater! Nicht, weil zeitgleich in Berlin die Kanzlerin sich feiern lässt und die Liberalen blass ihre Bedeutungslosigkeit zur Kenntnis nehmen. Ein historischer Abend, weil Georg Schramm, der Meister, ein letztes Gastspiel gibt. Merkel bleibt, Schramm tritt ab.
Doch nicht, ohne noch einmal zu wüten, zu protestieren, sprachmächtig fern von den tagesaktuellen Ergebnissen und Geschehnissen das Gebaren der Mächtigen und die Prinzipien der Gesellschaft bloßzulegen. Bitter, schonungslos, radikal. Noch einmal ruft der einarmige Rentner auf zu öffentlich wirksamen Störaktionen, zum Aktivwerden aus Verzweiflung, zum Nutzen der Kraft des Wortes. Wann man „zum letzten Mal Zorn“ hatte „außerhalb des Kreuzworträtsels“ fragt Dombrowski alias Schramm. Und kämpft verzweifelt an gegen den Zwischenbeifall aus dem Publikum, der jeden „halbwegs gelungenen Gedanken nach fünf, sechs Wörtern“ unterbricht. Durchs Reinklatschen störe man das Satzgefüge, wütet Dombrowski. Er mache nun mal Nebensätze, also „warten Sie doch bitte ab, bis ich am Ende eines Gedankenganges angekommen bin und sich die Stimme merklich abgesenkt hat“.
Und was er in den drei Bühnenstunden für Gedankengänge offenbart: über Habgier und das Böse, über Worthülsen und Mechanismen der Herrschaftssprache, über gebrochene Wahlversprechen, vom Volk klaglos hingenommene Wortbrüche wie den Abzug aller deutscher Soldaten aus Afghanistan bis Ende 2014. Über erwünschten und unerwünschen Fremdblutfluss und Eigenblutfluss (nüchtern vorgetragen von der zweiten Schramm-Figur, Oberstleutnant Senftleben) und die wahren Gründe, warum deutsche Soldaten in Afghanistan bleiben (wenn man den Einsatz dort nicht beendet, spart man sich die Diskussion, ob man gescheitert ist).
Und während Bild-Online meldet, Merkel sei nun mächtig wie nie, in Deutschland, in Europa, in der Welt, offenbart Schramm, warum sie noch nicht mal in Deutschland die mächtigste Frau ist: „Ihre Macht ist eine geliehene.“ Geliehen von Liz Mohn und Friede Springer, den Merkel-Freundinnen, den Bertelsmann- und Springer-Frauen. „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn sie vom Zorn unterstützt wird“ ist der zentrale, der entscheidende Satz des Abends. Und wenn sie dann noch mit sprachlicher Eleganz, mit Wortgewalt, in mächtigen Sätzen . . . Aber da ist Schramm Realist genug, um zu wissen, dass das kollektive Aufbäumen ausbleiben wird. So groß der Jubel, so begeistert der Applaus an diesem historischen Abend auch ist.