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Würzburg
Für Max Raabe hat Nostalgie ganz klare Grenzen
Der Sänger, Bandleader und Meister des gepflegten Stils, über Manieren im Alltag, Grobheiten im Netz, Outdoor-Kleidung auf dem Kurfürstendamm und das kleine Glück zu zweit.
Max Raabe und Teile des Palast Orchesters - hier beim Auftritt im Würzburger CCW vor ziemlich genau einem Jahr.
Foto: Thomas Obermeier | Max Raabe und Teile des Palast Orchesters - hier beim Auftritt im Würzburger CCW vor ziemlich genau einem Jahr.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:54 Uhr

Max Raabe, 1962 in Lünen geboren, hat, so steht es auf seiner Homepage, schon immer gesungen – im Jugendchor, in der Kantorei und auf dem Fahrrad. Mit Anfang 20 zog er nach Berlin, um Operngesang zu studieren. Mit kleineren Auftritten finanzierte er sein Studium, bis er 1986 mit Kommilitonen das Palast Orchester gründete, das sich auf die Musik der späten 1920er und frühen 1930er spezialisierte. Und auf moderne Songs, arrangiert im  Stil dieser Zeit - entweder Nachschöpfungen wie „Kein Schwein ruft mich an“, der erste große Hit des Orchesters, oder adaptierte Pophits wie "We Will Rock You" oder "Tainted Love". Am 2. Dezember sind Max Raabe und das Palast Orchester wieder in Würzburg zu Gast, mit dem neuen Programm "Der perfekte Moment ... wird heut verpennt".

Frage: "Der perfekte Moment" - der Titelsong ihres aktuellen Programms feiert Entschleunigung und Nichtstun. Wäre das für Sie als Privatmann auch der perfekte Moment?

Max Raabe: Ja absolut. Ich kann das sehr gut. Wenn wir auf Tour sind, füge ich mich in das Getriebe des Orchesters ein. Das muss ja alles messerscharf durchgeplant werden - wann gehen die Flüge, wann fahren wir vom Hotel los. Aber sobald ich meine freie Zeit habe, lasse ich mich gerne gehen, mache gar nichts und stelle mein Gehirn auf Durchzug.

Laut Wikipedia sind Sie Bariton. Wenn ich Sie sprechen höre, kann ich das nachvollziehen. Aber Ihre Gesangsstimme klingt eher nach Tenor. Sie müssen einen riesigen Stimmumfang haben.

Raabe: Ich bin lyrischer Bariton. Ich habe schon immer eine gewisse Höhe gehabt. Und wenn ich vorher entsprechend unseriös gelebt habe, auch eine gewisse Tiefe.

Sie sind für Ihren Stil bekannt, Ihre Kleidung, Ihre Frisur, Ihre Haltung auf der Bühne. Täte unserer Zeit mit ihrer Beliebigkeit und ihrem Verfall der Sitten und Manieren nicht auch ein wenig mehr Stil ganz gut?

Raabe: Mode ist immer irgendwelchen Veränderungen unterworfen. Rücksichtnahme, nennen Sie es meinetwegen Manieren, finde ich viel wichtiger, als dass man sich schön kleidet. Zum Beispiel jemandem im Kaufhaus die Tür aufzuhalten. Manche Sachen finde ich tatsächlich auch wundersam. Dass die Leute auf dem Kurfürstendamm spazieren gehen, als wären sie auf dem Weg zum Sessellift. Outdoor-Kleidung, so nennt sich das wohl.  Das ist ein bisschen einsilbig. Ich freue mich, wenn die Leute bei ihrer Garderobe nicht nur an die Praktikabilität denken.

Stichwort Manieren: Die Frage zielte auch auf das, was heute in der Öffentlichkeit passiert, besonders in den sozialen Medien. Verrohung der Sprache, des Umgangs miteinander. Gab's das schon immer, aber wir bekommen es erst jetzt in diesem Ausmaß  mit, weil die technischen Möglichkeiten andere sind?

Raabe: Die Anonymität verleitet die Leute dazu, rüpelig zu sein. Leider überträgt sich das auch oft in den Alltag. Das darf man nicht entschuldigen, finde ich. Da muss man aber bei der Erziehung anfangen, im Kindergarten, in der Schule. Ich meine nicht, dass es darum gehen soll, gespreizt oder überkandidelt zu reden. Wie sonst auch, sollte man  in der Sprache rücksichtsvoll sein und sich nicht zu Grobheiten hinreißen lassen. Dafür ist jeder anfällig. Der Mensch ist eben doch noch näher am Tier, als man das wahrhaben möchte. Es geht um Kultur - wie wir miteinander umgehen. Welche Regeln man einzuhalten hat. Und damit meine ich wiederum nicht, welche Gabel und welches Messer man nimmt, oder ob der Wein von rechts oder von links serviert wird.

Unter ein Video des Palast Orchesters in Youtube hat jemand geschrieben, dass Sie die schönsten und glücklichsten Zeiten in der deutschen Geschichte wiederaufleben lassen. Warum sind diese 1920er Jahre für so viele Menschen ein Ort solcher Sehnsucht?

Raabe: Selbstverständlich möchte man gern glauben, dass die Menschen zu dieser Zeit höflicher und besser angezogen waren. Das glaube ich nicht. Es gab zu dieser Zeit auch  schlechte Musik, so wie es heute auch schlechte Musik gibt. Und es gab Leute, die sich unmöglich aufgeführt haben, und Leute, die schon immer rücksichtsvoll waren. Möglicherweise haben in den 20er Jahren manche Leute gesagt, ja, im Biedermeier, da waren die Leute noch höflich und gut angezogen. Und im Biedermeier haben sie gesagt, ja, als Goethe ein junger Mann war, da waren die Leute nett miteinander. So projiziert eine Generation immer etwas auf eine wesentlich frühere, wenn sie sich nach irgendwas sehnt, was die Gegenwart nicht liefert. Ich habe dazu ein praktisches Beispiel: Als ich in Berlin ankam, lebte ich in einer Wohnung, die mit zwei sehr schönen Kachelöfen geheizt wurde. Aber die Kohlen mussten aus dem Keller in den vierten Stock geschleppt werden - da hört dann die Nostalgie auf. Anderes Beispiel: Das Deodorant wurde erst in den 50er Jahren erfunden, vorher war man also wahrscheinlich ganz froh, wenn im Bus oder im Restaurant geraucht wurde.

Es fällt auf, dass in Ihren Neuschöpfungen viel Spieltrieb mitschwingt. Da reimt die "Couch" auf "Autsch" oder "Pizza" auf "Nizza".  Wie wichtig ist Ihnen dieses Spiel?

Raabe: Das ist das größte für mich. Bei mir muss sich immer alles reimen, daran habe ich eine kindliche Freude. Das Spiel mit den Worten, diese Frechheit und gleich daneben diese Melancholie, das ist es, was mir die Musik der späten 20er und frühen 30er Jahren so wertvoll macht und weswegen ich sie so gerne singe. Diese Haltung versuche ich, in die Gegenwart zu transportieren. Und auch eine gewisse Ironie. Heutzutage hat die Popmusik keine Ironie, von Ausnahmen wie Udo Lindenberg oder Nina Hagen abgesehen.  Popkünstler wollen immer als Transporteure großer Wahrheiten wahrgenommen werden. Und diese Ernsthaftigkeit habe ich nicht, ich nehme mich selbst eben auch nicht sehr ernst. Ich habe nur einfach Freude, eine Geschichte zu erzählen. Und diese Geschichten haben ja auch einen Inhalt. Aber es kommt darin immer ein Bruch vor. 

Sie arbeiten viel mit Annette Humpe zusammen, deren Schöpfungen für "Ich + Ich" ja nicht gerade für Ironie bekannt sind...

Raabe: ...und die mit Ideal in den 70er Jahren stilprägend war.

Das stimmt - bei Ideal gab es noch einen gewissen Witz,  "Ich + Ich" ist hingegen ein gewisses Pathos nicht fremd. Wie passt das zusammen?

Raabe: Der Witz ist mein Teil. Mit Ironie hat es Annette nicht so, das ist wohl wahr.  Und ich muss immer wieder erklären, weshalb ich auf diese oder jene Zeile bestehen muss. Da tickt sie anders, aber das ist ja das Tolle. Wir kommen beide aus sehr unterschiedlichen Richtungen, und wir waren beide neugierig und haben uns aufeinander eingelassen. Ich bin ja keine Kopie von "Ich + Ich", wollte aber auch nicht wieder was machen, das klingt wie die 20er Jahre. Was immer der Fall ist, wenn ich allein etwas schreibe. Wie "Kein Schwein ruft mich an" etwa, wo ja nur die Kraftausdrücke "Schwein" und "Sau" verraten, dass es nicht aus den 20er Jahren stammt.

Versuchen Sie sich manchmal vorzustellen, wie sich diese Kultur der 20er weiterentwickelt hätte, hätte es den Einschnitt Nationalsozialismus und Weltkrieg nicht gegeben?

Raabe: Wir hätten halt unsere tollen Künstler behalten und unsere Nachbarn. Das ist ja das brutale - dass wir unsere Nachbarn umgebracht haben, egal, ob es Bäcker waren, Schneider, Bildhauer oder Komponisten. Natürlich hätten sich auch Mode und Kunst weiterentwickelt. So wie das immer ist. Es gab den Rock und später den Punk, dann gab's wieder mehr Rock und jetzt gibt's Hiphop. Das sind alles Entwicklungen, die aus sich heraus entstehen. Wir hätten heute sicher keine Orchester, die einfach diese Stilistik durchgezogen hätten. Das war in Amerika ja auch nicht der Fall, und da gab es eine fortwährende Entwicklung. 

Aber in Deutschland haben wir uns dann doch recht schwer getan, den Mief der 50er loszuwerden.

Raabe: Ja, das ist wahr. Der Verlust war auf jeder Ebene zu spüren und eben auch in der Kultur. In den 50ern war schon alles sehr brav. Anders als die Filme, die dann in Frankreich oder Italien entstanden sind. Und man sieht, was Hollywood für Fortschritte gemacht hat, mit den Regisseuren, Kameramännern und Filmleuten, die aus Deutschland geflohen sind.

Sie besingen gerne das kleine Glück  zu zweit - selbst die Cote d'Azur ist ohne Partnerin oder Partner "nur ein Strand mit Sand". Ist das auch als eine Art Gegengewicht zur überhitzten Überpolitisierung unserer Zeit gemeint?

Raabe: Ich will ja den Leuten nicht die Welt erklären. Die Musik der 20er und 30er Jahre wurde gemacht, um die Leute für die Dauer eines Stücks oder eines Konzerts aus der Realität zu reißen. Das habe ich auch für meine Stücke verinnerlicht. Erst schreibt man über etwas, was einem selbst etwas bedeutet, wie man eben selber tickt. Das sind alles Themen, die mir wichtig sind - Freundschaft, Partnerschaft, Familie. Dieses ganze tägliche Durcheinander, das auch sehr lustig sein kann.

Wollte man das mit Therapeuten-Deutsch benennen, würde man Achtsamkeit sagen.

Raabe: Ja, ich weiß, ein großes Wort, ich vermeide es aus diesem Grund, aber das können Sie natürlich gerne verwenden.

"Der perfekte Moment ... wird heut verpennt": Max Raabe und das Palast Orchester treten am Sonntag, 2. Dezember, 18 Uhr, im Congress Centrum in Würzburg auf. Karten unter Tel.: (0931) 60016000.
 

 
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