Der Däne Jussi Adler-Olsen (63) ist mit seinen Thrillern über den eigenwilligen Ermittler Carl Morck einer der erfolgreichsten Krimi-Autoren überhaupt. Gerade hat er seinen neuen Roman („Erwartung“) auf den Markt gebracht. Auch wenn er vom Erfolg Stieg Larssons profitierte, sein Vorbild ist ein anderer, wie er im Interview sagt: Thomas Mann.
Jussi Adler-Olsen: Es ist absolut der wichtigste Markt auf der ganzen Welt – für jedes Buch. Ich bin ein alter Verleger, ich kenne mich aus. In den USA haben sie US-amerikanische Bücher in den Bestseller-Listen, manchmal kanadische, manchmal englische. Aber hier in Deutschland konkurrieren wir alle auf dem gleichen Level. Wenn die Franzosen oder Italiener sehen, dass ich in Deutschland Erfolg habe, dann kann ich überall erfolgreich sein. Darum habe ich lange auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, in Deutschland auf den Markt zu gehen, und mir Zeit gelassen, den richtigen Verlag zu finden. Inzwischen nutze ich den deutschen Markt, um neue Dinge auszuprobieren. Ich habe getestet, wie ihr Deutschen tickt.
Adler-Olsen: Ihr seid maskierte Dänen. Das war für mich auch neu. Ich wusste, dass ihr Deutschen privat ganz entspannt seid, aber in der Gesellschaft seid ihr das nicht. Dieses ganze Gesieze, Herr Doktor und Herr Professor – das ist doch verrückt. Für Dänen ist das einfach lächerlich. Darum denken wir Dänen, dass ihr auch innen drin so verstockt seid – das seid ihr aber gar nicht.
Adler-Olsen: Nie. Aber ich überprüfe die Übersetzungen schon. Und die sind sehr gut – auch wenn sie sich von meiner Sprache sehr unterscheiden. Ich kann auf Deutsch lesen, aber das dauert sehr lange. Ich habe die deutschen Klassiker gelesen, Kästner und Gedichte von Goethe und Schiller. Das Dezernat Q in meinen Carl-Morck-Büchern ist im Grunde wie „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann.
Adler-Olsen: Absolut. Die Geschichte ist lang, und es ist die Geschichte einer kleinen Familie – Carl, Rose und Assad. Ich mag es, lange bei meinen Charakteren zu bleiben, wenn es eine Geschichte zu erzählen gibt. Viele Krimi-Autoren schreiben Fortsetzungen mit den immer gleichen Ermittlern, aber die Geschichte entwickelt sich nicht. Meine Bücher kann man dagegen als zehn Kapitel eines einzigen Buches verstehen – jetzt haben wir Kapitel fünf.
Adler-Olsen: Ja, und als Geschäftsmann. Ich verstehe mich aber in erster Linie als erster Leser und schreibe, was ich selbst gerne lesen würde. Das kann ich, weil ich so lange Redakteur und Verleger war und auch viele scheiß Bücher gelesen habe. Das Schlimmste ist, wenn Autoren die Fantasie ihrer Leser unterschätzen und einfach alles beschreiben. Diese Regie-Anweisungen sind fürchterlich und unglaublich langweilig. Der Leser ist sehr viel intelligenter und hat im Zweifel auch sehr viel mehr gelesen als der Autor. Und er will überrascht werden.
Adler-Olsen: Nein. Ich würde meine Bücher auch nicht als Kriminalromane bezeichnen. Ich bin kein Krimi-Autor. Man kann mich so nennen, aber das bin ich nicht.
Adler-Olsen: Ich bin natürlich auch ein politischer Autor – aber ohne den erhobenen Zeigefinger. Mein Hauptthema ist der Missbrauch von Macht. Den sehe ich überall, im Kleinen und im Großen. Ich habe einfach die Schnauze voll von unseren faulen, dummen, manchmal sogar korrupten Politikern. Ich habe die Schnauze voll davon, dass sie nicht wissen, was das Wort Minister bedeutet. Es heißt nämlich Diener – und nicht Herr. Sie sind unsere Diener, dazu haben wir sie gewählt. Das ist überall auf der ganzen Welt so, mit einer Ausnahme: Nelson Mandela. Er hat seine Macht nie missbraucht und uns gezeigt, wie es auch anders geht.
Adler-Olsen: Ja. Es heißt übersetzt so viel wie „Der dargestellte Chinese“. Ich will nicht zu viel verraten, aber die Hauptfigur entdeckt in einer Ausstellung wie „Körperwelten“, dass eine Leiche das gleiche Tattoo auf der Hand hat wie er selbst.
Adler-Olsen: Ja, aber ganz kurz. Nur wenige Monate. Dann sah ich eines Tages, wie meine Kommilitonen ihre Jacken und Taschen an den Fingern und Zehen von Leichen aufhängten – und mit diesen Leuten wollte ich dann nichts mehr zu tun haben. Ich wäre zynisch geworden, hätte ich weitergemacht. Aber ich bin ein empathischer Mensch, wollte das auch bleiben und mit Menschen ohne Mitgefühl nicht zusammen sein. Empathie ist der wichtigste Teil von mir, und seinen Kindern Mitgefühl mit auf den Weg zu geben ist das Wichtigste in der Erziehung. Ich kann mich gut in andere Menschen hineinversetzen. Darum kann es manchmal problematisch sein, über einen besonders grausamen Killer zu schreiben. Aber ich habe – im Gegensatz zu meinen Studienkollegen – gelernt, dass man Menschen respektieren muss. Auch die seltsamen.
Adler-Olsen: Ich habe ihn nicht für seinen Mord respektiert, natürlich nicht. Er war verrückt geworden, weil er seine Frau getötet hatte. Er wollte das nicht, aber er hat ihr das Leben genommen. Ich weiß, dass alle von uns in der Lage wären zu töten. Im Zweifel können wir Killermaschinen sein, wenn es nötig ist. Wenn du eine Waffe in der Hand hältst und jemand deine Familie, deine Kinder bedroht, dann drückst du ab – mit Angst, ja. Aber ohne zu zögern. Ich respektiere Killer aber trotzdem nicht. Dazu bin ich noch religiös genug. Du darfst nicht töten. Punkt.
Jussi Adler-Olsen: Erwartung – Der Marco-Effekt (dtv, 576 Seiten, 19,90 Euro), als gekürztes Hörbuch gibt's den Roman beim Deutschen Audio Verlag (DAV) für 24,99 Euro (8 CDs, gelesen von Wolfram Koch)