
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an die beiden Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assman. Aleida Assmann (71), greife immer wieder neu virulente Themen von Geschichtsvergessenheit und Erinnerungskultur auf, heißt es in der Begründung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Ihr Mann Jan Assmann (79) habe Debatten zu den kulturellen und religiösen Konflikten der Zeit angestoßen. Jan Assmann kommt am Montag, 18. Juni, zum Würzburger Mozartfest, um mit Intendantin Evelyn Meining über das Thema des Festivals, die Epoche der Aufklärung, zu diskutieren. Aufklärung ist deswegen auch das Thema des Interviews mit Jan Assmann.
Herzlichen Glückwunsch zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Sie und Ihre Frau.
Jan Assmann: Vielen Dank.
Wir wollen ja über Aufklärung reden, das Thema des Würzburger Mozartfestes, bei dem Sie zu Gast sind. Kann man Aufklärung so definieren: Denken und Analysieren ersetzten das Glauben.
Assmann: In der Tat bedeutete Aufklärung im 18. Jahrhundert eine gewisse Abkehr von der Religion im kirchlichen Sinne, also vom orthodoxen Protestantismus und institutionalisierten und gleichfalls orthodoxen Katholizismus. Das heißt aber nicht, dass die Religion als Ganzes in Bausch und Bogen verworfen wurde. Es gab lediglich eine radikale Richtung in der Aufklärung, die atheistisch war. Das gilt aber nicht für die Aufklärung als solche. Da galt im Gegenteil der Gottesglaube als vernünftig. Jeder vernünftige Mensch – das ist die Idee der natürlichen Religion – glaubt an Gott, hieß es. Sich von diesem Glauben radikal loszusagen, setzte ein Stück Fanatismus voraus und das war der Aufklärung zuwider.
Wie kam denn die Aufklärung bei den Menschen an?
Assmann: Wir bewegen uns da natürlich in einer Welt von Texten. Wir können die Menschen ja nicht mehr selbst befragen. Die Aufklärung war zunächst einmal ein elitäres Geschäft, eine Sache der Gebildeten. Als solche wird sie beim einfachen Volk, das an seinem Volksglauben natürlich festhielt, nicht besonders gut angekommen sein. Bei der Kirche kam sie selbstverständlich schlecht an.
Spüren wir die Errungenschaften der Aufklärung noch heute?
Assmann: Ja natürlich. Zum Beispiel ist die Europäische Union ein Produkt der Aufklärung. Menschenrechte, Demokratie, Zivilgesellschaft – all das sind Errungenschaften der Aufklärung, die sich bei uns vor allem mit der Einigung Europas durchgesetzt haben. Neuerdings werden diese Errungenschaften durch populistische Bewegungen – in Italien, Frankreich, auch in Deutschland – infrage gestellt. Ganze Länder – wie Polen und Ungarn, die stark katholisch geprägt sind – beginnen sich von diesen aufklärerischen Prinzipien abzukehren. Von den USA gegenwärtig ganz zu schweigen. Das sind Gegenbewegungen zu einer aufgeklärten, das heißt zu einer kosmopolitischen, humanistischen und demokratischen, Politik.
Woher könnten denn diese Gegenbewegungen kommen? Angst? Unsicherheit?
Assmann: Das hängt sehr stark mit dem Flüchtlingsproblem zusammen, also auch mit den Kriegen in Nahost und anderswo. Die Angst vor Überfremdung oder „Islamisierung“, wie es heißt, ist auch eine Reaktion gegen eine offene und liberale Politik. Diese Politik wird offenbar nicht von jedermann verstanden und getragen.
Könnten wir eine neue Aufklärung gebrauchen?
Assmann: Würde ich schon sagen. Die Europäische Union muss es schaffen, sich akzeptabler darzustellen. Sie muss ihre friedenssichernden Errungenschaften stärker in den Vordergrund stellen. Derzeit steht sie schlecht da, eben als zu liberal, zu inklusiv – gewissermaßen als zu einladend – und als zu bürokratisch.
Wie sehen Sie die Rolle der Religion: Muss man die zurückdrängen – wir erleben ja in den letzten zehn, 15 Jahren ein Erstarken der Religionen?
Assmann: Da haben Sie völlig recht. Die Religion muss sich zurücknehmen, was ihre Einmischung in Politik angeht. Es kann nicht sein, dass, sagen wir mal radikal katholische, evangelikale, jüdische oder islamische Positionen die Politik bestimmen. Religion hat ihren guten Sinn und ihr Recht; die Politik hat ihren guten Sinn, ihr Recht und ihre Aufgaben. Das darf sich nicht vermengen.
Es geht also darum, den säkularen Staat zu schützen und zu stärken.
Assmann: Genau. Der säkulare Staat ist eben eine Errungenschaft der Aufklärung.