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WÜRZBURG
Franz Marc im blauen Land
Von unseren Mitarbeitern Sabine Göttel und Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:57 Uhr

Viele Künstler und Intellektuelle zogen 1914 aus nationaler Begeisterung an die Front – nicht so Franz Marc. Dennoch versprach sich der Maler eine Art „Reinigung“ vom Ersten Weltkrieg – ein „Weltenbrand“, aus dessen Asche ein neues, besseres Europa entstehen sollte. Dass die „Massenschlächterei“ (Kurt Tucholsky) bis 1918 fast zehn Millionen Tote fordern und die Länder Europas an den Rand des Ruins katapultieren sollte, erlebte Marc nicht mehr. Der 36-jährige Leutnant der Kavallerie starb am 4. März 1916 in der Hölle von Verdun. Die Bilanz der mit damals neuesten Massenvernichtungswaffen erbittert geführten Schlacht: 338 000 deutsche und 364 000 französische Soldaten verlieren ihr Leben oder werden als vermisst gemeldet. Etwa 400 000 Verwundete überleben das „Stahlgewitter“.

Am 8. Februar 1880 kommt Franz Marc als Sohn eines Malers in München zur Welt. Im Jahr 1900 schreibt er sich an der Königlich Bayerischen Akademie in München für ein Kunststudium ein, nachdem er zunächst Pfarrer und danach Gymnasiallehrer werden wollte. Doch nach den festen Regeln einer konservativ-akademischen Malweise will sich der ehrgeizige Student nicht richten. Er hat eine eigene Vision, will seinen persönlichen Stil entwickeln, als Maler unverwechselbar werden. Marc ist überzeugt davon, dass die Kunst auf der Höhe ihrer Zeit sein muss. Er möchte die Dynamik seiner Epoche in nie gesehene Farben und Formen überführen: Industrialisierung, Technisierung und Verstädterung sollen in seinen Bildern lebendig werden – aber auch die Befreiung des Körpers und der Seele in der Natur und in neuen Lebensformen. „Heut dröhnt die Welt unter der Schöpfung neuer Formen; alles zittert unter der Arbeit der wunderbaren Maschinen“, schreibt Franz Marc.

1903 reist er nach Frankreich, um die Werke der französischen Maler Gustave Courbet (1819-1877) und Eugene Delacroix (1798-1863) zu studieren. 1904 lässt er sich zunächst in Schwabing nieder. Seine Beziehung zu der verheirateten Malerin Annette von Eckardt belastet ihn psychisch schwer. Er reist nach Griechenland und 1907 wieder nach Paris, wo er die Werke Vincent van Goghs (1853-1890) und Paul Gauguins (1848-1903) kennen und schätzen lernt. Um sich finanziell über Wasser zu halten, beginnt er, anatomische Zeichnungen von Tieren anzufertigen.

Als er 1910 mit seiner späteren Frau Maria Franck – ebenfalls Malerin – aufs Land zieht, verbindet sich diese Praxis künstlerisch produktiv mit dem starken Eindruck, den die oberbayerische Landschaft auf den Maler macht: Im „blauen Land“ (Marc) zwischen Kochel- und Walchensee entstehen Tierbilder in leuchtenden Farben. Mit Malen nach der Natur haben diese künstlerischen Visionen nichts mehr gemein; Marc will die Tiere und die sie umgebende Natur so wiedergeben, als seien beide zu Gefühlen, zu eigenständigem Ausdruck von Seelenzuständen fähig. Um dies ins Werk zu setzen, beginnen seine Farben, sich langsam von den sie begrenzenden Formen zu lösen– ein Grundprinzip expressionistischer Malweise.

Auch der Einfluss Van Goghs macht sich zunehmend in Marcs Kunst bemerkbar. In Kollegen wie Wassily Kandinsky (1866-1944), Gabriele Münter (1877-1962), August Macke (1887-1914) und Paul Klee (1879-1940) findet Franz Marc Geistesverwandte. Weitere farbtrunkene Werke wie „Die gelbe Kuh“ und „Hocken im Schnee“ entstehen. Nach ihrem Austritt aus der Neuen Künstlervereinigung gründen Kandinsky und Marc 1911 den „Blauen Reiter“, dessen erste Ausstellung in der Münchner Galerie Thannhauser sofort europaweit Beachtung findet. Mit markigen, visionären Worten gibt Franz Marc der Mission dieser Speerspitze der künstlerischen Avantgarde Ausdruck: „In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als 'Wilde'. Die gefürchteten Waffen der 'Wilden' sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“

1912 lernt Franz Marc die expressionistische Künstlergruppe „Brücke“ um die Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) und Erich Heckel (1883-1970) kennen. Er überträgt Prinzipien des italienischen Futurismus, den er auf der Kölner Ausstellung des Sonderbunds kennenlernt, sowie Techniken kubistischer Künstler auf seine Malerei („Kühe, gelb-rot-grün“). Im September 1913 werden sieben Werke Franz Marcs in Herwarth Waldens Erstem Deutschen Herbstsalon in Berlin gezeigt. Darunter sind zwei seiner berühmtesten Gemälde: „Der Turm der blauen Pferde“ und „Tierschicksale“.

Paul Klee als Restaurator

Letzteres wurde bei einem Depotbrand nach der Ausstellung schwer beschädigt und galt bereits zu Lebzeiten des Malers als prophetische Vorwegnahme der Schrecken des Ersten Weltkriegs. Es wurde nach dem Tod Franz Marcs von Paul Klee restauriert und hängt heute im Kunstmuseum Basel.

1914 zieht Marc mit seiner Frau Maria nach Ried bei Benediktbeuren. Bevor er sich freiwillig zum Kriegsdienst meldet, malt er dort seine letzten Bilder, darunter „Rehe im Wald II“. 1916 ist Franz Marc, der so hoffnungsfroh in den Krieg gezogen und dessen Freund August Macke bereits im Herbst 1914 an der Westfront gefallen war, endgültig desillusioniert. Vom Grauen der Schlachten berichtet er seiner Frau ab 1915 in vielen Briefen, die 1920 postum veröffentlicht werden. „Seit Tagen sehe ich nichts als das Entsetzlichste, was sich Menschenhirne ausdenken können“, heißt es darin. Am 4. März 1916 trifft ihn in der Nähe von Verdun eine französische Granate; Leutnant Marc verblutet in den Armen seines Burschen. Sein Leichnam wird 1917 nach Kochel am See überführt.

In einem Nachruf der Dichterin Else Lasker-Schüler, mit der er eng befreundet war, heißt es: „Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen.“ Den Nazis galt Franz Marc als "entarteter Künstler"; sie entfernten 130 seiner Gemälde aus den deutschen Museen.

 
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