Das Schlafzimmer von David Hockney im englischen Woldgate geht gen Osten. Morgens scheint die Sonne rein. Und weil das so ist, greift der Künstler dann offenbar gerne vom Bett aus zum iPad und zeichnet, was er so sieht: Ein Bonsai-Bäumchen auf dem Fensterbrett zum Beispiel, die Vorhänge, dazwischen und dahinter die Dächer der Nachbarn und den Himmel. „Ich kann gleich loslegen, ich brauche keinen Pinsel, keinen Spitzer, alles, einschließlich der Farben, ist da.“ Also im iPad. Toll, oder? Aber natürlich. „Das ist einfach ein tolles neues Medium“, sagt der Brite, 79 Jahre alt.
Hockney war Redner bei der Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse. Ein Maler. Dennoch geht's bei der Messe immer noch, wenn auch nicht ausschließlich, um Bücher. Präsentiert von rund 7100 Aussteller aus über 100 Ländern. Wobei Juergen Boos, Direktor der Messe, gerne von Büchern, noch lieber aber von Inhalten spricht: Content. „Als größte internationale Messe für Inhalte ist die Frankfurter Buchmesse der Ort, an dem sich die Komplexität einer zunehmend vernetzten Welt, ihre Fragmentierung, aber auch ihre Vielfalt deutlich ablesen lässt“, sagte er. „Literatur kann helfen, die Welt zu sortieren“, so Boos: „Und die Buchmesse hilft Autoren und Verlagen bei dieser Sortierarbeit.“
Und damit wieder zu Hockney! Auch der sortiert ja mit. Von ihm jedenfalls stammt das größte und schwerste Buch der Messe: 35 Kilo schwer und 600 Seiten dick, 50 mal 70 Zentimeter groß. Kostenpunkt 2000 Euro. Das Buch trägt einen wunderbar passenden Titel: „A bigger book“. Toll, toller, Hockney. Und so sieht es auch Juergen Boos. Hockney personifiziere „diese Neugier, diese fortwährende Suche nach einer neuen Sicht auf die Dinge, dem größeren Bild, the bigger picture.“ Das also, worum es bei der Buchmesse eigentlich geht!
Die Sicht auf die Welt – aus anderer Perspektive. In diesem Jahr vor allem aber aus der Sicht zweier Nachbarn. Niederlande und Flandern sind Ehrengäste der 68. Buchmesse. Ein Tross Schriftsteller reiste im Sonderzug an, darunter Bestsellerautoren wie Connie Palmen oder Leon de Winter. „Dies ist, was wir teilen“ – unter dieses Motto haben die Gäste ihren Auftritt gestellt und da kommt man tatsächlich schnell wieder zu Hockney. Kunst und Literatur verbinde, dass es ums Geschichtenerzählen geht, so Boos. Der Kunstbetrieb müsse sich denselben Fragen stellen wie der Literaturbetrieb: Was tun, wenn es im Netz alles zu lesen, zu hören und zu besichtigen gibt, und zwar am besten kostenlos.
Auf „THE ARTS+“, einer neuen Kunstmesse auf dem Gelände, soll genau darüber gesprochen werden. Zu den Ausstellern zählen auch etliche Museen: Das Metropolitan Museum of Art zum Beispiel, aber auch das Google Cultural Institute. Nicht nur ein bigger book wird also in diesem Jahr präsentiert, sondern auch eine bigger Messe.
Und damit nicht genug der Kunst: Die Argentinierin Marta Minujin wird in Frankfurt mit dem Sammeln einst verbotener oder jetzt von Zensur belegter Bücher beginnen. Im nächsten Jahr soll bei der documenta in Kassel aus 100 000 solcher Bücher die Installation „The Parthenon of Books“ entstehen.
Gerade jetzt brauche die Gesellschaft unabhängige Ideen- und Inhaltsvermittler, die Informationen und Geschehnisse einordnen und hinterfragen, so Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Und damit – noch einmal – zu den wunderbaren Neuen Medien und David Hockney. Er plauderte gut gelaunt, während kurze Filme gezeigt wurden, die die Entstehung seiner Werke auf dem iPad Strich für Strich zeigen. „Das Medium hat handfeste Vorteile“, schwärmt er. Super zum Beispiel: Man könne so oft drübermalen wie man möchte. Und müsse daher nie aufhören . . . Was ja irgendwie auch fürs Lesen gilt. Hockney und Buchmesse – passt doch wunderbar!