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FRANKFURT
Frank Schirrmacher macht den Menschen zur pokernden Schachfigur
Schon eine Woche bevor das Buch auf den Markt kommt, bricht der Sturm los: Namhafte Zeitgeist-Kommentatoren arbeiteten sich an Frank Schirrmachers neuestem Werk ab. „Ego. Das Spiel des Lebens“ heißt es und erscheint am 18. Februar.
Frank Schirrmacher
Foto: dpa | Frank Schirrmacher
dpa
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:52 Uhr
„Dieses Buch basiert auf einer einzigen These“, schreibt der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Vorwort, „dass die Gedankenmodelle der Ökonomie praktisch alle anderen Sozialwissenschaften erobert haben.“ Die Folge: „Ein Weltbild, das hinter allem menschlichen Tun die unausweichliche Logik des Eigennutzes am Werk sieht, produziert Egoismus wie am Fließband.“

Den Anfang nahm diese Entwicklung, so Schirrmacher, im Kalten Krieg. Damals war es überlebenswichtig, bestmöglich vorherzusagen, was der Gegner dachte und plante. Das gelang am besten, wenn man die komplizierte Psyche des Menschen ein bisschen vereinfachte. Die Strategen des Kalten Krieges gingen daher davon aus, dass jeder nur aus Eigennutz handelt. Akzeptiert man diese Prämisse, „konnte man sein Verhalten mathematisch bestimmen“.

Nach dem Fall der Mauer eroberte diese Logik die Wirtschaft. Börsen-Algorithmen und Auktionsplattformen basieren auf „einer Einfühlung ganz besonderer Art: Man musste sich in den Egoismus des anderen hineinversetzen, um seinen eigenen Egoismus besser ausspielen zu können“. Seit Computerprogramme die Weltwirtschaft beherrschen, seit Menschen nicht mehr mit Menschen, sondern Maschinen mit Maschinen Geschäfte machen, ticke ein „Ego-Automat im Herzen unserer Systeme“. Der reale Mensch mit seinen Schwächen, seinem irrationalen Verhalten und moralischen Ansprüchen wurde zum Systemfehler. „Das ist die Botschaft: Wir brauchen Euch nicht“, so Schirrmacher, „weil wir die Chance haben, bessere Ego-Maschinen zu bauen als Ihr es je sein könnt.“

Der Mensch, einst die Nummer eins, wurde ersetzt durch ein Wesen, das Schirrmacher „Nummer 2“ nennt. Nummer 2 ist leichte Beute für Datenbanken, die gefräßig Informationen über Menschen sammeln und auswerten und damit ihr Verhalten, ihre Meinungen, ihre Wünsche vorhersagen können. Beispiele – wie „Kunden, die sich für diesen Artikel interessierten, kauften auch . . .“ – finden sich wenig in Schirrmachers Buch.

Er zitiert viel und gründlich, gießt seine Schlüsse dann aber in eine feuilletonistische Sprache. Vom Froschschenkel-Experiment zur E-Mail, von der Dampfmaschine zum Euro-Rettungsschirm schafft er es innerhalb eines einzigen Satzes. Er lässt Monster aus Literatur und Film aufmarschieren. Für den Herausgeber einer als konservativ wahrgenommenen Tageszeitung ist das Buch erstaunlich links. Den Neoliberalismus vergleicht Schirrmacher mit Frankensteins Labor, die Globalisierungskritikerin Naomi Klein nennt er richtungsweisend. Am Ende ist der Mensch nur eine Schachfigur, die Poker spielt. „Vielleicht ist es ganz einfach: nicht mitspielen.“

Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens, 352 S., Blessing, 19,99 Euro

 
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