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Frank Goosen und die Sprachkraft des Ruhrpotts
Frank Goosen: Der Kabarettist und Schriftsteller über seine Omma und Kandidaten wie Atze Schröder
Frank Goosen über das Ruhrgebiet: „Storys, wohin du guckst. Liegen auf der Straße. Musste nur aufheben.“
Foto: Philipp Wente | Frank Goosen über das Ruhrgebiet: „Storys, wohin du guckst. Liegen auf der Straße. Musste nur aufheben.“
Das Gespräch führten Martin Paul und Maren Schuster
 |  aktualisiert: 31.05.2012 17:33 Uhr

Der Kabarettist und Romanautor Frank Goosen lebt seit seiner Geburt (31. Mai 1966) mit Unterbrechungen in Bochum. Von 1992 bis 2000 trat er zusammen mit Jochen Malms-heimer als „Tresenlesen“ auf. Nach Differenzen lösten sie das Duo auf. Goosen veröffentlichte zahlreiche Romane, sein Debüt „Liegen lernen“ wurde 2003 verfilmt. In seinen Geschichten kreist er um die Gefühlslage seiner Generation, das Ruhrgebiet und Fußball. Goosen ist im Aufsichtsrat des VfL Bochum und trainiert die E-Jugend des Vereins. Mit „Sommerfest“ (Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 19,99 Euro) legte er seinen ersten Roman vor, der in Bochum spielt, wo Goosen mit seiner Frau und den beiden Söhnen lebt.

FRage: In „Sommerfest“ heißt es über das Ruhrgebiet: „Storys, wohin du guckst. Liegen auf der Straße. Musste nur aufheben.“ Worüber stolpert man denn in Ihrer Heimat?

Frank Goosen: Hier gibt es viele Geschichten zu erzählen, aber zu wenige tun es. Das hängt eng mit den Umwälzungen der letzten 170 Jahre zusammen. Vor 170 Jahren waren hier nur westfälische Bauern, dann fegte die Industrialisierung durch. Kohle und Stahl kamen, und 100 Jahre später ging alles wieder den Bach runter. Dazu kommen die Einwanderungsströme. Berlin ist genauso arm wie das Ruhrgebiet, aber doppelt so sexy. Das kriegen wir irgendwie nicht hin. Die Gegend ist unterschätzt. Berlin funktioniert als Flucht- und Sehnsuchtsort. Das Ruhrgebiet bisher nicht.

Warum?

Goosen: Offensichtlich finden die jungen Kreativen, gerade die Autoren, woanders inspirierendere Umfelder, bessere Arbeitsbedingungen. Deswegen versuche ich mit meinen Mitteln, die vorrangig humoristisch sind, eine Lanze für das Ruhrgebiet zu brechen. Der große intellektuelle Wurf wird von mir nicht kommen, da müssen andere ran. Ich wünsche mir einen jungen, intelligenten Autor oder eine Autorin, die sich nach Bochum-Querenburg oder Essen setzt, sich alles ansieht, sich Gedanken darüber macht und einen großen Roman schreibt.

Von wem möchten Sie den großen Ruhrgebietsroman lesen?

Goosen: In meiner Generation gibt es kaum jemanden. Der Einzige, der unter anderem auch Ruhrgebietsromane schreibt, ist der großartige Ralf Rothmann. Der lebt aber eben auch seit 1976 in Berlin.

Was lohnt es sich im Pott anzusehen?

Goosen: Ich würde alle immer zu den klassischen Touristenorten schleppen, also zu den Überresten der Industriekultur. Zum Beispiel in die Bochumer Jahrhunderthalle. Da war ich erst neulich beim Randy-Newman-Konzert, und auch er war begeistert von der alten Gaskraftzentrale. Aber auch die Zeche Zollverein in Essen mit dem Grubenmuseum oder die Jugendstilzeche in Dortmund-Zollern sind großartig. Wenn die Tagestour zu Ende ist, wäre eine alte Ruhrgebiets-Eckkneipe Pflicht.

Was erfährt man in so einer Eckkneipe über das Ruhrgebiet?

Goosen: Dort am Tresen lernt man die Leute kennen. Die Vielfalt ist groß, die Gegensätze auch. Da gibt es vom prolligen Kleinkriminellen bis zum polnischen Perfomancekünstler alles. Die Einrichtung und die Jukebox sind Ende 80er stehen geblieben. Das sind Lokale, in denen das Rauchverbot nicht durchzusetzen ist. Es gibt zwar einen Nichtraucherraum, aber nur ganz hinten, wo die Wirtin nicht hinkommt.

In „Sommerfest“ geht es um einen Bochumer Schauspieler, der in München wohnt, aber zurück in seine Heimatstadt muss, um dort das Haus seiner Eltern zu verkaufen – was er möglichst schnell erledigen will.

Goosen: Genau, aber das klappt nicht, denn an jeder Ecke begegnet er der Welt seiner Kindheit und Jugend. Das ist auch so eine typische Ruhrgebietssache: Du triffst wen, den du zehn Jahre nicht gesehen hast, den du noch nicht mal besonders leiden kannst, und der sagt: „Komm, wir müssen mal 'nen Schrank aus Dortmund holen.“ Stefans Vorhaben – Haus verkaufen und schnell wieder weg – ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Er betrügt sich ja permanent selbst, wenn er glaubt, seiner Vergangenheit ausweichen zu können beziehungsweise mit ihr abgeschlossen zu haben.

Warum kommt er nicht los?

Goosen: Ohne Vergangenheit kann man nicht leben. Er kriegt sie einfach nicht aus den Klamotten, und das arbeitet während der gesamten Zeit in ihm.

Sie schauen in Ihren Romanen häufig zurück. Heimat, Jugend, der Sound vergangener Jahrzehnte. Warum ist die Jugend so wichtig?

Goosen: Ich denke, manchmal ist es wichtig, an einen Punkt im Leben zurückzuschauen, an dem die Dinge noch offener waren. Ich glaube, der Hauptgrund, sich mit der Kindheit und Jugend zu beschäftigen ist, dass sich viele zeitlebens immer wieder mal zurücksehnen in diesen Stand der Unschuld, an dem so vieles offen war. Am liebsten wäre einem, man könnte diesen Zustand noch einmal erleben mit dem Wissen von heute.

Stefan wehrt sich gegen seine Heimat, die verlorenen Eltern, eine verlorene Liebe. Nur über seine Großmutter sagt er, sie hätte er niemals genug umarmt. Sie haben „Sommerfest“ Ihrer Oma gewidmet . . .

Goosen: Omma! Mit zwei „m“! „Omma” oder „Oppa” mit einem „m” oder „p” geht für mich nicht. Klingt immer nach karierten Pantoffeln. „Omma” hat Biss. Und meine saß tatsächlich mal mit einer Kollegin in der Altersresidenz und sang politisch schwer unkorrekt: „Chamberlain, das alte Schwein, fuhr mit'm Pisspott über'n Rhein.“

Das klingt wie die Omma Luise im Buch. Ihre Omma hat also auch ständig einen Spruch auf den Lippen?

Goosen: Mittlerweile produziert sie die nicht mehr in der Frequenz wie früher. Aber tatsächlich konnte ich etliche Sachen, die sie Zeit ihres Lebens vom Stapel ließ, in meine Programme aufnehmen.

Zum Beispiel?

Goosen: So was wie: „Omma, da war viel los in deinem Leben. Du hast den Oppa überlebt und den Zweiten Weltkrieg. Was war denn schlimmer?“ – „Na, das mit dem Oppa hat halt länger gedauert.“ Und es gab immer Storys. Da ist sie mal vor der Tür überfallen worden und hat dann auf die Frage, wie viel Geld in ihrer Tasche war, 400 Mark angegeben, obwohl nur 80 Mark drin waren. Ihre Begründung: „Den finden die sowieso nicht, und wenn, dann steht sein Wort gegen meins.”

Gehört der freche Spruch zum Ruhrpott?

Goosen: Der Ruhrgebietler an sich packt gern große Weisheiten in kleine Sätze. Mein viel zu früh verstorbener Vater zum Beispiel hatte eine klare Pointe zu Rosenkohl, den er nicht mochte, der aber immer wieder auf den Tisch kam: „Also – wenn dat Auge sich schon weigert!“ Mit dem Spruch bin ich aufgewachsen. Erst als ich ihn das erste Mal auf der Bühne fallen ließ, bemerkte ich, dass andere so was witzig finden.

Sie verwenden Umgangssprache normalerweise nur in Ihren Bühnenprogrammen. In „Sommerfest“ zeigen zum ersten Mal auch Ihre literarischen Figuren die Sprachkraft des Ruhrpotts.

Goosen: Den deftigeren Stellen im Buch stehen aber immer wieder auch melancholische gegenüber. Ich bin der Ansicht, man muss Situationen authentisch schildern oder gar nicht. Wenn ich mir die zehnjährigen Jungen ansehe, die ich trainiere: Fünf sind Akademikerkinder, der Rest hat einen anderen Hintergrund, und da weht dann sprachlich auch ein anderer Wind, auch wenn die erst zehn Jahre alt sind. Und wenn man mit den Größeren mal nach dem Spiel vor dem Vereinsheim sitzt, dann wird man schon ganz schön neugierig beim Zuhören. Ich gehöre auch zu denjenigen, die Atze Schröder nicht übertrieben finden.

Wirklich nicht?

Goosen: Ich bin mit exakt solchen Hackfressen hier in den 70ern aufgewachsen. Atze Schröders Frisur und Brille sind der Realität abgeschaut. Solche Kandidaten gab es. Die meisten hatten rechts auf der Schulter noch ihre Schachtel HB oder Marlboro eingedreht.

Sie sind nicht nur im Vorstand des VfL Bochum und trainieren die E-Jugend, sondern legen auch gern öffentlich Bekenntnis zum Fußball und Ihrem Verein ab. Kommt Fußball für Sie in die Nähe des Religiösen?

Goosen: Fußball ist ideal, um seine Leidenschaften irrational auszuleben. Wenn man es aber ernsthaft betreibt und dann in den Bereich der religiösen Überhöhung kommt, meist gepaart mit einem gewissen missionarischen Eifer, dann finde ich das ätzend. Das ist bei Religionen ätzend, egal, bei welcher, und hat im Fußball auch nichts zu suchen. Fans kann man nicht missionieren.

Sondern?

Goosen: Wer als Fan richtig sozialisiert wurde – also Papa . . . Stadion . . . richtiger Verein –, der bleibt dann auch lebenslang Fan dieses Vereins. Wer missioniert wurde oder nach ein paar Jahren wechselt, ist kein wirklicher Fan.

Sollte der Fußball eigentlich für jeden wichtig sein?

Goosen: Nur für diejenigen, die hingehen. Nichts ist schlimmer als Leute, die alle zwei Jahre mal zum Endspiel gehen und dann überall ihren Senf dazugeben.

 
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